Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.Processe wesentlich änderte, weil man viele Vorschriften des letzteren für zu libe¬ Die deutschen Schwurgerichte zeichnen sich vor den französischen dadurch Wenn andrerseits die deutschen reformirten Strafproceßordnungen nicht Von dieser für die Charakteristik des.preußischen bisherigen StrasvrocesseS 3*
Processe wesentlich änderte, weil man viele Vorschriften des letzteren für zu libe¬ Die deutschen Schwurgerichte zeichnen sich vor den französischen dadurch Wenn andrerseits die deutschen reformirten Strafproceßordnungen nicht Von dieser für die Charakteristik des.preußischen bisherigen StrasvrocesseS 3*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0025" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282822"/> <p xml:id="ID_65" prev="#ID_64"> Processe wesentlich änderte, weil man viele Vorschriften des letzteren für zu libe¬<lb/> ral hielt. Sodann fallen hierher diejenigen Gesetze, in denen die Competenz<lb/> der Schwurgerichte möglichst beschränkt wurde, weil man aus ihrer Beibehal¬<lb/> tung für politische und Preßvergehen Gefahren des Staatswesens folgerte und<lb/> fürchtete, so die hessischen Gesetze von 1851 und 1853. Endlich ist hierunter<lb/> zu rechnen diejenige Gesetzesgruppe, in welcher Oeffentlichkeit. Mündlichkeit des<lb/> Verfahrens und eine Art Anklage anerkannt ist. die Urtheilsfällung von den<lb/> Staatsrichtern ausgesprochen wird. Dahin gehören das östreichische Gesetz vom<lb/> 13. Juli 1853 und das königlich sächsische vom 15. August 1855. Die Ver¬<lb/> schiedenheit der hier genannten Gesetze liegt hauptsächlich darin, daß in ihnen<lb/> eine gesetzliche Beweistheorie entweder anerkannt ist. oder nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_66"> Die deutschen Schwurgerichte zeichnen sich vor den französischen dadurch<lb/> aus. daß in Deutschland die Gerichte mehr mit wissenschaftlich gebildeten Män¬<lb/> nern besetzt sind, der Thatbestand sorgfältiger hergestellt, für die gerichtliche<lb/> Medicin mehr gethan wird, als in Frankreich. Die Stellung des Präsidenten<lb/> unserer Schwurgerichte ist eine angemessenere-, zweckmäßig wirken die Beschrän¬<lb/> kung der Befugnisse des Staatsanwalts, die schützenderen Vorschriften gegen<lb/> willkürliche Verhaftung; die Rechte der deutschen Vertheidiger sind wenigstens<lb/> nach einigen Gesetzen, wie nach dem bayerischen, ausgedehnter, als im Nachbar¬<lb/> lande, das System der Fragestellung gestattet unsern Geschwornen theilweise<lb/> eine freiere Erfüllung ihrer Pflichten, man fordert für die Geltung ihrer Ver-<lb/> biete eine größere Stimmenzahl (so in Braunschweig, Zürich) als in Frankreich.<lb/> Am meisten bei der braunschweiger Gesetzgebung zeigt sich das Bestreben, den<lb/> früheren Jnquisitionsproceß zu beschränken; so muß dort dem Angeschuldigten<lb/> — wie in England — gesagt werden, daß er nicht zu einer Antwort dem<lb/> Richter verpflichtet sei, er kann selbst in der Voruntersuchung sich einen Ver¬<lb/> theidiger halten, und nur Stimmeneinhclligkeit der Geschwornen vermag ihn<lb/> zu verurtheilen.</p><lb/> <p xml:id="ID_67"> Wenn andrerseits die deutschen reformirten Strafproceßordnungen nicht<lb/> den Vortheil gewähren, den sie geben könnten, so liegt dies — abgesehen von<lb/> der Erbärmlichkeit der politischen Zustände, welche trefflich geordnet in der<lb/> Schweiz für dieses sonst dem unsern so sehr ähnlich entwickelte Gebiet der<lb/> Rechtspflege gute Früchte tragen — darin, daß man in angstvoller Hast seit<lb/> 1848 jene französischen Normen bei uns nur halb einführte. Man behielt<lb/> daneben die alte Gerichtsverfassung in den meisten deutschen Ländern bei; daher<lb/> fehlen uns eine Reihe zweckmäßiger Einrichtungen ? Frankreichs, statt deren<lb/> blüht hier noch das Jnquisitionsprincip und das aus rechtsgelehrte Richter<lb/> berechnete Strafverfahren.</p><lb/> <p xml:id="ID_68" next="#ID_69"> Von dieser für die Charakteristik des.preußischen bisherigen StrasvrocesseS<lb/> so hochwichtigen Entwicklung kennt die Einleitung des neuen Entwurfes nur</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 3*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0025]
Processe wesentlich änderte, weil man viele Vorschriften des letzteren für zu libe¬
ral hielt. Sodann fallen hierher diejenigen Gesetze, in denen die Competenz
der Schwurgerichte möglichst beschränkt wurde, weil man aus ihrer Beibehal¬
tung für politische und Preßvergehen Gefahren des Staatswesens folgerte und
fürchtete, so die hessischen Gesetze von 1851 und 1853. Endlich ist hierunter
zu rechnen diejenige Gesetzesgruppe, in welcher Oeffentlichkeit. Mündlichkeit des
Verfahrens und eine Art Anklage anerkannt ist. die Urtheilsfällung von den
Staatsrichtern ausgesprochen wird. Dahin gehören das östreichische Gesetz vom
13. Juli 1853 und das königlich sächsische vom 15. August 1855. Die Ver¬
schiedenheit der hier genannten Gesetze liegt hauptsächlich darin, daß in ihnen
eine gesetzliche Beweistheorie entweder anerkannt ist. oder nicht.
Die deutschen Schwurgerichte zeichnen sich vor den französischen dadurch
aus. daß in Deutschland die Gerichte mehr mit wissenschaftlich gebildeten Män¬
nern besetzt sind, der Thatbestand sorgfältiger hergestellt, für die gerichtliche
Medicin mehr gethan wird, als in Frankreich. Die Stellung des Präsidenten
unserer Schwurgerichte ist eine angemessenere-, zweckmäßig wirken die Beschrän¬
kung der Befugnisse des Staatsanwalts, die schützenderen Vorschriften gegen
willkürliche Verhaftung; die Rechte der deutschen Vertheidiger sind wenigstens
nach einigen Gesetzen, wie nach dem bayerischen, ausgedehnter, als im Nachbar¬
lande, das System der Fragestellung gestattet unsern Geschwornen theilweise
eine freiere Erfüllung ihrer Pflichten, man fordert für die Geltung ihrer Ver-
biete eine größere Stimmenzahl (so in Braunschweig, Zürich) als in Frankreich.
Am meisten bei der braunschweiger Gesetzgebung zeigt sich das Bestreben, den
früheren Jnquisitionsproceß zu beschränken; so muß dort dem Angeschuldigten
— wie in England — gesagt werden, daß er nicht zu einer Antwort dem
Richter verpflichtet sei, er kann selbst in der Voruntersuchung sich einen Ver¬
theidiger halten, und nur Stimmeneinhclligkeit der Geschwornen vermag ihn
zu verurtheilen.
Wenn andrerseits die deutschen reformirten Strafproceßordnungen nicht
den Vortheil gewähren, den sie geben könnten, so liegt dies — abgesehen von
der Erbärmlichkeit der politischen Zustände, welche trefflich geordnet in der
Schweiz für dieses sonst dem unsern so sehr ähnlich entwickelte Gebiet der
Rechtspflege gute Früchte tragen — darin, daß man in angstvoller Hast seit
1848 jene französischen Normen bei uns nur halb einführte. Man behielt
daneben die alte Gerichtsverfassung in den meisten deutschen Ländern bei; daher
fehlen uns eine Reihe zweckmäßiger Einrichtungen ? Frankreichs, statt deren
blüht hier noch das Jnquisitionsprincip und das aus rechtsgelehrte Richter
berechnete Strafverfahren.
Von dieser für die Charakteristik des.preußischen bisherigen StrasvrocesseS
so hochwichtigen Entwicklung kennt die Einleitung des neuen Entwurfes nur
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