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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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einander der Stile, der Zufälligkeit der Lage und so auch in der Zweckbestim¬
mung der Gebäude. Nicht wenige davon feste man, indem man das Große
mit dem Oeden verwechselte, außer den Bereich des Verkehrs in Sandwüsten
und in eine mißtönende Umgebung; und nicht minder selten ist ihr Zweck ohne
Zusammenhang mit dem wirklichen Leben, kein Bedürfniß der allgemeinen Ge¬
sittung. Durch solche Ausgaben war der Architekt von den belebenden Bedin¬
gungen seines Zeitalters losgelöst und auf todten Prunk, auf ein kaltes Ge¬
pränge mit classischen Formen angewiesen; seine Phantasie entbehrte des an¬
regenden Zwangs der realen Verhältnisse, in deren künstlerischer Ueberwindung
sich gerade das Talent bewährt. Kein Zweifel, daß gerade ideale Zwecke für
die monumentale Architektur die wahren sind; aber die echten Ideale
stehen nicht außerhalb der Wirklichkeit, sondern fassen diese in sich, indem sie
ihre tieferen, geistigen Züge zu einem geläuterten Bilde ausprägen. Für Klenze
war jene eingreifende Willkür seines Bauherrn um so schlimmer, als er schon
von Natur aus wenig von der realen Erfüllung der Phantasie und dem genia¬
len Sinn hatte, welche das Leben zu packen, das Bedürfniß selber in die Frei¬
heit der Form zu erheben wissen. Und so fällt wieder das Ungeschick der Raum-
anordnung, das an manchen klenzeschcn Bauten sich zeigt, die Schemportale,
die Enge der Korridore, die unbeholfene Anlage der Treppenhäuser, das nüch¬
terne Verhältniß der Innenräume -- das alles fällt lediglich dem Architekten
zur Last; hier rächen sich die Ansprüche des Lebens an der Ueberhebung des
Künstlers, der nur die Schönheit der äußeren Erscheinung im Auge hatte und
darüber vergaß, daß diese immer zugleich Ausdruck des inneren Organismus
sein muß. Doch das muß man ihm schließlich lassen, daß er meistens -- und
oft mehr als Schinkel -- diese Schönheit der äußeren Form in der kräftigen
Profilirung. dem klaren Verhältniß der verschiedenen Theile und der von allen
Seiten wirksamen Silhouette seiner Gebäude zu erreichen wußte.

Muß so Klenze, alles zusammengenommen, hinter Schinkel zurückstehen,
zum Theil durch eigene Schuld, zum Theil durch den Eigenwillen seines Bau¬
herrn: so nimmt er dagegen unter den Vertretern der Münchener Baukunst bei
Weitem die erste Stelle ein. Zwar ist es neuerdings, schon bei Lebzeiten Klcnzes
und noch mehr nach seinem (Januar 1864) erfolgten Tode in München Mode
geworden, die Fehler des Meisters über Gebühr hervorzuheben und nur nach
ihnen seine Leistungen zu bemessen. Die Schule Gärtners freilich, die sich
dünkte, in einer plumpen Anwendung romanischer Elemente und in der Ver¬
achtung aller classischen Formvollendung "national" zu sein und die Erfinder des
"neuen Stils", die aus dieser Raupe als Eintagsfliegen ans Licht gekommen
sind, haben allen Grund, die klenzeschen Bauten, neben deren Gediegenheit das
hohle aufgeblasene Wesen ihrer Machwerke vollends windig erscheint, von der
Erde wegzuwünschen. Diesen Richtungen gegenüber kann man jene classische


einander der Stile, der Zufälligkeit der Lage und so auch in der Zweckbestim¬
mung der Gebäude. Nicht wenige davon feste man, indem man das Große
mit dem Oeden verwechselte, außer den Bereich des Verkehrs in Sandwüsten
und in eine mißtönende Umgebung; und nicht minder selten ist ihr Zweck ohne
Zusammenhang mit dem wirklichen Leben, kein Bedürfniß der allgemeinen Ge¬
sittung. Durch solche Ausgaben war der Architekt von den belebenden Bedin¬
gungen seines Zeitalters losgelöst und auf todten Prunk, auf ein kaltes Ge¬
pränge mit classischen Formen angewiesen; seine Phantasie entbehrte des an¬
regenden Zwangs der realen Verhältnisse, in deren künstlerischer Ueberwindung
sich gerade das Talent bewährt. Kein Zweifel, daß gerade ideale Zwecke für
die monumentale Architektur die wahren sind; aber die echten Ideale
stehen nicht außerhalb der Wirklichkeit, sondern fassen diese in sich, indem sie
ihre tieferen, geistigen Züge zu einem geläuterten Bilde ausprägen. Für Klenze
war jene eingreifende Willkür seines Bauherrn um so schlimmer, als er schon
von Natur aus wenig von der realen Erfüllung der Phantasie und dem genia¬
len Sinn hatte, welche das Leben zu packen, das Bedürfniß selber in die Frei¬
heit der Form zu erheben wissen. Und so fällt wieder das Ungeschick der Raum-
anordnung, das an manchen klenzeschcn Bauten sich zeigt, die Schemportale,
die Enge der Korridore, die unbeholfene Anlage der Treppenhäuser, das nüch¬
terne Verhältniß der Innenräume — das alles fällt lediglich dem Architekten
zur Last; hier rächen sich die Ansprüche des Lebens an der Ueberhebung des
Künstlers, der nur die Schönheit der äußeren Erscheinung im Auge hatte und
darüber vergaß, daß diese immer zugleich Ausdruck des inneren Organismus
sein muß. Doch das muß man ihm schließlich lassen, daß er meistens — und
oft mehr als Schinkel — diese Schönheit der äußeren Form in der kräftigen
Profilirung. dem klaren Verhältniß der verschiedenen Theile und der von allen
Seiten wirksamen Silhouette seiner Gebäude zu erreichen wußte.

Muß so Klenze, alles zusammengenommen, hinter Schinkel zurückstehen,
zum Theil durch eigene Schuld, zum Theil durch den Eigenwillen seines Bau¬
herrn: so nimmt er dagegen unter den Vertretern der Münchener Baukunst bei
Weitem die erste Stelle ein. Zwar ist es neuerdings, schon bei Lebzeiten Klcnzes
und noch mehr nach seinem (Januar 1864) erfolgten Tode in München Mode
geworden, die Fehler des Meisters über Gebühr hervorzuheben und nur nach
ihnen seine Leistungen zu bemessen. Die Schule Gärtners freilich, die sich
dünkte, in einer plumpen Anwendung romanischer Elemente und in der Ver¬
achtung aller classischen Formvollendung „national" zu sein und die Erfinder des
„neuen Stils", die aus dieser Raupe als Eintagsfliegen ans Licht gekommen
sind, haben allen Grund, die klenzeschen Bauten, neben deren Gediegenheit das
hohle aufgeblasene Wesen ihrer Machwerke vollends windig erscheint, von der
Erde wegzuwünschen. Diesen Richtungen gegenüber kann man jene classische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/120>, abgerufen am 12.12.2024.