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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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München und Berlin: das eine vertreten durch Klenze. das andere durch
Schinkel. Ehe wir auf die Wirksamkeit des Ersteren, mit dem wir es hier
zu thun haben, näher eingehen, müssen wir auf den durchgreifenden Unter¬
schied aufmerksam machen, der zwischen beiden besteht. Klenze, von beschränk¬
terem Talent, schloß sich eben deshalb enger an die Antike an und kam im
Grunde über eine einsichtige, aber gebundene Nachbildung nicht hinaus.
Schinkel dagegen, ein Mann von weiter Begabung und eigenthümlich bildender,
combinirender Phantasie, suchte die classischen Formen selbständig zugebrauchen,
indem er sie aus ihrem geistigen Princip heraus "auf die Bedingungen unserer
neuen Weltperiode zu erweitern" strebte. Dieser große Vorzug, den Schinkel
vor dem Münchener Baumeister hatte, die Breite seiner Anschauung und die
fruchtbare Beweglichkeit seines Geistes, war zugleich die Ursache seiner Schwächen.
Eben diese Eigenschaften brachten ihn auf die seltsame Meinung, daß sich die
gothische Bauweise durch "Verschmelzung" mit classischen Stilelcmenten fort¬
bilden und "vollenden" lasse; sie machten ihn andererseits wenn nicht abgeneigt,
doch gleichgiltig gegen die Renaissance, weil er aus sich selber mit originalen
Mitteln eben das leisten zu können dachte, was diese geleistet hatte: eine Wie¬
dergeburt der Antike; wobei ihm zudem seine Weise insofern als die lebens¬
fähigere erscheinen mußte, als er auf die Griechen, jene auf die Römer zurück¬
ging. Vor solchen irreführender Gedanken war Klenze mit seiner engeren
Anschauung und schwächeren Phantasie freilich bewahrt; und so verschafft ihm
seine geringere Begabung das Lob, daß er zeitlebens von der Gothik sich ab¬
kehrte und unter den modernen deutschen Baumeistern als einer der ersten im
Stil der Renaissance ganz achtungswerthe Bauten zu Stande brachte. Haben
diese Vorzüge Klenzes, auf ihren Grund gesehen, nur sehr bedingten Werth:
so ist dagegen Schinkel in allem, wo es künstlerisches Schaffen und Gestalten
gilt, seinem Münchener Nebenbuhler weit voran. Die Armuth der Phantasie,
die diesen auf ein bloßes Entlehnen classischer Formen anwies, zeigt sich auch
in der Situation und Anlage seiner Gebäude. Er versteht es nicht, dieselben
mit ihrer Umgebung in harmonischen Zusammenhang zu bringen, sie mit der
Natur oder den naheliegenden architektonischen Massen zu einem wirkungsvollen
Bilde zusammenzuschließen; womit der weitere Uebelstand zusammenhängt, daß
seine Bauten fast durchgängig, in den Boden wie eingesunken, sich nicht energisch
von ihm abheben. Andrerseits gelingt ihm selten eine Raumeintheilung, welche
das Bedürfniß vollkommen befriedigt und hiervon ausgehend den Plan sowohl
organisch gliedert, als in der äußeren Gestalt künstlerisch ausdrückt. Meistens
fallen ihm Zweck und Erscheinung auseinander, so daß er vor Allem sein
Augenmerk auf die äußere Schönheit, eine wirksame Verbindung der klassischen
Formen richtet und nun nebenher die Anforderungen des Zwecks, so gut es
eben geht, noch erfüllt. Umgekehrt zeigte sich bekanntlich die Begabung Schim-


München und Berlin: das eine vertreten durch Klenze. das andere durch
Schinkel. Ehe wir auf die Wirksamkeit des Ersteren, mit dem wir es hier
zu thun haben, näher eingehen, müssen wir auf den durchgreifenden Unter¬
schied aufmerksam machen, der zwischen beiden besteht. Klenze, von beschränk¬
terem Talent, schloß sich eben deshalb enger an die Antike an und kam im
Grunde über eine einsichtige, aber gebundene Nachbildung nicht hinaus.
Schinkel dagegen, ein Mann von weiter Begabung und eigenthümlich bildender,
combinirender Phantasie, suchte die classischen Formen selbständig zugebrauchen,
indem er sie aus ihrem geistigen Princip heraus „auf die Bedingungen unserer
neuen Weltperiode zu erweitern" strebte. Dieser große Vorzug, den Schinkel
vor dem Münchener Baumeister hatte, die Breite seiner Anschauung und die
fruchtbare Beweglichkeit seines Geistes, war zugleich die Ursache seiner Schwächen.
Eben diese Eigenschaften brachten ihn auf die seltsame Meinung, daß sich die
gothische Bauweise durch „Verschmelzung" mit classischen Stilelcmenten fort¬
bilden und „vollenden" lasse; sie machten ihn andererseits wenn nicht abgeneigt,
doch gleichgiltig gegen die Renaissance, weil er aus sich selber mit originalen
Mitteln eben das leisten zu können dachte, was diese geleistet hatte: eine Wie¬
dergeburt der Antike; wobei ihm zudem seine Weise insofern als die lebens¬
fähigere erscheinen mußte, als er auf die Griechen, jene auf die Römer zurück¬
ging. Vor solchen irreführender Gedanken war Klenze mit seiner engeren
Anschauung und schwächeren Phantasie freilich bewahrt; und so verschafft ihm
seine geringere Begabung das Lob, daß er zeitlebens von der Gothik sich ab¬
kehrte und unter den modernen deutschen Baumeistern als einer der ersten im
Stil der Renaissance ganz achtungswerthe Bauten zu Stande brachte. Haben
diese Vorzüge Klenzes, auf ihren Grund gesehen, nur sehr bedingten Werth:
so ist dagegen Schinkel in allem, wo es künstlerisches Schaffen und Gestalten
gilt, seinem Münchener Nebenbuhler weit voran. Die Armuth der Phantasie,
die diesen auf ein bloßes Entlehnen classischer Formen anwies, zeigt sich auch
in der Situation und Anlage seiner Gebäude. Er versteht es nicht, dieselben
mit ihrer Umgebung in harmonischen Zusammenhang zu bringen, sie mit der
Natur oder den naheliegenden architektonischen Massen zu einem wirkungsvollen
Bilde zusammenzuschließen; womit der weitere Uebelstand zusammenhängt, daß
seine Bauten fast durchgängig, in den Boden wie eingesunken, sich nicht energisch
von ihm abheben. Andrerseits gelingt ihm selten eine Raumeintheilung, welche
das Bedürfniß vollkommen befriedigt und hiervon ausgehend den Plan sowohl
organisch gliedert, als in der äußeren Gestalt künstlerisch ausdrückt. Meistens
fallen ihm Zweck und Erscheinung auseinander, so daß er vor Allem sein
Augenmerk auf die äußere Schönheit, eine wirksame Verbindung der klassischen
Formen richtet und nun nebenher die Anforderungen des Zwecks, so gut es
eben geht, noch erfüllt. Umgekehrt zeigte sich bekanntlich die Begabung Schim-


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[0118] München und Berlin: das eine vertreten durch Klenze. das andere durch Schinkel. Ehe wir auf die Wirksamkeit des Ersteren, mit dem wir es hier zu thun haben, näher eingehen, müssen wir auf den durchgreifenden Unter¬ schied aufmerksam machen, der zwischen beiden besteht. Klenze, von beschränk¬ terem Talent, schloß sich eben deshalb enger an die Antike an und kam im Grunde über eine einsichtige, aber gebundene Nachbildung nicht hinaus. Schinkel dagegen, ein Mann von weiter Begabung und eigenthümlich bildender, combinirender Phantasie, suchte die classischen Formen selbständig zugebrauchen, indem er sie aus ihrem geistigen Princip heraus „auf die Bedingungen unserer neuen Weltperiode zu erweitern" strebte. Dieser große Vorzug, den Schinkel vor dem Münchener Baumeister hatte, die Breite seiner Anschauung und die fruchtbare Beweglichkeit seines Geistes, war zugleich die Ursache seiner Schwächen. Eben diese Eigenschaften brachten ihn auf die seltsame Meinung, daß sich die gothische Bauweise durch „Verschmelzung" mit classischen Stilelcmenten fort¬ bilden und „vollenden" lasse; sie machten ihn andererseits wenn nicht abgeneigt, doch gleichgiltig gegen die Renaissance, weil er aus sich selber mit originalen Mitteln eben das leisten zu können dachte, was diese geleistet hatte: eine Wie¬ dergeburt der Antike; wobei ihm zudem seine Weise insofern als die lebens¬ fähigere erscheinen mußte, als er auf die Griechen, jene auf die Römer zurück¬ ging. Vor solchen irreführender Gedanken war Klenze mit seiner engeren Anschauung und schwächeren Phantasie freilich bewahrt; und so verschafft ihm seine geringere Begabung das Lob, daß er zeitlebens von der Gothik sich ab¬ kehrte und unter den modernen deutschen Baumeistern als einer der ersten im Stil der Renaissance ganz achtungswerthe Bauten zu Stande brachte. Haben diese Vorzüge Klenzes, auf ihren Grund gesehen, nur sehr bedingten Werth: so ist dagegen Schinkel in allem, wo es künstlerisches Schaffen und Gestalten gilt, seinem Münchener Nebenbuhler weit voran. Die Armuth der Phantasie, die diesen auf ein bloßes Entlehnen classischer Formen anwies, zeigt sich auch in der Situation und Anlage seiner Gebäude. Er versteht es nicht, dieselben mit ihrer Umgebung in harmonischen Zusammenhang zu bringen, sie mit der Natur oder den naheliegenden architektonischen Massen zu einem wirkungsvollen Bilde zusammenzuschließen; womit der weitere Uebelstand zusammenhängt, daß seine Bauten fast durchgängig, in den Boden wie eingesunken, sich nicht energisch von ihm abheben. Andrerseits gelingt ihm selten eine Raumeintheilung, welche das Bedürfniß vollkommen befriedigt und hiervon ausgehend den Plan sowohl organisch gliedert, als in der äußeren Gestalt künstlerisch ausdrückt. Meistens fallen ihm Zweck und Erscheinung auseinander, so daß er vor Allem sein Augenmerk auf die äußere Schönheit, eine wirksame Verbindung der klassischen Formen richtet und nun nebenher die Anforderungen des Zwecks, so gut es eben geht, noch erfüllt. Umgekehrt zeigte sich bekanntlich die Begabung Schim-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/118>, abgerufen am 26.06.2024.