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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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romantische Stimmung paßte zu gut in die rückströmende und erschlaffte Be¬
wegung vergangener Jahrzehnte, um von der Kirche und den Fürsten nicht be¬
nutzt zu werden; dabei lieh sich zugleich diese gemachte Gcfühlsinnigkcit für
deutsch ausgeben und von "nationaler" Kunst schwärmen. Sich selber über¬
lassen, wäre diese- Kunstweise bald in sich zusammengefallen, und wie über
ihren Inhalt, so über die gezierte Unbeholfenheit ihrer Formen und die sü߬
liche Schwäche ihres Ausdrucks die innerlich von gesunden Trieben bewegte
Zeit zertretenden Schrittes weggegangen. Einer der vornehmsten Vertreter der
neuen deutschen Kunst. Cornelius, bietet an sich selber ein bezeichnendes
Beispiel, wie bald eine kräftige und gut angelegte Natur sich aus dieser künst¬
lichen Rückversetzung in eine gebundene Anschauungsweise der Vergangenheit
herausarbeitet.

Welche Pflege und Verbreitung diese unklaren Richtungen der Neuzeit, in
der Malerei das Naza ren erthum, in der Architektur die für das moderne
Bedürfniß zurechtgemachte romanische Bauweise, in München gefunden haben,
ist bekannt, und wir werden sehen, wie sie ihre Schößlinge bis in die jüngsten
Tage treiben: von den byzantinischen und gothischen Zwischenspielen, welche
mitunterliefen und auch jetzt noch einzelne schwache Nachklänge vernehmen lassen,
nicht zu reden. Durch diese Neuerungen war die kurze classische Kunstblüthe,
die mit Cornelius, Klenze und Rottmann angesetzt hatte und erst im
vollen Aufgehen begriffen war, mit einem Male abgeschnitten. Zugleich tauchte
mit wahrhaft fanatischer Unduldsamkeit die Idee der "nationalen Kunst"
auf. Selbst die Nazarener,'deren überreizte Empfindung sich doch an der vor>
raphaelischen Malerei entzündet hatte, meinten in ihren Producten dem denk,
schen Gefühl einen neuen Ausdruck gegeben zu haben, und jene Bauart, die
in Gärtner über Klenze triumphirte und in der Ludwigsstraße das hoch¬
mütige Angesicht einer versteinerten Langeweile zur Schau trägt, erklärte sich
unumwunden für die wahre, deutsche und zeitgemäße, da sie doch nichts war
als eine bald abgeschwächte, bald vergröberte, immer aber kenntnißlose An¬
wendung der romanischen Kunstweise. Daneben mußten echt deutsche Stoffe,
die Gebilde deutscher Dichter, die Nibelungensage und die Geschichten der
größten deutschen Kaiser, deren Gestalten in der Nacht der Jahrhunderte ver¬
graben waren, im Bilde noch einmal aufleben. Wie hätte man für die alten
Recken und die blonden noch halb barbarischen Kraftmenschen classische Formen
gebrauchen können? In der wilden Größe des Ausdrucks und der Ungeschlacht¬
heit ihrer hünenhaften Glieder, in der sie gern die dichterische Phantasie sich
denkt, mußten die Helden an den Wänden des königlichen Schlosses daher-
schreiten. Zu solchen Aufgaben berufen schlug sich der deutsche Künstler stolz
an die eigene Brust und ging keuschen strengen Blicks an der nackten Anmuth
der Antike, wie an der weichen Ueppigkeit der Renaissance vorüber. Das


romantische Stimmung paßte zu gut in die rückströmende und erschlaffte Be¬
wegung vergangener Jahrzehnte, um von der Kirche und den Fürsten nicht be¬
nutzt zu werden; dabei lieh sich zugleich diese gemachte Gcfühlsinnigkcit für
deutsch ausgeben und von „nationaler" Kunst schwärmen. Sich selber über¬
lassen, wäre diese- Kunstweise bald in sich zusammengefallen, und wie über
ihren Inhalt, so über die gezierte Unbeholfenheit ihrer Formen und die sü߬
liche Schwäche ihres Ausdrucks die innerlich von gesunden Trieben bewegte
Zeit zertretenden Schrittes weggegangen. Einer der vornehmsten Vertreter der
neuen deutschen Kunst. Cornelius, bietet an sich selber ein bezeichnendes
Beispiel, wie bald eine kräftige und gut angelegte Natur sich aus dieser künst¬
lichen Rückversetzung in eine gebundene Anschauungsweise der Vergangenheit
herausarbeitet.

Welche Pflege und Verbreitung diese unklaren Richtungen der Neuzeit, in
der Malerei das Naza ren erthum, in der Architektur die für das moderne
Bedürfniß zurechtgemachte romanische Bauweise, in München gefunden haben,
ist bekannt, und wir werden sehen, wie sie ihre Schößlinge bis in die jüngsten
Tage treiben: von den byzantinischen und gothischen Zwischenspielen, welche
mitunterliefen und auch jetzt noch einzelne schwache Nachklänge vernehmen lassen,
nicht zu reden. Durch diese Neuerungen war die kurze classische Kunstblüthe,
die mit Cornelius, Klenze und Rottmann angesetzt hatte und erst im
vollen Aufgehen begriffen war, mit einem Male abgeschnitten. Zugleich tauchte
mit wahrhaft fanatischer Unduldsamkeit die Idee der „nationalen Kunst"
auf. Selbst die Nazarener,'deren überreizte Empfindung sich doch an der vor>
raphaelischen Malerei entzündet hatte, meinten in ihren Producten dem denk,
schen Gefühl einen neuen Ausdruck gegeben zu haben, und jene Bauart, die
in Gärtner über Klenze triumphirte und in der Ludwigsstraße das hoch¬
mütige Angesicht einer versteinerten Langeweile zur Schau trägt, erklärte sich
unumwunden für die wahre, deutsche und zeitgemäße, da sie doch nichts war
als eine bald abgeschwächte, bald vergröberte, immer aber kenntnißlose An¬
wendung der romanischen Kunstweise. Daneben mußten echt deutsche Stoffe,
die Gebilde deutscher Dichter, die Nibelungensage und die Geschichten der
größten deutschen Kaiser, deren Gestalten in der Nacht der Jahrhunderte ver¬
graben waren, im Bilde noch einmal aufleben. Wie hätte man für die alten
Recken und die blonden noch halb barbarischen Kraftmenschen classische Formen
gebrauchen können? In der wilden Größe des Ausdrucks und der Ungeschlacht¬
heit ihrer hünenhaften Glieder, in der sie gern die dichterische Phantasie sich
denkt, mußten die Helden an den Wänden des königlichen Schlosses daher-
schreiten. Zu solchen Aufgaben berufen schlug sich der deutsche Künstler stolz
an die eigene Brust und ging keuschen strengen Blicks an der nackten Anmuth
der Antike, wie an der weichen Ueppigkeit der Renaissance vorüber. Das


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[0092] romantische Stimmung paßte zu gut in die rückströmende und erschlaffte Be¬ wegung vergangener Jahrzehnte, um von der Kirche und den Fürsten nicht be¬ nutzt zu werden; dabei lieh sich zugleich diese gemachte Gcfühlsinnigkcit für deutsch ausgeben und von „nationaler" Kunst schwärmen. Sich selber über¬ lassen, wäre diese- Kunstweise bald in sich zusammengefallen, und wie über ihren Inhalt, so über die gezierte Unbeholfenheit ihrer Formen und die sü߬ liche Schwäche ihres Ausdrucks die innerlich von gesunden Trieben bewegte Zeit zertretenden Schrittes weggegangen. Einer der vornehmsten Vertreter der neuen deutschen Kunst. Cornelius, bietet an sich selber ein bezeichnendes Beispiel, wie bald eine kräftige und gut angelegte Natur sich aus dieser künst¬ lichen Rückversetzung in eine gebundene Anschauungsweise der Vergangenheit herausarbeitet. Welche Pflege und Verbreitung diese unklaren Richtungen der Neuzeit, in der Malerei das Naza ren erthum, in der Architektur die für das moderne Bedürfniß zurechtgemachte romanische Bauweise, in München gefunden haben, ist bekannt, und wir werden sehen, wie sie ihre Schößlinge bis in die jüngsten Tage treiben: von den byzantinischen und gothischen Zwischenspielen, welche mitunterliefen und auch jetzt noch einzelne schwache Nachklänge vernehmen lassen, nicht zu reden. Durch diese Neuerungen war die kurze classische Kunstblüthe, die mit Cornelius, Klenze und Rottmann angesetzt hatte und erst im vollen Aufgehen begriffen war, mit einem Male abgeschnitten. Zugleich tauchte mit wahrhaft fanatischer Unduldsamkeit die Idee der „nationalen Kunst" auf. Selbst die Nazarener,'deren überreizte Empfindung sich doch an der vor> raphaelischen Malerei entzündet hatte, meinten in ihren Producten dem denk, schen Gefühl einen neuen Ausdruck gegeben zu haben, und jene Bauart, die in Gärtner über Klenze triumphirte und in der Ludwigsstraße das hoch¬ mütige Angesicht einer versteinerten Langeweile zur Schau trägt, erklärte sich unumwunden für die wahre, deutsche und zeitgemäße, da sie doch nichts war als eine bald abgeschwächte, bald vergröberte, immer aber kenntnißlose An¬ wendung der romanischen Kunstweise. Daneben mußten echt deutsche Stoffe, die Gebilde deutscher Dichter, die Nibelungensage und die Geschichten der größten deutschen Kaiser, deren Gestalten in der Nacht der Jahrhunderte ver¬ graben waren, im Bilde noch einmal aufleben. Wie hätte man für die alten Recken und die blonden noch halb barbarischen Kraftmenschen classische Formen gebrauchen können? In der wilden Größe des Ausdrucks und der Ungeschlacht¬ heit ihrer hünenhaften Glieder, in der sie gern die dichterische Phantasie sich denkt, mußten die Helden an den Wänden des königlichen Schlosses daher- schreiten. Zu solchen Aufgaben berufen schlug sich der deutsche Künstler stolz an die eigene Brust und ging keuschen strengen Blicks an der nackten Anmuth der Antike, wie an der weichen Ueppigkeit der Renaissance vorüber. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/92>, abgerufen am 23.07.2024.