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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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währen wird. Der Kaiser hat also zwar keineswegs Italien den Weg nach
Rom geöffnet, im Gegentheil, er hat Rom mit einem Bollwerk von Garantien
umgeben; wohl aber hat er dem Papste zu erkennen gegeben, das, der bisher
gewährte Schutz ein Ende nehmen werde, und daß die Curie daher sich rüsten
müsse, den Rest ihres weltlichen BesitztlnimS mit eigener Kraft zu schützen.

Indessen läßt sich nicht in Abrede stellen, daß der Territorialbesitz der
Curie besser als durch äußere Gewalt durch die Schwierigkeit, eine befriedigende
Antwort zu geben auf die Frage, welche Stellung der Papst nach Verlust der
weltlichen Herrschaft einnehmen solle, geschützt wird. Man macht sich in Ita¬
lien die Antwort auf diese Cardinalsfrage sehr leicht, wenn man sie ;u lösen
glaubt durch Formeln wie: "Versöhnung des Papstthums mit Italien", oder:
"eine freie Kirche im freien Staate". Diese Formeln aber sind nicht Lösungen,
sie sind nur Paraphrasen des Problems. Auch anderswo, selbst im protestan¬
tischen Staate, ha" man mit dem Grundsatze: "die Kirche ist frei" keineswegs
unmittelbar eine feste Grundlage für die Ordnung der Beziehungen zwischen
Staat und Kirche gewannen. Der. Gedanke ist ganz richtig, in sofern er als
ideales Ziel für eine langsam reisende, mit besonnener Weisheit und kräftiger
Hand geleitete Entwicklung vorschwebt: er ist eben das Ziel einer Entwickelung,
nicht aber ein Grundgesetz, das man in völligem Verkennen des Verhältnisses
als Ausgangspunkt der Entwickelung setzen könnte. Versucht man dies den¬
noch, so ruft man. während man die Absicht verfolgt, mit einem großen'Worte
eine Principienfrage zu entscheiden, gerade den allererbittertsten Principienstreit
hervor. Man stiftet nicht den Frieden zwischen Staat und Kirche, sondern
schafft ihnen nur Raum zu gegenseitiger Bekämpfung. Indessen im protestanti¬
schen Staate, und auch in der großen Mehrzahl der katholischen Staaten, ist
die Gefahr dieses Kampfes doch nicht so groß, daß' sie die Existenz des Staates
selbst bedrohen könnte. Wo im protestantischen Staate die Kirche in Über¬
spannung des Begriffes der Autonomie dem Staate feindlich entgegentreten
sollte, würde die Staatsgewalt unbedingt ans die Zustimmung der öffentlichen
Meinung rechnen können, wenn sie eine derartige Anmaßung mit Entschiedenheit
in ihre Schranken zurückweist, und wenn sie den Satz, daß keine Macht inner¬
halb der Grenzen des Staates einen höheren Grad von Selbständigkeit bean¬
spruchen kann, als mit den Staatszwecken vereinbar ist, in jedem einzelnem
Falle mit dem gebührenden Nachdruck zur Geltung bringt*). Für Italien aber
wird die Frage, wie die freie Kirche und der freie Staat neben einander be-



") Ein überwiegend Protestantischer Staat steht natürlich zu den Sclbständigkeitsbestrebungcn
der evangelischen Landeskirche in einem anderen Verhältnisse als zu denen der katholischen
Kirche; indessen ist es nicht nöthig, auf diesen Unterschied hier näher einzugehn. Da" oben
Gesagte findet im Wesentlichen Anwendung auf beide Verhältnisse.

währen wird. Der Kaiser hat also zwar keineswegs Italien den Weg nach
Rom geöffnet, im Gegentheil, er hat Rom mit einem Bollwerk von Garantien
umgeben; wohl aber hat er dem Papste zu erkennen gegeben, das, der bisher
gewährte Schutz ein Ende nehmen werde, und daß die Curie daher sich rüsten
müsse, den Rest ihres weltlichen BesitztlnimS mit eigener Kraft zu schützen.

Indessen läßt sich nicht in Abrede stellen, daß der Territorialbesitz der
Curie besser als durch äußere Gewalt durch die Schwierigkeit, eine befriedigende
Antwort zu geben auf die Frage, welche Stellung der Papst nach Verlust der
weltlichen Herrschaft einnehmen solle, geschützt wird. Man macht sich in Ita¬
lien die Antwort auf diese Cardinalsfrage sehr leicht, wenn man sie ;u lösen
glaubt durch Formeln wie: „Versöhnung des Papstthums mit Italien", oder:
„eine freie Kirche im freien Staate". Diese Formeln aber sind nicht Lösungen,
sie sind nur Paraphrasen des Problems. Auch anderswo, selbst im protestan¬
tischen Staate, ha« man mit dem Grundsatze: „die Kirche ist frei" keineswegs
unmittelbar eine feste Grundlage für die Ordnung der Beziehungen zwischen
Staat und Kirche gewannen. Der. Gedanke ist ganz richtig, in sofern er als
ideales Ziel für eine langsam reisende, mit besonnener Weisheit und kräftiger
Hand geleitete Entwicklung vorschwebt: er ist eben das Ziel einer Entwickelung,
nicht aber ein Grundgesetz, das man in völligem Verkennen des Verhältnisses
als Ausgangspunkt der Entwickelung setzen könnte. Versucht man dies den¬
noch, so ruft man. während man die Absicht verfolgt, mit einem großen'Worte
eine Principienfrage zu entscheiden, gerade den allererbittertsten Principienstreit
hervor. Man stiftet nicht den Frieden zwischen Staat und Kirche, sondern
schafft ihnen nur Raum zu gegenseitiger Bekämpfung. Indessen im protestanti¬
schen Staate, und auch in der großen Mehrzahl der katholischen Staaten, ist
die Gefahr dieses Kampfes doch nicht so groß, daß' sie die Existenz des Staates
selbst bedrohen könnte. Wo im protestantischen Staate die Kirche in Über¬
spannung des Begriffes der Autonomie dem Staate feindlich entgegentreten
sollte, würde die Staatsgewalt unbedingt ans die Zustimmung der öffentlichen
Meinung rechnen können, wenn sie eine derartige Anmaßung mit Entschiedenheit
in ihre Schranken zurückweist, und wenn sie den Satz, daß keine Macht inner¬
halb der Grenzen des Staates einen höheren Grad von Selbständigkeit bean¬
spruchen kann, als mit den Staatszwecken vereinbar ist, in jedem einzelnem
Falle mit dem gebührenden Nachdruck zur Geltung bringt*). Für Italien aber
wird die Frage, wie die freie Kirche und der freie Staat neben einander be-



") Ein überwiegend Protestantischer Staat steht natürlich zu den Sclbständigkeitsbestrebungcn
der evangelischen Landeskirche in einem anderen Verhältnisse als zu denen der katholischen
Kirche; indessen ist es nicht nöthig, auf diesen Unterschied hier näher einzugehn. Da« oben
Gesagte findet im Wesentlichen Anwendung auf beide Verhältnisse.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/79>, abgerufen am 23.07.2024.