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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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ähnlicher Schönheit geglänzt! Die Anwendung dieses Fundes auf die längst be¬
kannte Niobegruppe, die Verkeilung der letzteren Statuen in dem festen Rahmen
eines Giebelfeldes war die nächste Folge; eingehende Untersuchungen über ver¬
loren gegangene Giebelgruppen. von denen nur eine schwache Kunde zu uns
gelangt ist, schlössen sich an und fanden in jenen erhaltenen Beispielen ein
sicheres Fundament. -- Andere Funde an dem Tempel von Aigina sowie die
Entdeckung eines großen Frieses im Apollotempel von Bashal unweit Phigaleia.
dessen Platz im Innern des Tempels über den Säulen noch erkennbar war,
erwiesen unwiderleglich, wenn auch nicht ohne Widerspruch, die vielfach an¬
gezweifelte Nachricht, daß die größeren unter den alten Tempeln hypäthral
waren, d. h. ihr Licht durch eine Oeffnung im Dache erhielten. Die Richtig¬
keit dieser Ansicht ward fernerhin durch die genauere Untersuchung bestätigt,
welche nach jenen Funden im griechischen Mutterlande den zahlreichen Tempel¬
resten Siciliens zu Theil ward; die hier üblichen langen und schmalen, durch
abgeschlossene Vorraume und diese Säulenhallen noch mehr verdunkelten Tempel-
cellen würden ohne jenes Auskunftsmittel vollständig finster gewesen sein. --
Noch etwas Anderes aber lehrten uns die Tempel Siciliens und der von Aigina.
Das unedlere, poröse und nicht schön gefärbte Material, aus welchem dieselben
errichtet sind, hatte einen Ueberzug von Stucco, dieser wiederum wegen seines
harten Weiß eine farbigeBemalung hervorgerufen. Ein einfacher Ton bedeckte
Säulen, Wände und andere Flächen, künstlichere Malereien die Gesimse und
sonstigen Verbindungsglieder, wie wir das von den pompejanischen Gebäuden
ja schon länger kannten. Die Frage lag nahe, bis zu welchem Umfange über¬
haupt in der alten Architektur zu verschiedenen Zeiten Farbe angewandt worden
sei. Unser Sinn hat sich an das spröde Weiß und Gold in der Ausschmückung
unsrer Prachtsäle und an die nüchterne Kalktünche unsrer Gotteshäuser so ge¬
wohnt, daß eine lebhaftere Färbung dem Ernst und der Würde des Baues nicht
recht entsprechend scheint. Und doch hat eine genauere Untersuchung gezeigt,
daß nicht blos in den mit Stucco überzogenen, sondern auch in den aus Mar¬
mor errichteten Gebäuden in der That unverkennbare Spuren von Bemalung
sich erhalten haben. Bei diesen letzteren ist dieselbe jedoch auf diejenigen Theile
der Architektur beschränkt, welche von minder einfachem Wesen und minder
klarer Form einer Erklärung ihrer Bedeutung zu bedürfen schienen; während
andere Theile, wie die aufstrebende und tragende Säule, das darauf lastende
Gebälk, die verschließende Wand ihr einfacheres Wesen auch ohne eine solche
Erklärung aussprechen. Das ist aber überhaupt einer der bedeutendsten Fort¬
schritte, den die Erkenntniß griechischer Kunst seit Winckelmann gemacht hat,
die Einsicht, daß Inhalt und Form eins sein und einander decken sollen,
daß "des Körpers Form auch seines Wesens Spiegel" ist. Diese Einsicht ist
zunächst auf dem Felde der Architektur gewonnen. Der hellenische Tempel wurzelt


ähnlicher Schönheit geglänzt! Die Anwendung dieses Fundes auf die längst be¬
kannte Niobegruppe, die Verkeilung der letzteren Statuen in dem festen Rahmen
eines Giebelfeldes war die nächste Folge; eingehende Untersuchungen über ver¬
loren gegangene Giebelgruppen. von denen nur eine schwache Kunde zu uns
gelangt ist, schlössen sich an und fanden in jenen erhaltenen Beispielen ein
sicheres Fundament. — Andere Funde an dem Tempel von Aigina sowie die
Entdeckung eines großen Frieses im Apollotempel von Bashal unweit Phigaleia.
dessen Platz im Innern des Tempels über den Säulen noch erkennbar war,
erwiesen unwiderleglich, wenn auch nicht ohne Widerspruch, die vielfach an¬
gezweifelte Nachricht, daß die größeren unter den alten Tempeln hypäthral
waren, d. h. ihr Licht durch eine Oeffnung im Dache erhielten. Die Richtig¬
keit dieser Ansicht ward fernerhin durch die genauere Untersuchung bestätigt,
welche nach jenen Funden im griechischen Mutterlande den zahlreichen Tempel¬
resten Siciliens zu Theil ward; die hier üblichen langen und schmalen, durch
abgeschlossene Vorraume und diese Säulenhallen noch mehr verdunkelten Tempel-
cellen würden ohne jenes Auskunftsmittel vollständig finster gewesen sein. —
Noch etwas Anderes aber lehrten uns die Tempel Siciliens und der von Aigina.
Das unedlere, poröse und nicht schön gefärbte Material, aus welchem dieselben
errichtet sind, hatte einen Ueberzug von Stucco, dieser wiederum wegen seines
harten Weiß eine farbigeBemalung hervorgerufen. Ein einfacher Ton bedeckte
Säulen, Wände und andere Flächen, künstlichere Malereien die Gesimse und
sonstigen Verbindungsglieder, wie wir das von den pompejanischen Gebäuden
ja schon länger kannten. Die Frage lag nahe, bis zu welchem Umfange über¬
haupt in der alten Architektur zu verschiedenen Zeiten Farbe angewandt worden
sei. Unser Sinn hat sich an das spröde Weiß und Gold in der Ausschmückung
unsrer Prachtsäle und an die nüchterne Kalktünche unsrer Gotteshäuser so ge¬
wohnt, daß eine lebhaftere Färbung dem Ernst und der Würde des Baues nicht
recht entsprechend scheint. Und doch hat eine genauere Untersuchung gezeigt,
daß nicht blos in den mit Stucco überzogenen, sondern auch in den aus Mar¬
mor errichteten Gebäuden in der That unverkennbare Spuren von Bemalung
sich erhalten haben. Bei diesen letzteren ist dieselbe jedoch auf diejenigen Theile
der Architektur beschränkt, welche von minder einfachem Wesen und minder
klarer Form einer Erklärung ihrer Bedeutung zu bedürfen schienen; während
andere Theile, wie die aufstrebende und tragende Säule, das darauf lastende
Gebälk, die verschließende Wand ihr einfacheres Wesen auch ohne eine solche
Erklärung aussprechen. Das ist aber überhaupt einer der bedeutendsten Fort¬
schritte, den die Erkenntniß griechischer Kunst seit Winckelmann gemacht hat,
die Einsicht, daß Inhalt und Form eins sein und einander decken sollen,
daß „des Körpers Form auch seines Wesens Spiegel" ist. Diese Einsicht ist
zunächst auf dem Felde der Architektur gewonnen. Der hellenische Tempel wurzelt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/60>, abgerufen am 23.07.2024.