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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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behenden Beispiele sich eilte übrigen deutschen Staaten wieder zu der verlassenen
Rechtsgrundlage zurückführen lassen sollten. Abgesehen von solchen Extravaganzen
in seinen staatsrechtlichen und politischen Anschauungen ist Wetzells große Be¬
deutung als Rechtslehrer allgemein anerkannt. Sein jetzt in zweiter Auf¬
lage erscheinendes "System des ordentlichen Civilprocesses" gehört zu den
ausgezeichnetsten Leistungen auf diesem Gebiete. Früher schrieb er ein System
des Civilrechts. Die mecklenburgische Ritterschaft wählte ihn zum Oberapclla-
tionsrath, was er aus wirklicher Bescheidenheit ablehnte. Zu gleicher Stellung
ward er im Jahre 1859 nach Kassel und als Professor in demselben Jahre
nach Halle und 1862 nach Jena berufen. Der Großherzog ehrte ihn durch
Verleihung des Titels "Geh. Justizrath", die Universität durch zweimalige
Wahl zum Rector (1860--1862), die Studenten brachten ihm mehrmals einen
Fackelzug. Endlich aber folgte er dennoch dem Rufe nach Tübingen. Das
Gerücht meint, er sei zum Nachfolger Schröters als Justizminister designirt,
womit denn freilich dem Lande ein wo möglich ewiges Beharren innerhalb des
Feudalismus in Aussicht gestellt wäre.

Der älteste der jetzt die Facultät bildenden Professoren ist Otto Mejer.
Er wurde zu Ostern 1831 aus Greifswald berufen, nachdem er vorher in
Göttingen und Königsberg docirt hatte. Im Jahre 1852 wurde er Consistorial-
rath, später Mitglied der Prüfungscommission der Rechtscandidaten für die
Advvcatur, auch großherzoglicher Provisor bei der Kirchenökonomie und bei dem
Jungfrauenkloster zum heiligen Kreuz, im Jahre 1863 Ordinarius des von den
Mitgliedern der Juristenfacultät gebildeten Spruchcollegiums, und ^ demselben
Jahre zweiter Bibliothekar an der Universitätsbibliothek. Sein Hauptfach ist
das Kirchenrecht; er liest aber auch über Staatsrecht und Criminalproceß, fer
ner Encyklopädie und über die öffentliche Criminalrechtspflege in England und
Frankreich. Unter seinen schriftstellerischen Werken ist das hervorragendste: die
Propaganda, ihre Provinzen und ihr Recht (Gött. 1852 f. 2 Bde.); dasselbe
ist auch ins Holländische übersetzt. Außerdem schrieb er: Institutionen des ge¬
meinen deutschen Kirchenrechts (zweite sehr vermehrte Auflage 1856); Kirchenzucht
und Consistorialcompetenz nach mecklenburgischem Recht (1854); Einleitung in
das deutsche Staatsrecht (1861); die Grundlagen des lutherischen Kirchenregiments
(1864). Eine Zeit lang gab er in Verbindung mit Kliefoth eine "theologische
Zeitschrift" heraus. Im Jahre 1853 unterschrieb er mit den Mitgliedern der
theologischen Facultät und einer Anzahl erlanger und leipziger Theologen die
Schrift: "das Bekenntniß der lutherischen Kirche gegen das Bekenntniß des ber¬
liner Kirchentags gewahrt" (Erlangen 1853), durch welche das Verhältniß der*
augsburgischen Konfession zur evangelisch-lutherischen Kirche gegen eine demselben
drohende Verdunkelung sichergestellt werden sollte. Dies ist wohl die erste Ge'
legenden, wo sein specifisches Lutherthum, von welchem zur Zeit seines Unsere-


behenden Beispiele sich eilte übrigen deutschen Staaten wieder zu der verlassenen
Rechtsgrundlage zurückführen lassen sollten. Abgesehen von solchen Extravaganzen
in seinen staatsrechtlichen und politischen Anschauungen ist Wetzells große Be¬
deutung als Rechtslehrer allgemein anerkannt. Sein jetzt in zweiter Auf¬
lage erscheinendes „System des ordentlichen Civilprocesses" gehört zu den
ausgezeichnetsten Leistungen auf diesem Gebiete. Früher schrieb er ein System
des Civilrechts. Die mecklenburgische Ritterschaft wählte ihn zum Oberapclla-
tionsrath, was er aus wirklicher Bescheidenheit ablehnte. Zu gleicher Stellung
ward er im Jahre 1859 nach Kassel und als Professor in demselben Jahre
nach Halle und 1862 nach Jena berufen. Der Großherzog ehrte ihn durch
Verleihung des Titels „Geh. Justizrath", die Universität durch zweimalige
Wahl zum Rector (1860—1862), die Studenten brachten ihm mehrmals einen
Fackelzug. Endlich aber folgte er dennoch dem Rufe nach Tübingen. Das
Gerücht meint, er sei zum Nachfolger Schröters als Justizminister designirt,
womit denn freilich dem Lande ein wo möglich ewiges Beharren innerhalb des
Feudalismus in Aussicht gestellt wäre.

Der älteste der jetzt die Facultät bildenden Professoren ist Otto Mejer.
Er wurde zu Ostern 1831 aus Greifswald berufen, nachdem er vorher in
Göttingen und Königsberg docirt hatte. Im Jahre 1852 wurde er Consistorial-
rath, später Mitglied der Prüfungscommission der Rechtscandidaten für die
Advvcatur, auch großherzoglicher Provisor bei der Kirchenökonomie und bei dem
Jungfrauenkloster zum heiligen Kreuz, im Jahre 1863 Ordinarius des von den
Mitgliedern der Juristenfacultät gebildeten Spruchcollegiums, und ^ demselben
Jahre zweiter Bibliothekar an der Universitätsbibliothek. Sein Hauptfach ist
das Kirchenrecht; er liest aber auch über Staatsrecht und Criminalproceß, fer
ner Encyklopädie und über die öffentliche Criminalrechtspflege in England und
Frankreich. Unter seinen schriftstellerischen Werken ist das hervorragendste: die
Propaganda, ihre Provinzen und ihr Recht (Gött. 1852 f. 2 Bde.); dasselbe
ist auch ins Holländische übersetzt. Außerdem schrieb er: Institutionen des ge¬
meinen deutschen Kirchenrechts (zweite sehr vermehrte Auflage 1856); Kirchenzucht
und Consistorialcompetenz nach mecklenburgischem Recht (1854); Einleitung in
das deutsche Staatsrecht (1861); die Grundlagen des lutherischen Kirchenregiments
(1864). Eine Zeit lang gab er in Verbindung mit Kliefoth eine „theologische
Zeitschrift" heraus. Im Jahre 1853 unterschrieb er mit den Mitgliedern der
theologischen Facultät und einer Anzahl erlanger und leipziger Theologen die
Schrift: „das Bekenntniß der lutherischen Kirche gegen das Bekenntniß des ber¬
liner Kirchentags gewahrt" (Erlangen 1853), durch welche das Verhältniß der*
augsburgischen Konfession zur evangelisch-lutherischen Kirche gegen eine demselben
drohende Verdunkelung sichergestellt werden sollte. Dies ist wohl die erste Ge'
legenden, wo sein specifisches Lutherthum, von welchem zur Zeit seines Unsere-


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[0482] behenden Beispiele sich eilte übrigen deutschen Staaten wieder zu der verlassenen Rechtsgrundlage zurückführen lassen sollten. Abgesehen von solchen Extravaganzen in seinen staatsrechtlichen und politischen Anschauungen ist Wetzells große Be¬ deutung als Rechtslehrer allgemein anerkannt. Sein jetzt in zweiter Auf¬ lage erscheinendes „System des ordentlichen Civilprocesses" gehört zu den ausgezeichnetsten Leistungen auf diesem Gebiete. Früher schrieb er ein System des Civilrechts. Die mecklenburgische Ritterschaft wählte ihn zum Oberapclla- tionsrath, was er aus wirklicher Bescheidenheit ablehnte. Zu gleicher Stellung ward er im Jahre 1859 nach Kassel und als Professor in demselben Jahre nach Halle und 1862 nach Jena berufen. Der Großherzog ehrte ihn durch Verleihung des Titels „Geh. Justizrath", die Universität durch zweimalige Wahl zum Rector (1860—1862), die Studenten brachten ihm mehrmals einen Fackelzug. Endlich aber folgte er dennoch dem Rufe nach Tübingen. Das Gerücht meint, er sei zum Nachfolger Schröters als Justizminister designirt, womit denn freilich dem Lande ein wo möglich ewiges Beharren innerhalb des Feudalismus in Aussicht gestellt wäre. Der älteste der jetzt die Facultät bildenden Professoren ist Otto Mejer. Er wurde zu Ostern 1831 aus Greifswald berufen, nachdem er vorher in Göttingen und Königsberg docirt hatte. Im Jahre 1852 wurde er Consistorial- rath, später Mitglied der Prüfungscommission der Rechtscandidaten für die Advvcatur, auch großherzoglicher Provisor bei der Kirchenökonomie und bei dem Jungfrauenkloster zum heiligen Kreuz, im Jahre 1863 Ordinarius des von den Mitgliedern der Juristenfacultät gebildeten Spruchcollegiums, und ^ demselben Jahre zweiter Bibliothekar an der Universitätsbibliothek. Sein Hauptfach ist das Kirchenrecht; er liest aber auch über Staatsrecht und Criminalproceß, fer ner Encyklopädie und über die öffentliche Criminalrechtspflege in England und Frankreich. Unter seinen schriftstellerischen Werken ist das hervorragendste: die Propaganda, ihre Provinzen und ihr Recht (Gött. 1852 f. 2 Bde.); dasselbe ist auch ins Holländische übersetzt. Außerdem schrieb er: Institutionen des ge¬ meinen deutschen Kirchenrechts (zweite sehr vermehrte Auflage 1856); Kirchenzucht und Consistorialcompetenz nach mecklenburgischem Recht (1854); Einleitung in das deutsche Staatsrecht (1861); die Grundlagen des lutherischen Kirchenregiments (1864). Eine Zeit lang gab er in Verbindung mit Kliefoth eine „theologische Zeitschrift" heraus. Im Jahre 1853 unterschrieb er mit den Mitgliedern der theologischen Facultät und einer Anzahl erlanger und leipziger Theologen die Schrift: „das Bekenntniß der lutherischen Kirche gegen das Bekenntniß des ber¬ liner Kirchentags gewahrt" (Erlangen 1853), durch welche das Verhältniß der* augsburgischen Konfession zur evangelisch-lutherischen Kirche gegen eine demselben drohende Verdunkelung sichergestellt werden sollte. Dies ist wohl die erste Ge' legenden, wo sein specifisches Lutherthum, von welchem zur Zeit seines Unsere-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/482>, abgerufen am 23.07.2024.