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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Parteihader und nationalen Gegensätzen zerrissener, mit Schulden überladener
und dennoch zu durchgreifenden inneren Reformen gezwungener Kleinstaat nicht
fähig sein wird, Deutschlands Nordmark auf die Dauer zu schirmen. Je mehr
man sich die Details dieses kleinstaatlichen Daseins vergegenwärtigt, desto mehr
wächst das Mißtrauen gegen seine Lebenskraft.

Man stelle sich das Nebeneinander königlicher und herzoglicher Behörden
lebhaft vor die Augen; man male sich die verwickelte Lage aus, welche in
jenem angegriffenen Aussatze kurz geschildert wurde; man beachte, daß die
HerzogMimer ein Offiziercorps für ihr Heer nicht besitzen und in dieser Hinsicht
wesentlich von Preußens Gnade abhängen; man denke sich die unklaren Rechts¬
verhältnisse jenes norddeutschen Kanals, auf dessen Bau Preußen nicht ver¬
zichten kann und dessen Ufer preußisch sein müssen: -- und man wird zugestehen,
daß die sogenannte bundesstaatliche Unterordnung ein unhaltbarer Zustand ist
-- ein Zustand. den die Einheitspartei zwar im äußersten Nothfalle als einen
traurigen Nothbehelf annehmen, doch nimmermehr von vornherein erstreben
darf. Die Geschichte des deutschen Bundes bietet bereits ein warnendes
Beispiel. Die Herrschaft Knyphausen stand lange Zeit unter der Suzeränetät
des Großherzogthums Oldenburg. Hier, unter ungleich einfachern Verhält¬
nissen, endete der halbe unwahre Zustand damit, daß der größere Staat den
kleineren verschlang. An den Herzogthümern wird nach menschlichem Ermessen
derselbe Fall noch weit früher eintreten. Auf all diese sachlichen Erwägungen
weiß Herr Biedermann nur Folgendes zu antworten: es soll gar kein dauer¬
hafter Zustand in den Herzogthümern begründet werden, es soll ein Provisorium
dort bestehen, bis dereinst der deutsche Bundesstaat ins Leben und Schleswig-
Holstein in organischen Zusammenhang mit demselben tritt!! So redet derselbe
Mann, welcher der preußischen Regierung für und für die Verlängerung des
Provisoriums mit harten Worten vorwirft. So redet derselbe Mann, welcher
Zugesteht, daß der deutsche Bundesstaat nur durch ein außerordentliches Ereigniß,
vielleicht erst in fünfzig Jahren, gegründet werden kann. Mögen sich die Schles-
wig-Holsteiner bei Herrn Biedermann für seine schmeichelhafte Meinung be¬
danken. Ich kann mich nicht entschließen, einen edlen deutschen Stamm als
einen Cadaver zu betrachten, gut genug, um versuchsweise während zweier
Menschenalter erbkaiserlich- bundesstaatliche Experimente mit ihm anzustellen.
Juden Herzogthümern beginnt endlich, dem Himmel sei Dank, die Einsicht
sich zu regen, daß unsere Nordmark einer endgiltigen Regelung ihrer Verhält¬
nisse bedarf. Schon wagen brave Männer sich offen als Annexionisten zu be¬
kennen -- Männer des Bürgerstands, welche man mit den beliebten Schlag¬
wörtern "Junker" und "Reaktionär" nicht abfertigen kann. Während die un¬
deutsche Gesinnung der Particularisien von Tag zu Tag greller hervortritt,
erhebt eine tapfere Partei im Lande bereits den Ruf: "Anschluß an Preußen


Parteihader und nationalen Gegensätzen zerrissener, mit Schulden überladener
und dennoch zu durchgreifenden inneren Reformen gezwungener Kleinstaat nicht
fähig sein wird, Deutschlands Nordmark auf die Dauer zu schirmen. Je mehr
man sich die Details dieses kleinstaatlichen Daseins vergegenwärtigt, desto mehr
wächst das Mißtrauen gegen seine Lebenskraft.

Man stelle sich das Nebeneinander königlicher und herzoglicher Behörden
lebhaft vor die Augen; man male sich die verwickelte Lage aus, welche in
jenem angegriffenen Aussatze kurz geschildert wurde; man beachte, daß die
HerzogMimer ein Offiziercorps für ihr Heer nicht besitzen und in dieser Hinsicht
wesentlich von Preußens Gnade abhängen; man denke sich die unklaren Rechts¬
verhältnisse jenes norddeutschen Kanals, auf dessen Bau Preußen nicht ver¬
zichten kann und dessen Ufer preußisch sein müssen: — und man wird zugestehen,
daß die sogenannte bundesstaatliche Unterordnung ein unhaltbarer Zustand ist
— ein Zustand. den die Einheitspartei zwar im äußersten Nothfalle als einen
traurigen Nothbehelf annehmen, doch nimmermehr von vornherein erstreben
darf. Die Geschichte des deutschen Bundes bietet bereits ein warnendes
Beispiel. Die Herrschaft Knyphausen stand lange Zeit unter der Suzeränetät
des Großherzogthums Oldenburg. Hier, unter ungleich einfachern Verhält¬
nissen, endete der halbe unwahre Zustand damit, daß der größere Staat den
kleineren verschlang. An den Herzogthümern wird nach menschlichem Ermessen
derselbe Fall noch weit früher eintreten. Auf all diese sachlichen Erwägungen
weiß Herr Biedermann nur Folgendes zu antworten: es soll gar kein dauer¬
hafter Zustand in den Herzogthümern begründet werden, es soll ein Provisorium
dort bestehen, bis dereinst der deutsche Bundesstaat ins Leben und Schleswig-
Holstein in organischen Zusammenhang mit demselben tritt!! So redet derselbe
Mann, welcher der preußischen Regierung für und für die Verlängerung des
Provisoriums mit harten Worten vorwirft. So redet derselbe Mann, welcher
Zugesteht, daß der deutsche Bundesstaat nur durch ein außerordentliches Ereigniß,
vielleicht erst in fünfzig Jahren, gegründet werden kann. Mögen sich die Schles-
wig-Holsteiner bei Herrn Biedermann für seine schmeichelhafte Meinung be¬
danken. Ich kann mich nicht entschließen, einen edlen deutschen Stamm als
einen Cadaver zu betrachten, gut genug, um versuchsweise während zweier
Menschenalter erbkaiserlich- bundesstaatliche Experimente mit ihm anzustellen.
Juden Herzogthümern beginnt endlich, dem Himmel sei Dank, die Einsicht
sich zu regen, daß unsere Nordmark einer endgiltigen Regelung ihrer Verhält¬
nisse bedarf. Schon wagen brave Männer sich offen als Annexionisten zu be¬
kennen — Männer des Bürgerstands, welche man mit den beliebten Schlag¬
wörtern „Junker" und „Reaktionär" nicht abfertigen kann. Während die un¬
deutsche Gesinnung der Particularisien von Tag zu Tag greller hervortritt,
erhebt eine tapfere Partei im Lande bereits den Ruf: „Anschluß an Preußen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/419>, abgerufen am 23.07.2024.