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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Schätzung der Mittel kleinstaatlicher Politik zurückgekehrt und hütet sich Anfor¬
derungen zu stellen, eins welche die Ministerbank zu ihrem eigenen größten Leid¬
wesen mit non xossumus antworten muß. Bayern darf sich nachträglich Glück
wünschen, daß während der ganzen Zeit sein Landtag nicht versammelt war
und somit manches nutzlose Wort ungesprochen geblieben ist.

Diese Veränderung in der ganzen Physiognomie ist das Jnteressanteste
an der diesjährigen Session. Ein einziges Mal, am 28. December, wurde eine
obligate Jnterpellation über den Stand der Herzogthümerfrage an den Minister¬
tisch gerichtet, sie wurde in ebenso obligater Weise am S. Januar vom Frhrn.
v. Varnbühler beantwortet, und damit war es zu Ende. Neues erfuhr man
natürlich bei dieser Gelegenheit nicht. Denn daß der Minister sich mit Ent¬
rüstung gegen die Möglichkeit von Abmachungen mit dem Ausland verwahrte,
verstand sich von selbst. Daß er eine Coalition des "übrigen" Deutschlands zur
Zeit für nicht räthlich erklärte, war ein offenherziges Geständnis) darüber, daß
entweder schon die ersten Vorbesprechungen keinen Erfolg gehabt hatten, oder daß
man in den maßgebenden Kreisen die Lage der Mittelstaaten noch keineswegs
für so bedenklich ansehe, um die Souveränetät einer gemeinsamen Triaspolitik
zum Opfer zu bringen. Wenn Herr v. Varnbühler endlich mit vollem Vertrauen
von der Einigkeit der beiden Großmächte sprach, so drückte sich darin vollends
die Resignation eines Staatsmanns aus, der sich der Grenzen seiner Macht
bewußt ist.

So bescheiden ist Herr v. Varnbühler geworden, daß er ordentlich feurige
Kohlen auf die Häupter derjenigen sammelt, welche ihn des politischen Ehr¬
geizes beschuldigt hatten. Bescheidenheit ist sein einziger Ehrgeiz. Als am
16. Februar bei der Berathung des Budgets der auswärtigen Angelegenheiten
die große Politik noch einmal leicht gestreift wurde und Oesterlen wieder seine
unvermeidlichen Triasprojecte zum Besten gab, äußerte Herr v. Varnbühler mit
liebenswürdiger Offenheit, es sei überhaupt nicht Sache der kleinen Staaten,
große Politik zu treiben, er halte es mit dem Ausspruche eines geistreichen
Mannes: die große Politik sei eine einfache Sache, wenn man 500,000 Bajonnete,
und eini unmögliche Sache, wenn man 20,000 habe; und weise setzte er hinzu,
es genüge für Würtemberg, sich als einen gebildeten Staat kund zu geben, in
Welchem die politische Freiheit richtig zugemessen sei. Wiederholt erklärte der
Minister, in dessen Hand das auswärtige Amt und die Verkehrsanstalten ver¬
einigt sind, daß er sich weit mehr als Lenker der Verkehrsinteressen, denn als
Lenker der auswärtigen Politik betrachte, seine Aufgabe sei vor allem Eisen¬
bahnen zu bauen, und auch die Posten seines auswärtigen Departements ver¬
theidigte er keineswegs mit politischen Gründen, sondern mit den Interessen
des Verkehrs und der Industrie, welche eine auswärtige Vertretung des Staa¬
ts erheischten. Solche Unschuldserklärungen können nun freilich, gerade weil


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Schätzung der Mittel kleinstaatlicher Politik zurückgekehrt und hütet sich Anfor¬
derungen zu stellen, eins welche die Ministerbank zu ihrem eigenen größten Leid¬
wesen mit non xossumus antworten muß. Bayern darf sich nachträglich Glück
wünschen, daß während der ganzen Zeit sein Landtag nicht versammelt war
und somit manches nutzlose Wort ungesprochen geblieben ist.

Diese Veränderung in der ganzen Physiognomie ist das Jnteressanteste
an der diesjährigen Session. Ein einziges Mal, am 28. December, wurde eine
obligate Jnterpellation über den Stand der Herzogthümerfrage an den Minister¬
tisch gerichtet, sie wurde in ebenso obligater Weise am S. Januar vom Frhrn.
v. Varnbühler beantwortet, und damit war es zu Ende. Neues erfuhr man
natürlich bei dieser Gelegenheit nicht. Denn daß der Minister sich mit Ent¬
rüstung gegen die Möglichkeit von Abmachungen mit dem Ausland verwahrte,
verstand sich von selbst. Daß er eine Coalition des „übrigen" Deutschlands zur
Zeit für nicht räthlich erklärte, war ein offenherziges Geständnis) darüber, daß
entweder schon die ersten Vorbesprechungen keinen Erfolg gehabt hatten, oder daß
man in den maßgebenden Kreisen die Lage der Mittelstaaten noch keineswegs
für so bedenklich ansehe, um die Souveränetät einer gemeinsamen Triaspolitik
zum Opfer zu bringen. Wenn Herr v. Varnbühler endlich mit vollem Vertrauen
von der Einigkeit der beiden Großmächte sprach, so drückte sich darin vollends
die Resignation eines Staatsmanns aus, der sich der Grenzen seiner Macht
bewußt ist.

So bescheiden ist Herr v. Varnbühler geworden, daß er ordentlich feurige
Kohlen auf die Häupter derjenigen sammelt, welche ihn des politischen Ehr¬
geizes beschuldigt hatten. Bescheidenheit ist sein einziger Ehrgeiz. Als am
16. Februar bei der Berathung des Budgets der auswärtigen Angelegenheiten
die große Politik noch einmal leicht gestreift wurde und Oesterlen wieder seine
unvermeidlichen Triasprojecte zum Besten gab, äußerte Herr v. Varnbühler mit
liebenswürdiger Offenheit, es sei überhaupt nicht Sache der kleinen Staaten,
große Politik zu treiben, er halte es mit dem Ausspruche eines geistreichen
Mannes: die große Politik sei eine einfache Sache, wenn man 500,000 Bajonnete,
und eini unmögliche Sache, wenn man 20,000 habe; und weise setzte er hinzu,
es genüge für Würtemberg, sich als einen gebildeten Staat kund zu geben, in
Welchem die politische Freiheit richtig zugemessen sei. Wiederholt erklärte der
Minister, in dessen Hand das auswärtige Amt und die Verkehrsanstalten ver¬
einigt sind, daß er sich weit mehr als Lenker der Verkehrsinteressen, denn als
Lenker der auswärtigen Politik betrachte, seine Aufgabe sei vor allem Eisen¬
bahnen zu bauen, und auch die Posten seines auswärtigen Departements ver¬
theidigte er keineswegs mit politischen Gründen, sondern mit den Interessen
des Verkehrs und der Industrie, welche eine auswärtige Vertretung des Staa¬
ts erheischten. Solche Unschuldserklärungen können nun freilich, gerade weil


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[0411] Schätzung der Mittel kleinstaatlicher Politik zurückgekehrt und hütet sich Anfor¬ derungen zu stellen, eins welche die Ministerbank zu ihrem eigenen größten Leid¬ wesen mit non xossumus antworten muß. Bayern darf sich nachträglich Glück wünschen, daß während der ganzen Zeit sein Landtag nicht versammelt war und somit manches nutzlose Wort ungesprochen geblieben ist. Diese Veränderung in der ganzen Physiognomie ist das Jnteressanteste an der diesjährigen Session. Ein einziges Mal, am 28. December, wurde eine obligate Jnterpellation über den Stand der Herzogthümerfrage an den Minister¬ tisch gerichtet, sie wurde in ebenso obligater Weise am S. Januar vom Frhrn. v. Varnbühler beantwortet, und damit war es zu Ende. Neues erfuhr man natürlich bei dieser Gelegenheit nicht. Denn daß der Minister sich mit Ent¬ rüstung gegen die Möglichkeit von Abmachungen mit dem Ausland verwahrte, verstand sich von selbst. Daß er eine Coalition des „übrigen" Deutschlands zur Zeit für nicht räthlich erklärte, war ein offenherziges Geständnis) darüber, daß entweder schon die ersten Vorbesprechungen keinen Erfolg gehabt hatten, oder daß man in den maßgebenden Kreisen die Lage der Mittelstaaten noch keineswegs für so bedenklich ansehe, um die Souveränetät einer gemeinsamen Triaspolitik zum Opfer zu bringen. Wenn Herr v. Varnbühler endlich mit vollem Vertrauen von der Einigkeit der beiden Großmächte sprach, so drückte sich darin vollends die Resignation eines Staatsmanns aus, der sich der Grenzen seiner Macht bewußt ist. So bescheiden ist Herr v. Varnbühler geworden, daß er ordentlich feurige Kohlen auf die Häupter derjenigen sammelt, welche ihn des politischen Ehr¬ geizes beschuldigt hatten. Bescheidenheit ist sein einziger Ehrgeiz. Als am 16. Februar bei der Berathung des Budgets der auswärtigen Angelegenheiten die große Politik noch einmal leicht gestreift wurde und Oesterlen wieder seine unvermeidlichen Triasprojecte zum Besten gab, äußerte Herr v. Varnbühler mit liebenswürdiger Offenheit, es sei überhaupt nicht Sache der kleinen Staaten, große Politik zu treiben, er halte es mit dem Ausspruche eines geistreichen Mannes: die große Politik sei eine einfache Sache, wenn man 500,000 Bajonnete, und eini unmögliche Sache, wenn man 20,000 habe; und weise setzte er hinzu, es genüge für Würtemberg, sich als einen gebildeten Staat kund zu geben, in Welchem die politische Freiheit richtig zugemessen sei. Wiederholt erklärte der Minister, in dessen Hand das auswärtige Amt und die Verkehrsanstalten ver¬ einigt sind, daß er sich weit mehr als Lenker der Verkehrsinteressen, denn als Lenker der auswärtigen Politik betrachte, seine Aufgabe sei vor allem Eisen¬ bahnen zu bauen, und auch die Posten seines auswärtigen Departements ver¬ theidigte er keineswegs mit politischen Gründen, sondern mit den Interessen des Verkehrs und der Industrie, welche eine auswärtige Vertretung des Staa¬ ts erheischten. Solche Unschuldserklärungen können nun freilich, gerade weil 49 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/411>, abgerufen am 23.07.2024.