Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.äußere Politik durchaus keine Bürgschaft für seine Befähigung zur Lösung der Man darf daher auch nicht glauben, daß mit der Beschickung des Neichs- Die Gefahr der gegenwärtigen Situation liegt offenbar darin, daß der äußere Politik durchaus keine Bürgschaft für seine Befähigung zur Lösung der Man darf daher auch nicht glauben, daß mit der Beschickung des Neichs- Die Gefahr der gegenwärtigen Situation liegt offenbar darin, daß der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282646"/> <p xml:id="ID_1113" prev="#ID_1112"> äußere Politik durchaus keine Bürgschaft für seine Befähigung zur Lösung der<lb/> ihn umschlingenden Verwickelungen bietet? Wir billigen, in der Ueberzeugung,<lb/> daß Ungarn nur in der lebendigen Gemeinschaft mit den übrigen Theilen der<lb/> östreichischen Monarchie sich zu einem einflußreichen, kräftigen Gliede des euro¬<lb/> päischen Staatensystems heranbilden kann, die starre, auf Ueberschätzung der<lb/> eigenen Kraft beruhende Selbstgenügsamkeit des magyarischen Nationalismus<lb/> durchaus nicht; aber sie ist vollkommen naturgemäß und erklärlich, so lange<lb/> das neue Oestreich noch in dem Netze der alten Traditionen verstrickt ist, die<lb/> weder mit dem Systeme der innern Verschmelzungspolitik, von dem es seine<lb/> Rettung hofft, vereinbar sind, noch auch den Anforderungen der gegenwärtigen<lb/> Weltlage irgendwie entsprechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1114"> Man darf daher auch nicht glauben, daß mit der Beschickung des Neichs-<lb/> raths durch die Ungarn die Sache bereits überwunden sein würde. Der äußere<lb/> Abschluß der Verfassung (von Venetien sehen wir hier ganz ab) würde keines¬<lb/> wegs zugleich den Abschluß des Nationalitätenkampfes bezeichnen; wohl aber<lb/> würde er den verschiedenen Nationalitäten Gelegenheit geben, ihre Kräfte auf<lb/> verfassungsmäßigen Boden zu erproben und gegen einander zu messen. Wer wollte<lb/> es wagen, einem solchen Kampfe einen günstigen Verlauf, einen glücklichen Aus¬<lb/> gang mit Sicherheit vorherzusagen? Wohl aber darf man behaupten, daß,<lb/> wenn überhaupt die Wiedergeburt des Reiches möglich ist, sie nur dadurch er¬<lb/> reicht werden kann, daß die widerstrebenden, innerlich verfeindeten Elemente<lb/> sich in nächster Nähe, in einer Versammlung auseinanderzusetzen und dadurch<lb/> eben die Möglichkeit einer inneren Wiedervereinigung anzubahnen suchen, und<lb/> wan darf sich wohl der Erwartung hingeben, daß, wenn die verschiedenen con¬<lb/> currirenden Gewalten die Lage der Dinge richtig beurtheilen, die Monarchie<lb/> neu gekräftigt aus dem Conflicte hervorgehen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1115" next="#ID_1116"> Die Gefahr der gegenwärtigen Situation liegt offenbar darin, daß der<lb/> Hauptgegensatz im Innern des Staates seinem Wesen nach der Ausgleichung<lb/> widerstrebt. Nationalitäten haben die natürliche Tendenz, eine die andere zu<lb/> beherrschen, oder sich von einander zu trennen: wenn sie es nicht vermögen zu<lb/> herrschen, so wollen sie wenigstens selbständig sein; aber ganz und gar wider¬<lb/> strebt es ihrer Natur, sich mit einander zu verschmelzen; sie sind daher der<lb/> sprödeste, zäheste Stoff, den ein Staatsmann zu behandeln haben kann. Das<lb/> Wichtigste und nächste Ziel, wonach die östreichische Stacttskunst zu streben hat,<lb/> ^ daher, den absolut starren Gegensatz der Nationalitäten in den auch bei<lb/> ^er äußersten Schroffheit der Gegenstellung immer doch der Ausgleichung fähigen,<lb/> ^ >hr zustrebenden Gegensatz politischer Parteien zu verwandeln. Ist dies Ziel<lb/> Reicht, so ist die Hauptgefahr für den Staat überstanden. Die Vervollstän-<lb/> b'gnug des Parlamentes würde der erste Schritt zu diesem Hiele sein, aber<lb/> eben nur ein Schritt. Auch wäre es thöricht zu glauben, daß man, nachdem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0405]
äußere Politik durchaus keine Bürgschaft für seine Befähigung zur Lösung der
ihn umschlingenden Verwickelungen bietet? Wir billigen, in der Ueberzeugung,
daß Ungarn nur in der lebendigen Gemeinschaft mit den übrigen Theilen der
östreichischen Monarchie sich zu einem einflußreichen, kräftigen Gliede des euro¬
päischen Staatensystems heranbilden kann, die starre, auf Ueberschätzung der
eigenen Kraft beruhende Selbstgenügsamkeit des magyarischen Nationalismus
durchaus nicht; aber sie ist vollkommen naturgemäß und erklärlich, so lange
das neue Oestreich noch in dem Netze der alten Traditionen verstrickt ist, die
weder mit dem Systeme der innern Verschmelzungspolitik, von dem es seine
Rettung hofft, vereinbar sind, noch auch den Anforderungen der gegenwärtigen
Weltlage irgendwie entsprechen.
Man darf daher auch nicht glauben, daß mit der Beschickung des Neichs-
raths durch die Ungarn die Sache bereits überwunden sein würde. Der äußere
Abschluß der Verfassung (von Venetien sehen wir hier ganz ab) würde keines¬
wegs zugleich den Abschluß des Nationalitätenkampfes bezeichnen; wohl aber
würde er den verschiedenen Nationalitäten Gelegenheit geben, ihre Kräfte auf
verfassungsmäßigen Boden zu erproben und gegen einander zu messen. Wer wollte
es wagen, einem solchen Kampfe einen günstigen Verlauf, einen glücklichen Aus¬
gang mit Sicherheit vorherzusagen? Wohl aber darf man behaupten, daß,
wenn überhaupt die Wiedergeburt des Reiches möglich ist, sie nur dadurch er¬
reicht werden kann, daß die widerstrebenden, innerlich verfeindeten Elemente
sich in nächster Nähe, in einer Versammlung auseinanderzusetzen und dadurch
eben die Möglichkeit einer inneren Wiedervereinigung anzubahnen suchen, und
wan darf sich wohl der Erwartung hingeben, daß, wenn die verschiedenen con¬
currirenden Gewalten die Lage der Dinge richtig beurtheilen, die Monarchie
neu gekräftigt aus dem Conflicte hervorgehen wird.
Die Gefahr der gegenwärtigen Situation liegt offenbar darin, daß der
Hauptgegensatz im Innern des Staates seinem Wesen nach der Ausgleichung
widerstrebt. Nationalitäten haben die natürliche Tendenz, eine die andere zu
beherrschen, oder sich von einander zu trennen: wenn sie es nicht vermögen zu
herrschen, so wollen sie wenigstens selbständig sein; aber ganz und gar wider¬
strebt es ihrer Natur, sich mit einander zu verschmelzen; sie sind daher der
sprödeste, zäheste Stoff, den ein Staatsmann zu behandeln haben kann. Das
Wichtigste und nächste Ziel, wonach die östreichische Stacttskunst zu streben hat,
^ daher, den absolut starren Gegensatz der Nationalitäten in den auch bei
^er äußersten Schroffheit der Gegenstellung immer doch der Ausgleichung fähigen,
^ >hr zustrebenden Gegensatz politischer Parteien zu verwandeln. Ist dies Ziel
Reicht, so ist die Hauptgefahr für den Staat überstanden. Die Vervollstän-
b'gnug des Parlamentes würde der erste Schritt zu diesem Hiele sein, aber
eben nur ein Schritt. Auch wäre es thöricht zu glauben, daß man, nachdem
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