Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.wäre nicht günstig für die Autorität der Staatsgewalt, wenn dieser Fortschritt Die angeführten Bedenken mögen dem vertrauenden Patrioten auf den ersten wäre nicht günstig für die Autorität der Staatsgewalt, wenn dieser Fortschritt Die angeführten Bedenken mögen dem vertrauenden Patrioten auf den ersten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282641"/> <p xml:id="ID_1101" prev="#ID_1100"> wäre nicht günstig für die Autorität der Staatsgewalt, wenn dieser Fortschritt<lb/> zur Neichseinheit ohne ihr Zuthun, gewissermaßen auf anarchischen Wege<lb/> sich vollziehen sollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1102"> Die angeführten Bedenken mögen dem vertrauenden Patrioten auf den ersten<lb/> Blick spitzfindig und gesucht erscheinen; sie sind es aber nur, so lange der weitere<lb/> Reichsrath auf seinen jetzigen Umfang beschränkt bleibt, d. h. so lange der<lb/> Unterschied zwischen weiterem und engerem Reichsrath wenig mehr als ein for¬<lb/> maler ist; sie gewinnen große Bedeutung, sobald die Ungarn in den Reichsrath<lb/> treten, und neben dem engeren Reichsrath das ungarische Parlament tagt. Dann<lb/> sind der weitere und engere Reichsrath sehr verschiedene, möglicherweise von ent¬<lb/> gegengesetzten Tendenzen beherrschte Körperschaften; im ungarischen Parlamente<lb/> aber erhebt sich eine dritte Macht, die jedenfalls bemüht sein wird, die Ge-<lb/> sammtvertretung der Monarchie durch ihre Delegirten zu beherrschen. Wie soll<lb/> man nun gegenwärtig die Kompetenz der verschiedenen Versammlungen nicht<lb/> nur in der Ministerverantwortlichkcitsfrage, sondern in allen Fragen von ge¬<lb/> meinsamem und doch wieder jeden der beiden großen Theile der Monarchie in<lb/> besonderer Weise berührenden Interesse abgrenzen, — gegenwärtig, wo man<lb/> sich noch entfernt keine Vorstellung davon machen kann, in welcher Weise staats¬<lb/> rechtlich das Verhältniß der großen Staatskörper zu einander zu ordnen sein<lb/> wird, und. noch viel weniger davon, wie thatsächlich das Machtverhältniß der<lb/> drei Versammlungen sich gestalten wird. — Das Gesagte wird genügen, um<lb/> von den Schwierigkeiten einen Begriff zu geben, auf welche ein jeder das Ver¬<lb/> fassungswesen und namentlich die Competenzfrage betreffende Gesetzvorschlag<lb/> vor der Ausgleichung mit Ungarn stoßen wird. So viel läßt sich aber in<lb/> Betreff der beiden wiener parlamentarischen Körperschaften schon jetzt behaup¬<lb/> ten. daß wie es scheint, gegen die Wünsche der Linken, die Sitzungsperioden<lb/> derselben zu trennen sein werden, und daß es sich als unthunlich herausstellen<lb/> wird, die Tagesordnung etwa mit einer Verhandlung im weiteren Reichsrath<lb/> zu beginnen, und nach Vollendung dieser die Ungarn hinauszuschicken, um<lb/> im engeren Reichsrath weiter zu tagen. Dies würde schon deshalb nicht an¬<lb/> gehen, weil daS ungarische Parlament, welches sich doch nicht einer gleich ge¬<lb/> müthlichen Behandlung würde erfreuen können, durch eine derartige Praxis zu<lb/> sehr in Nachtheil gesetzt würde. Allerdings kann die Regierung dadurch, daß<lb/> die eigentlichen Gesetzgebungsfragen regelmäßig erst nach Erledigung der Bud¬<lb/> getangelegenheit zur Sprache kommen würden, in eine unverhältnißmäßig vor-<lb/> theilhafte Stellung versetzt werden. Dieser Uebelstand ist groß, aber unvermeid¬<lb/> lich: er wird übrigens auch dazu beitragen, die Ueberzeugung zu erwecken, d.'ß<lb/> die Entwickelung der Verfassung, wenn sie nicht ganz ins Stocken gerathen soll,<lb/> aus innerer Nothwendigkeit die Richtung auf Erweiterung der Kompetenz deS<lb/> Gesammtreichsrathes wird einschlagen müssen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
wäre nicht günstig für die Autorität der Staatsgewalt, wenn dieser Fortschritt
zur Neichseinheit ohne ihr Zuthun, gewissermaßen auf anarchischen Wege
sich vollziehen sollte.
Die angeführten Bedenken mögen dem vertrauenden Patrioten auf den ersten
Blick spitzfindig und gesucht erscheinen; sie sind es aber nur, so lange der weitere
Reichsrath auf seinen jetzigen Umfang beschränkt bleibt, d. h. so lange der
Unterschied zwischen weiterem und engerem Reichsrath wenig mehr als ein for¬
maler ist; sie gewinnen große Bedeutung, sobald die Ungarn in den Reichsrath
treten, und neben dem engeren Reichsrath das ungarische Parlament tagt. Dann
sind der weitere und engere Reichsrath sehr verschiedene, möglicherweise von ent¬
gegengesetzten Tendenzen beherrschte Körperschaften; im ungarischen Parlamente
aber erhebt sich eine dritte Macht, die jedenfalls bemüht sein wird, die Ge-
sammtvertretung der Monarchie durch ihre Delegirten zu beherrschen. Wie soll
man nun gegenwärtig die Kompetenz der verschiedenen Versammlungen nicht
nur in der Ministerverantwortlichkcitsfrage, sondern in allen Fragen von ge¬
meinsamem und doch wieder jeden der beiden großen Theile der Monarchie in
besonderer Weise berührenden Interesse abgrenzen, — gegenwärtig, wo man
sich noch entfernt keine Vorstellung davon machen kann, in welcher Weise staats¬
rechtlich das Verhältniß der großen Staatskörper zu einander zu ordnen sein
wird, und. noch viel weniger davon, wie thatsächlich das Machtverhältniß der
drei Versammlungen sich gestalten wird. — Das Gesagte wird genügen, um
von den Schwierigkeiten einen Begriff zu geben, auf welche ein jeder das Ver¬
fassungswesen und namentlich die Competenzfrage betreffende Gesetzvorschlag
vor der Ausgleichung mit Ungarn stoßen wird. So viel läßt sich aber in
Betreff der beiden wiener parlamentarischen Körperschaften schon jetzt behaup¬
ten. daß wie es scheint, gegen die Wünsche der Linken, die Sitzungsperioden
derselben zu trennen sein werden, und daß es sich als unthunlich herausstellen
wird, die Tagesordnung etwa mit einer Verhandlung im weiteren Reichsrath
zu beginnen, und nach Vollendung dieser die Ungarn hinauszuschicken, um
im engeren Reichsrath weiter zu tagen. Dies würde schon deshalb nicht an¬
gehen, weil daS ungarische Parlament, welches sich doch nicht einer gleich ge¬
müthlichen Behandlung würde erfreuen können, durch eine derartige Praxis zu
sehr in Nachtheil gesetzt würde. Allerdings kann die Regierung dadurch, daß
die eigentlichen Gesetzgebungsfragen regelmäßig erst nach Erledigung der Bud¬
getangelegenheit zur Sprache kommen würden, in eine unverhältnißmäßig vor-
theilhafte Stellung versetzt werden. Dieser Uebelstand ist groß, aber unvermeid¬
lich: er wird übrigens auch dazu beitragen, die Ueberzeugung zu erwecken, d.'ß
die Entwickelung der Verfassung, wenn sie nicht ganz ins Stocken gerathen soll,
aus innerer Nothwendigkeit die Richtung auf Erweiterung der Kompetenz deS
Gesammtreichsrathes wird einschlagen müssen.
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