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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Geschlecht der Professoren stempelten, von denen das letztere dem ersteren die
Herrschaft zu entreißen strebte. So weit religiöse Interessen dabei mitwirkten
oder den Vorwand bildeten, war die theologische Facultät der Hauptpunkt des
Angriffs und demnächst auch der Hauptschauplatz der miteinander ringenden
Kräfte. Diese bestand um die Mitte der dreißiger Jahre aus Gustav Friedrich
Wiggers, Anton Theod. Hartmann. Phil. Bauermeister und Karl
Friedr. Aug. Fri dz sah e. Von diesen waren die drei letzteren scharf ausgeprägte
Rationalisten, Wiggers zwar ein auf der Grundlage der kirchlichen Bekennt-
nißschriftcn stehender, aber doch zugleich ein wissenschaftlich freigesinnter Theolog,
dabei ein Mann von tiefer Frömmigkeit und wahrer Humanität, und ein Feind
alles Haders und Streites. Sein Charakterbild ist mit warmen und treuen
Farben in einer Schrift gezeichnet, durch welche einer seiner Söhne ein Jahr
nach seinem Tode sein Andenken ehrte. Gustav Friedrich Wiggers. Ein
Denkmal. Leipzig 1861.) Die Facultät erfreute sich um diese Zeit der größten
inneren Einigkeit. Im Sommer 1835 kam durch Hävernick. welcher, von
der frommen Partei zur Vertretung ihrer Interessen herbeigewinkt. sich als
Privatdocent habilitirte und im Jahre 1837 zum außerordentlichen Professor
ernannt wurde, ein neues, der tholuckschen Schule angehöriges Element hinzu.
Hävernick stand von Halle und seiner dortigen Disputation her in einem
Rufe, welcher seine Niederlassung in Rostock als eine Kriegserklärung gegen die
dortigen rationalistischen Theologen erscheinen ließ und ihm bei diesen gerade
nicht den besten Empfang bereitete. In dem lateinischen Kolloquium, welches
seiner Habilitation voranging, benutzte, wie man erzählt, Fritz sehe die Ge¬
legenheit, ihn sehr in die Enge zu treiben. Seine Fragen soll Hävernick
fast ohne Ausnahme mit einem too nescio beantwortet haben, worauf denn
Fritz sehe ebenso regelmäßig seiner Stimmung durch ein la yuoü miror Aus¬
druck gegeben haben soll, und wäre es nach Fritzsches Willen gegangen, so
würde ihm dieses Colloquium die Thüre zur Habilitation nicht geöffnet haben.
Im Jahre 1838 starb der Professor der alttestamentlichen Exegese, der oben
genannte Hartmann Die Wiederbesetzung dieser Stelle rief im Schoße des
Conciliums heftige Streitigkeiten hervor. Ein der medicinischen Facultät an-
gehöriges Mitglied, der Professor Strempel, erlaubte sich ein natürlich von
theologischer Seite ihm suppeditirtes schriftliches Votum abzugeben, in welchem
nicht blos über die von der theologischen Facultät für die Wicderbesetzung der
erledigten Professur in Vorschlag gebrachten Gelehrten auf das Wegwerfendste
geurthetlt, sondern auch auf die Mitglieder der theologischen Facultät und
nebenher auch noch aus die Vertretung des theologischen Elements im landes¬
herrlichen Consistorium oder mit anderen Worten auf Wiggers als Con-
sistorialrath mit zügelloser Kritik losgefahren ward. Es war dies die Debüt¬
rolle, mit welcher die damals im Aufkeimen begriffene, anfangs im pietistischen


Geschlecht der Professoren stempelten, von denen das letztere dem ersteren die
Herrschaft zu entreißen strebte. So weit religiöse Interessen dabei mitwirkten
oder den Vorwand bildeten, war die theologische Facultät der Hauptpunkt des
Angriffs und demnächst auch der Hauptschauplatz der miteinander ringenden
Kräfte. Diese bestand um die Mitte der dreißiger Jahre aus Gustav Friedrich
Wiggers, Anton Theod. Hartmann. Phil. Bauermeister und Karl
Friedr. Aug. Fri dz sah e. Von diesen waren die drei letzteren scharf ausgeprägte
Rationalisten, Wiggers zwar ein auf der Grundlage der kirchlichen Bekennt-
nißschriftcn stehender, aber doch zugleich ein wissenschaftlich freigesinnter Theolog,
dabei ein Mann von tiefer Frömmigkeit und wahrer Humanität, und ein Feind
alles Haders und Streites. Sein Charakterbild ist mit warmen und treuen
Farben in einer Schrift gezeichnet, durch welche einer seiner Söhne ein Jahr
nach seinem Tode sein Andenken ehrte. Gustav Friedrich Wiggers. Ein
Denkmal. Leipzig 1861.) Die Facultät erfreute sich um diese Zeit der größten
inneren Einigkeit. Im Sommer 1835 kam durch Hävernick. welcher, von
der frommen Partei zur Vertretung ihrer Interessen herbeigewinkt. sich als
Privatdocent habilitirte und im Jahre 1837 zum außerordentlichen Professor
ernannt wurde, ein neues, der tholuckschen Schule angehöriges Element hinzu.
Hävernick stand von Halle und seiner dortigen Disputation her in einem
Rufe, welcher seine Niederlassung in Rostock als eine Kriegserklärung gegen die
dortigen rationalistischen Theologen erscheinen ließ und ihm bei diesen gerade
nicht den besten Empfang bereitete. In dem lateinischen Kolloquium, welches
seiner Habilitation voranging, benutzte, wie man erzählt, Fritz sehe die Ge¬
legenheit, ihn sehr in die Enge zu treiben. Seine Fragen soll Hävernick
fast ohne Ausnahme mit einem too nescio beantwortet haben, worauf denn
Fritz sehe ebenso regelmäßig seiner Stimmung durch ein la yuoü miror Aus¬
druck gegeben haben soll, und wäre es nach Fritzsches Willen gegangen, so
würde ihm dieses Colloquium die Thüre zur Habilitation nicht geöffnet haben.
Im Jahre 1838 starb der Professor der alttestamentlichen Exegese, der oben
genannte Hartmann Die Wiederbesetzung dieser Stelle rief im Schoße des
Conciliums heftige Streitigkeiten hervor. Ein der medicinischen Facultät an-
gehöriges Mitglied, der Professor Strempel, erlaubte sich ein natürlich von
theologischer Seite ihm suppeditirtes schriftliches Votum abzugeben, in welchem
nicht blos über die von der theologischen Facultät für die Wicderbesetzung der
erledigten Professur in Vorschlag gebrachten Gelehrten auf das Wegwerfendste
geurthetlt, sondern auch auf die Mitglieder der theologischen Facultät und
nebenher auch noch aus die Vertretung des theologischen Elements im landes¬
herrlichen Consistorium oder mit anderen Worten auf Wiggers als Con-
sistorialrath mit zügelloser Kritik losgefahren ward. Es war dies die Debüt¬
rolle, mit welcher die damals im Aufkeimen begriffene, anfangs im pietistischen


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[0394] Geschlecht der Professoren stempelten, von denen das letztere dem ersteren die Herrschaft zu entreißen strebte. So weit religiöse Interessen dabei mitwirkten oder den Vorwand bildeten, war die theologische Facultät der Hauptpunkt des Angriffs und demnächst auch der Hauptschauplatz der miteinander ringenden Kräfte. Diese bestand um die Mitte der dreißiger Jahre aus Gustav Friedrich Wiggers, Anton Theod. Hartmann. Phil. Bauermeister und Karl Friedr. Aug. Fri dz sah e. Von diesen waren die drei letzteren scharf ausgeprägte Rationalisten, Wiggers zwar ein auf der Grundlage der kirchlichen Bekennt- nißschriftcn stehender, aber doch zugleich ein wissenschaftlich freigesinnter Theolog, dabei ein Mann von tiefer Frömmigkeit und wahrer Humanität, und ein Feind alles Haders und Streites. Sein Charakterbild ist mit warmen und treuen Farben in einer Schrift gezeichnet, durch welche einer seiner Söhne ein Jahr nach seinem Tode sein Andenken ehrte. Gustav Friedrich Wiggers. Ein Denkmal. Leipzig 1861.) Die Facultät erfreute sich um diese Zeit der größten inneren Einigkeit. Im Sommer 1835 kam durch Hävernick. welcher, von der frommen Partei zur Vertretung ihrer Interessen herbeigewinkt. sich als Privatdocent habilitirte und im Jahre 1837 zum außerordentlichen Professor ernannt wurde, ein neues, der tholuckschen Schule angehöriges Element hinzu. Hävernick stand von Halle und seiner dortigen Disputation her in einem Rufe, welcher seine Niederlassung in Rostock als eine Kriegserklärung gegen die dortigen rationalistischen Theologen erscheinen ließ und ihm bei diesen gerade nicht den besten Empfang bereitete. In dem lateinischen Kolloquium, welches seiner Habilitation voranging, benutzte, wie man erzählt, Fritz sehe die Ge¬ legenheit, ihn sehr in die Enge zu treiben. Seine Fragen soll Hävernick fast ohne Ausnahme mit einem too nescio beantwortet haben, worauf denn Fritz sehe ebenso regelmäßig seiner Stimmung durch ein la yuoü miror Aus¬ druck gegeben haben soll, und wäre es nach Fritzsches Willen gegangen, so würde ihm dieses Colloquium die Thüre zur Habilitation nicht geöffnet haben. Im Jahre 1838 starb der Professor der alttestamentlichen Exegese, der oben genannte Hartmann Die Wiederbesetzung dieser Stelle rief im Schoße des Conciliums heftige Streitigkeiten hervor. Ein der medicinischen Facultät an- gehöriges Mitglied, der Professor Strempel, erlaubte sich ein natürlich von theologischer Seite ihm suppeditirtes schriftliches Votum abzugeben, in welchem nicht blos über die von der theologischen Facultät für die Wicderbesetzung der erledigten Professur in Vorschlag gebrachten Gelehrten auf das Wegwerfendste geurthetlt, sondern auch auf die Mitglieder der theologischen Facultät und nebenher auch noch aus die Vertretung des theologischen Elements im landes¬ herrlichen Consistorium oder mit anderen Worten auf Wiggers als Con- sistorialrath mit zügelloser Kritik losgefahren ward. Es war dies die Debüt¬ rolle, mit welcher die damals im Aufkeimen begriffene, anfangs im pietistischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/394>, abgerufen am 23.07.2024.