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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Wirkungskreis den Vortheil voraus, daß der Krieg die Armee zerstört und
taduls, rasa, geschaffen hatte, wo nur die im Kriege bewährten, wenigen höhern
Offiziere bauen und eben nur neubauen konnten, während. Stein das Alte ver¬
drängen, zerstören mußte, ehe er Neues an seine Stelle setzen konnte. Der
Geist der Reaction drang aber auch in die militärische Welt, machte sich zumal
gegen die Bestrebungen geltend, welche Preußen zu erneutem Kampfe 1809
im Verein mit Oestreich führen wollten und siegte hierin. Gneisenau, der in¬
zwischen zum Oberst und Chef des Jngenieurcorps avancirt war, begnügte sich
nun nicht wie Blücher, Scharnhorst. Uork u. a. mit der rein militärischen,
den unausbleiblichen Kampf vorbereitenden Wirksamkeit im Heere, schloß sich
auch nicht den gegen Napoleon bereits fechtenden Völkern an wie Grolmann,
Dohna u. s. w., er unternahm Politik auf eigene Hand. Er nahm nach dem
Schluß des Krieges 1809 seinen Abschied, ging nach England, Schweden
und Rußland und conspirirte, um einen Krieg gegen Napoleon herbeizuführen.
Klar ist sein Wollen und Wirken hier nicht und wird es auch erst wieder, als
das Jahr 1813 ihn von Neuem der Armee zuführt. -- Vergleichen wir damit
Stein, so sehen wir ihn in Folge der Achterklärung Napoleons zwar auch in
der Fremde, aber immer nahe dem Vaterland und in dem ganzen Leben dessel¬
ben betheiligt, stets zur Sache wirkend, niemals in einer unklaren Stellung.
-- Gneisenau ist eine brillante Persönlichkeit, die überall da, wo sie zur
Handlung berufen wurde, den Genius bewies und Großes leistete; Stein
aber war eine durch und durch solide Natur, die seiner Zeit nicht nur, sondern
auch der ganzen Entwicklung des preußischen Staats den Stempel seines Geistes
ausgedrückt hat. -- So verschieden die beiden Männer, so verschieden ist die Lebens¬
beschreibung derselben von Pertz. Während uns aus Steins Leben der volle
Mann vom Beginn seines Lebens bis zu seinem Schluß, in der öffentlichen
Wirksamkeit wie in der Studirstube, im großen Verkehr wie in der Familie
gegeben wird, erfahren wir von Gneisenau nur Einzelnes, erkennen wir in ihm
nur den begabten Mann, nicht den Genius seiner Zeit und es ist aus dem
Gegebenen nicht möglich, ein harmonisches Bild des Menschen zu formen. Die
kleinen Falten des Herzens haben Pertz bei Gneisenau anscheinend nicht ge¬
fallen, er hat sie deshalb nicht zu ergründen gesucht und kein lebenswarmes
Bild geschaffen. Daß das Gegebene immer ein Product tiefen Studiums und
reichen Fleißes, also wesentlich zur Kenntniß der berührten Zeiten beiträgt, ver¬
steht sich bei dem Verfasser von selbst.

Hätte das Buch den Titel "Pertz, Beiträge zu dem Leben Gneisenaus"
so wäre Charakter und Inhalt schärfer für die Welt gezeichnet als jetzt.

Dies Blatt behält sich vor, nach dem Erscheinen des nächsten Bandes das
Charakterbild Gneisenaus auf Grund des' veröffentlichten Materials zu zeichnen.
Der Herausgeber hat dafür Andern überlassen, was man gern in seinem Werke


Wirkungskreis den Vortheil voraus, daß der Krieg die Armee zerstört und
taduls, rasa, geschaffen hatte, wo nur die im Kriege bewährten, wenigen höhern
Offiziere bauen und eben nur neubauen konnten, während. Stein das Alte ver¬
drängen, zerstören mußte, ehe er Neues an seine Stelle setzen konnte. Der
Geist der Reaction drang aber auch in die militärische Welt, machte sich zumal
gegen die Bestrebungen geltend, welche Preußen zu erneutem Kampfe 1809
im Verein mit Oestreich führen wollten und siegte hierin. Gneisenau, der in¬
zwischen zum Oberst und Chef des Jngenieurcorps avancirt war, begnügte sich
nun nicht wie Blücher, Scharnhorst. Uork u. a. mit der rein militärischen,
den unausbleiblichen Kampf vorbereitenden Wirksamkeit im Heere, schloß sich
auch nicht den gegen Napoleon bereits fechtenden Völkern an wie Grolmann,
Dohna u. s. w., er unternahm Politik auf eigene Hand. Er nahm nach dem
Schluß des Krieges 1809 seinen Abschied, ging nach England, Schweden
und Rußland und conspirirte, um einen Krieg gegen Napoleon herbeizuführen.
Klar ist sein Wollen und Wirken hier nicht und wird es auch erst wieder, als
das Jahr 1813 ihn von Neuem der Armee zuführt. — Vergleichen wir damit
Stein, so sehen wir ihn in Folge der Achterklärung Napoleons zwar auch in
der Fremde, aber immer nahe dem Vaterland und in dem ganzen Leben dessel¬
ben betheiligt, stets zur Sache wirkend, niemals in einer unklaren Stellung.
— Gneisenau ist eine brillante Persönlichkeit, die überall da, wo sie zur
Handlung berufen wurde, den Genius bewies und Großes leistete; Stein
aber war eine durch und durch solide Natur, die seiner Zeit nicht nur, sondern
auch der ganzen Entwicklung des preußischen Staats den Stempel seines Geistes
ausgedrückt hat. — So verschieden die beiden Männer, so verschieden ist die Lebens¬
beschreibung derselben von Pertz. Während uns aus Steins Leben der volle
Mann vom Beginn seines Lebens bis zu seinem Schluß, in der öffentlichen
Wirksamkeit wie in der Studirstube, im großen Verkehr wie in der Familie
gegeben wird, erfahren wir von Gneisenau nur Einzelnes, erkennen wir in ihm
nur den begabten Mann, nicht den Genius seiner Zeit und es ist aus dem
Gegebenen nicht möglich, ein harmonisches Bild des Menschen zu formen. Die
kleinen Falten des Herzens haben Pertz bei Gneisenau anscheinend nicht ge¬
fallen, er hat sie deshalb nicht zu ergründen gesucht und kein lebenswarmes
Bild geschaffen. Daß das Gegebene immer ein Product tiefen Studiums und
reichen Fleißes, also wesentlich zur Kenntniß der berührten Zeiten beiträgt, ver¬
steht sich bei dem Verfasser von selbst.

Hätte das Buch den Titel „Pertz, Beiträge zu dem Leben Gneisenaus"
so wäre Charakter und Inhalt schärfer für die Welt gezeichnet als jetzt.

Dies Blatt behält sich vor, nach dem Erscheinen des nächsten Bandes das
Charakterbild Gneisenaus auf Grund des' veröffentlichten Materials zu zeichnen.
Der Herausgeber hat dafür Andern überlassen, was man gern in seinem Werke


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[0378] Wirkungskreis den Vortheil voraus, daß der Krieg die Armee zerstört und taduls, rasa, geschaffen hatte, wo nur die im Kriege bewährten, wenigen höhern Offiziere bauen und eben nur neubauen konnten, während. Stein das Alte ver¬ drängen, zerstören mußte, ehe er Neues an seine Stelle setzen konnte. Der Geist der Reaction drang aber auch in die militärische Welt, machte sich zumal gegen die Bestrebungen geltend, welche Preußen zu erneutem Kampfe 1809 im Verein mit Oestreich führen wollten und siegte hierin. Gneisenau, der in¬ zwischen zum Oberst und Chef des Jngenieurcorps avancirt war, begnügte sich nun nicht wie Blücher, Scharnhorst. Uork u. a. mit der rein militärischen, den unausbleiblichen Kampf vorbereitenden Wirksamkeit im Heere, schloß sich auch nicht den gegen Napoleon bereits fechtenden Völkern an wie Grolmann, Dohna u. s. w., er unternahm Politik auf eigene Hand. Er nahm nach dem Schluß des Krieges 1809 seinen Abschied, ging nach England, Schweden und Rußland und conspirirte, um einen Krieg gegen Napoleon herbeizuführen. Klar ist sein Wollen und Wirken hier nicht und wird es auch erst wieder, als das Jahr 1813 ihn von Neuem der Armee zuführt. — Vergleichen wir damit Stein, so sehen wir ihn in Folge der Achterklärung Napoleons zwar auch in der Fremde, aber immer nahe dem Vaterland und in dem ganzen Leben dessel¬ ben betheiligt, stets zur Sache wirkend, niemals in einer unklaren Stellung. — Gneisenau ist eine brillante Persönlichkeit, die überall da, wo sie zur Handlung berufen wurde, den Genius bewies und Großes leistete; Stein aber war eine durch und durch solide Natur, die seiner Zeit nicht nur, sondern auch der ganzen Entwicklung des preußischen Staats den Stempel seines Geistes ausgedrückt hat. — So verschieden die beiden Männer, so verschieden ist die Lebens¬ beschreibung derselben von Pertz. Während uns aus Steins Leben der volle Mann vom Beginn seines Lebens bis zu seinem Schluß, in der öffentlichen Wirksamkeit wie in der Studirstube, im großen Verkehr wie in der Familie gegeben wird, erfahren wir von Gneisenau nur Einzelnes, erkennen wir in ihm nur den begabten Mann, nicht den Genius seiner Zeit und es ist aus dem Gegebenen nicht möglich, ein harmonisches Bild des Menschen zu formen. Die kleinen Falten des Herzens haben Pertz bei Gneisenau anscheinend nicht ge¬ fallen, er hat sie deshalb nicht zu ergründen gesucht und kein lebenswarmes Bild geschaffen. Daß das Gegebene immer ein Product tiefen Studiums und reichen Fleißes, also wesentlich zur Kenntniß der berührten Zeiten beiträgt, ver¬ steht sich bei dem Verfasser von selbst. Hätte das Buch den Titel „Pertz, Beiträge zu dem Leben Gneisenaus" so wäre Charakter und Inhalt schärfer für die Welt gezeichnet als jetzt. Dies Blatt behält sich vor, nach dem Erscheinen des nächsten Bandes das Charakterbild Gneisenaus auf Grund des' veröffentlichten Materials zu zeichnen. Der Herausgeber hat dafür Andern überlassen, was man gern in seinem Werke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/378>, abgerufen am 23.07.2024.