Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben ging zuerst im Süden auf, wie immer, wenn der Mensch im Einklang
mit sich selbst und der Natur, sich auf seine eigene Kraft verlassend und ohne
sein Bestes an das Schattenreich eines Jenseits hinzugeben, aus sich ein schönes
Dasein mit frohem Muth gestaltet. Diese Rückkehr aber zur harmonischen Aus¬
bildung des eigenen Innern und zur Natur ging leicht und glücklich von Statten,
weil sie durch günstige Umstände und von einem richtigen Trieb geleitet, einen
sicheren Führer an einer Epoche der Vergangenheit fand, in welcher schon ein¬
mal alle Anlagen des menschlichen Geistes frei und glücklich entwickelt in voll¬
endeter Form ein in sich befriedigtes Dasein geschaffen hatten. So bildete sich
in Italien an der Antike der Humanismus aus, als in Deutschland noch
Wissenschaft und Kunst in den Fesseln der Gothik lagen.

Nicht blos Poesie und Wissenschaft, auch die Architektur griff frühzeitig
zu den Alten zurück. Im Grunde war in Italien die antike Tradition nie
ganz erloschen; zu mächtig war das Vorbild der noch erhaltenen Ueberreste
gewesen, als daß auch eine in entgegengesetzter Anschauung und in halbbarba¬
rischen Zuständen befangene Zeit ihm ganz hätte vorbeigehen können. Um
so leichter ließ sich das nur gelockerte Band fester knüpfen, sobald das innere
Bedürfniß wieder zu den alten Formen drängte. Was hat sich in Bru-
nellesco geregt, welche Pläne, die bis dahin nur dunkel in ihm auf- und nieder¬
stiegen, empfingen festen Umriß und Gestalt, als er in Rom den Tempel aus-
maß und am Pantheon sich zu seiner Kuppel für S. Maria del fiore begeisterte.
Er ist es gewesen, der die Kunst der Antike wiedererweckte und zugleich aus
ihren Trümmern im Sinne einer neuen Zeit eine neue Kunst hervorrief.

Denn die Renaissance ist keine Nachahmung der Antike. Sie wäre nicht
lebensfähig gewesen, wenn ihre Bauweise nicht die ihrem Zeitalter eigenthüm¬
lichen Zwecke befriedigt, die Anordnung des Raumes und der Verhältnisse
in ausdrucksvollen Einklang mit dem neuen Leben gebracht hätte. Wie viel
sie in dieser Hinsicht den ihr vorangehenden Stilen -- besonders dem ro¬
manischen, wie wohl behauptet wird -- zu verdanken habe, wollen wir hier
nicht untersuchen; sicher nicht so viel, daß sie nicht selbst hätte eine schöpferische
Phantasie bewähren müssen. Denn die Gesittung, der ganze Lebenszuschnitt,
aus eine harmonische Entfaltung aller Kräfte und eine heitere Sinnlichkeit
angelegt, war ein anderer als früher und bedingte eine ganz andere Anlage
und Eintheilung des Raums. Eher hätte ihr auch hierin das Massenhafte und
Weiträumige der römischen Bauweise, die mit ihrem offen ausgesprochenen
Quader- und Gewölbebau zuerst rein structiven Principien eine künstlerische
Form zu geben hatte, Vorbild sein können, wie sie es durch ihre Formen
war; und zum Theil war sie das auch, wie ja bekanntlich Bramante die Idee
zu seiner Peterskirche der Basilika Konstantins (dem alten Friedenstempel
Vespasians) entnahm. Insofern traf es sich nicht ungünstig, daß die neuerwa-


Leben ging zuerst im Süden auf, wie immer, wenn der Mensch im Einklang
mit sich selbst und der Natur, sich auf seine eigene Kraft verlassend und ohne
sein Bestes an das Schattenreich eines Jenseits hinzugeben, aus sich ein schönes
Dasein mit frohem Muth gestaltet. Diese Rückkehr aber zur harmonischen Aus¬
bildung des eigenen Innern und zur Natur ging leicht und glücklich von Statten,
weil sie durch günstige Umstände und von einem richtigen Trieb geleitet, einen
sicheren Führer an einer Epoche der Vergangenheit fand, in welcher schon ein¬
mal alle Anlagen des menschlichen Geistes frei und glücklich entwickelt in voll¬
endeter Form ein in sich befriedigtes Dasein geschaffen hatten. So bildete sich
in Italien an der Antike der Humanismus aus, als in Deutschland noch
Wissenschaft und Kunst in den Fesseln der Gothik lagen.

Nicht blos Poesie und Wissenschaft, auch die Architektur griff frühzeitig
zu den Alten zurück. Im Grunde war in Italien die antike Tradition nie
ganz erloschen; zu mächtig war das Vorbild der noch erhaltenen Ueberreste
gewesen, als daß auch eine in entgegengesetzter Anschauung und in halbbarba¬
rischen Zuständen befangene Zeit ihm ganz hätte vorbeigehen können. Um
so leichter ließ sich das nur gelockerte Band fester knüpfen, sobald das innere
Bedürfniß wieder zu den alten Formen drängte. Was hat sich in Bru-
nellesco geregt, welche Pläne, die bis dahin nur dunkel in ihm auf- und nieder¬
stiegen, empfingen festen Umriß und Gestalt, als er in Rom den Tempel aus-
maß und am Pantheon sich zu seiner Kuppel für S. Maria del fiore begeisterte.
Er ist es gewesen, der die Kunst der Antike wiedererweckte und zugleich aus
ihren Trümmern im Sinne einer neuen Zeit eine neue Kunst hervorrief.

Denn die Renaissance ist keine Nachahmung der Antike. Sie wäre nicht
lebensfähig gewesen, wenn ihre Bauweise nicht die ihrem Zeitalter eigenthüm¬
lichen Zwecke befriedigt, die Anordnung des Raumes und der Verhältnisse
in ausdrucksvollen Einklang mit dem neuen Leben gebracht hätte. Wie viel
sie in dieser Hinsicht den ihr vorangehenden Stilen — besonders dem ro¬
manischen, wie wohl behauptet wird — zu verdanken habe, wollen wir hier
nicht untersuchen; sicher nicht so viel, daß sie nicht selbst hätte eine schöpferische
Phantasie bewähren müssen. Denn die Gesittung, der ganze Lebenszuschnitt,
aus eine harmonische Entfaltung aller Kräfte und eine heitere Sinnlichkeit
angelegt, war ein anderer als früher und bedingte eine ganz andere Anlage
und Eintheilung des Raums. Eher hätte ihr auch hierin das Massenhafte und
Weiträumige der römischen Bauweise, die mit ihrem offen ausgesprochenen
Quader- und Gewölbebau zuerst rein structiven Principien eine künstlerische
Form zu geben hatte, Vorbild sein können, wie sie es durch ihre Formen
war; und zum Theil war sie das auch, wie ja bekanntlich Bramante die Idee
zu seiner Peterskirche der Basilika Konstantins (dem alten Friedenstempel
Vespasians) entnahm. Insofern traf es sich nicht ungünstig, daß die neuerwa-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282609"/>
          <p xml:id="ID_1024" prev="#ID_1023"> Leben ging zuerst im Süden auf, wie immer, wenn der Mensch im Einklang<lb/>
mit sich selbst und der Natur, sich auf seine eigene Kraft verlassend und ohne<lb/>
sein Bestes an das Schattenreich eines Jenseits hinzugeben, aus sich ein schönes<lb/>
Dasein mit frohem Muth gestaltet. Diese Rückkehr aber zur harmonischen Aus¬<lb/>
bildung des eigenen Innern und zur Natur ging leicht und glücklich von Statten,<lb/>
weil sie durch günstige Umstände und von einem richtigen Trieb geleitet, einen<lb/>
sicheren Führer an einer Epoche der Vergangenheit fand, in welcher schon ein¬<lb/>
mal alle Anlagen des menschlichen Geistes frei und glücklich entwickelt in voll¬<lb/>
endeter Form ein in sich befriedigtes Dasein geschaffen hatten. So bildete sich<lb/>
in Italien an der Antike der Humanismus aus, als in Deutschland noch<lb/>
Wissenschaft und Kunst in den Fesseln der Gothik lagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1025"> Nicht blos Poesie und Wissenschaft, auch die Architektur griff frühzeitig<lb/>
zu den Alten zurück. Im Grunde war in Italien die antike Tradition nie<lb/>
ganz erloschen; zu mächtig war das Vorbild der noch erhaltenen Ueberreste<lb/>
gewesen, als daß auch eine in entgegengesetzter Anschauung und in halbbarba¬<lb/>
rischen Zuständen befangene Zeit ihm ganz hätte vorbeigehen können. Um<lb/>
so leichter ließ sich das nur gelockerte Band fester knüpfen, sobald das innere<lb/>
Bedürfniß wieder zu den alten Formen drängte. Was hat sich in Bru-<lb/>
nellesco geregt, welche Pläne, die bis dahin nur dunkel in ihm auf- und nieder¬<lb/>
stiegen, empfingen festen Umriß und Gestalt, als er in Rom den Tempel aus-<lb/>
maß und am Pantheon sich zu seiner Kuppel für S. Maria del fiore begeisterte.<lb/>
Er ist es gewesen, der die Kunst der Antike wiedererweckte und zugleich aus<lb/>
ihren Trümmern im Sinne einer neuen Zeit eine neue Kunst hervorrief.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1026" next="#ID_1027"> Denn die Renaissance ist keine Nachahmung der Antike. Sie wäre nicht<lb/>
lebensfähig gewesen, wenn ihre Bauweise nicht die ihrem Zeitalter eigenthüm¬<lb/>
lichen Zwecke befriedigt, die Anordnung des Raumes und der Verhältnisse<lb/>
in ausdrucksvollen Einklang mit dem neuen Leben gebracht hätte. Wie viel<lb/>
sie in dieser Hinsicht den ihr vorangehenden Stilen &#x2014; besonders dem ro¬<lb/>
manischen, wie wohl behauptet wird &#x2014; zu verdanken habe, wollen wir hier<lb/>
nicht untersuchen; sicher nicht so viel, daß sie nicht selbst hätte eine schöpferische<lb/>
Phantasie bewähren müssen. Denn die Gesittung, der ganze Lebenszuschnitt,<lb/>
aus eine harmonische Entfaltung aller Kräfte und eine heitere Sinnlichkeit<lb/>
angelegt, war ein anderer als früher und bedingte eine ganz andere Anlage<lb/>
und Eintheilung des Raums. Eher hätte ihr auch hierin das Massenhafte und<lb/>
Weiträumige der römischen Bauweise, die mit ihrem offen ausgesprochenen<lb/>
Quader- und Gewölbebau zuerst rein structiven Principien eine künstlerische<lb/>
Form zu geben hatte, Vorbild sein können, wie sie es durch ihre Formen<lb/>
war; und zum Theil war sie das auch, wie ja bekanntlich Bramante die Idee<lb/>
zu seiner Peterskirche der Basilika Konstantins (dem alten Friedenstempel<lb/>
Vespasians) entnahm. Insofern traf es sich nicht ungünstig, daß die neuerwa-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0368] Leben ging zuerst im Süden auf, wie immer, wenn der Mensch im Einklang mit sich selbst und der Natur, sich auf seine eigene Kraft verlassend und ohne sein Bestes an das Schattenreich eines Jenseits hinzugeben, aus sich ein schönes Dasein mit frohem Muth gestaltet. Diese Rückkehr aber zur harmonischen Aus¬ bildung des eigenen Innern und zur Natur ging leicht und glücklich von Statten, weil sie durch günstige Umstände und von einem richtigen Trieb geleitet, einen sicheren Führer an einer Epoche der Vergangenheit fand, in welcher schon ein¬ mal alle Anlagen des menschlichen Geistes frei und glücklich entwickelt in voll¬ endeter Form ein in sich befriedigtes Dasein geschaffen hatten. So bildete sich in Italien an der Antike der Humanismus aus, als in Deutschland noch Wissenschaft und Kunst in den Fesseln der Gothik lagen. Nicht blos Poesie und Wissenschaft, auch die Architektur griff frühzeitig zu den Alten zurück. Im Grunde war in Italien die antike Tradition nie ganz erloschen; zu mächtig war das Vorbild der noch erhaltenen Ueberreste gewesen, als daß auch eine in entgegengesetzter Anschauung und in halbbarba¬ rischen Zuständen befangene Zeit ihm ganz hätte vorbeigehen können. Um so leichter ließ sich das nur gelockerte Band fester knüpfen, sobald das innere Bedürfniß wieder zu den alten Formen drängte. Was hat sich in Bru- nellesco geregt, welche Pläne, die bis dahin nur dunkel in ihm auf- und nieder¬ stiegen, empfingen festen Umriß und Gestalt, als er in Rom den Tempel aus- maß und am Pantheon sich zu seiner Kuppel für S. Maria del fiore begeisterte. Er ist es gewesen, der die Kunst der Antike wiedererweckte und zugleich aus ihren Trümmern im Sinne einer neuen Zeit eine neue Kunst hervorrief. Denn die Renaissance ist keine Nachahmung der Antike. Sie wäre nicht lebensfähig gewesen, wenn ihre Bauweise nicht die ihrem Zeitalter eigenthüm¬ lichen Zwecke befriedigt, die Anordnung des Raumes und der Verhältnisse in ausdrucksvollen Einklang mit dem neuen Leben gebracht hätte. Wie viel sie in dieser Hinsicht den ihr vorangehenden Stilen — besonders dem ro¬ manischen, wie wohl behauptet wird — zu verdanken habe, wollen wir hier nicht untersuchen; sicher nicht so viel, daß sie nicht selbst hätte eine schöpferische Phantasie bewähren müssen. Denn die Gesittung, der ganze Lebenszuschnitt, aus eine harmonische Entfaltung aller Kräfte und eine heitere Sinnlichkeit angelegt, war ein anderer als früher und bedingte eine ganz andere Anlage und Eintheilung des Raums. Eher hätte ihr auch hierin das Massenhafte und Weiträumige der römischen Bauweise, die mit ihrem offen ausgesprochenen Quader- und Gewölbebau zuerst rein structiven Principien eine künstlerische Form zu geben hatte, Vorbild sein können, wie sie es durch ihre Formen war; und zum Theil war sie das auch, wie ja bekanntlich Bramante die Idee zu seiner Peterskirche der Basilika Konstantins (dem alten Friedenstempel Vespasians) entnahm. Insofern traf es sich nicht ungünstig, daß die neuerwa-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/368
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/368>, abgerufen am 23.07.2024.