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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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ist: so ist doch zu allen Zeiten die Architektur nicht blos aus die ästhetische
Bildung des gleichzeitigen Geschlechts von Einfluß gewesen. Sie giebt gleich¬
sam das feste Fundament ab, auf dem sich das ganze öffentliche und private
Leben bewegt, und so wirken die Gesetze, nach denen sie den Menschen ihre
Wohnstätte, den Raum für die gemeinsamen Zwecke ihres socialen Daseins und
für die Verehrung ihres Gottes bereitet, auf diese selber, ihre Cultur und ihre
Zustände bestimmend zurück. Zunächst steht sie mit allen den Mitteln und
Einrichtungen, deren wir zu unserem äußeren Leben bedürfen, im engsten Zu¬
sammenhang; von ihr empfangen Industrie und Gewerke den Charakter wie
den Grad ihrer Ausbildung. Aber auch das innere Leben eines Volkes, seine
Anschauung, seine Gesittung, seine Art, in das Gesammtleben Gesetz und Ord¬
nung zu bringen, erfährt von der Architektur mancherlei Einwirkung. In
unserem Jahrhundert, das allzu oft die Erscheinung und die äußeren For¬
men mit einer gewissen Gleichgiltigkeit. ja zum Theil mit blasirter Gering¬
schätzung behandelt und mit der Kunst nur eine lose Verbindung eingegangen
hat, mag dieser Einfluß nicht so fühlbar sein. Aber unmerkbar vollzieht er
sich doch und um so gewisser, als wenigstens die Entwicklung der Gewerbe, die
immer von der Baukunst abhängen, von der Zeit mit unermüdlicher Emsigkeit
betrieben, aus ihre Cultur zurückwirkt.

Von diesen üblen Folgen des neuesten Bauwesens hat sich wenigstens die
eine, welche die Gewerke trifft, jetzt schon eingestellt. An den meisten der neuen
öffentlichen Bauten zeigt die Ausführung, und zwar nicht blos die Arbeit des
Maurers, sondern ebenso die des Schreiners und Schlossers, kurz des Bau¬
handwerkers, einen so augenscheinlichen Mangel an Sorgfalt, Schärfe und Sau¬
berkeit, wie er sich vielleicht an keinem monumentalen Bau aus den letzten
Jahrhunderten findet. Zwar thut man sich nicht wenig auf die Geschicklichkeit
zu Gute, mit der man der Facade des Regierungsgebäudes nach Hafnerart eine
Bekleidung von glasirten Ziegeln in verschiedenen Mustern gegeben hat. Aber
man braucht, was das eigentliche Bauhandwerk anlangt, nur die Verfügung
der Hausteine an den Pfeilern der Münzarkaden zu betrachten und sie mit der
Arbeit an dem nahegelegenen Residenzschloß zu vergleichen, um ein merkwür¬
diges Beispiel von dem Rückschritt zu haben, den in neuester Zeit das Bau¬
handwerk gemacht hat. Wie oberflächlich, lieblos und nachlässig ist erst die Be¬
handlung des Ornaments, wo es nicht blos schablonenhafter Abdruck des
Modells ist. Zu allen Zeiten giebt die Behandlung des Schmucks, der
gleichsam den Bau aus der Fessel des structiven Gesetzes und dem ver¬
schlossenen Leben des Steins in die freie Schönheit organischer Formen sich
hinüberbewegen läßt, einen sichern Maßstab für den künstlerischen Werth,
den die Architektur selber hat. Kann es Wunder nehmen, daß eine Bau¬
kunst, welche mit tändelnder Willkür das Fremdartigste untereinandermengt


ist: so ist doch zu allen Zeiten die Architektur nicht blos aus die ästhetische
Bildung des gleichzeitigen Geschlechts von Einfluß gewesen. Sie giebt gleich¬
sam das feste Fundament ab, auf dem sich das ganze öffentliche und private
Leben bewegt, und so wirken die Gesetze, nach denen sie den Menschen ihre
Wohnstätte, den Raum für die gemeinsamen Zwecke ihres socialen Daseins und
für die Verehrung ihres Gottes bereitet, auf diese selber, ihre Cultur und ihre
Zustände bestimmend zurück. Zunächst steht sie mit allen den Mitteln und
Einrichtungen, deren wir zu unserem äußeren Leben bedürfen, im engsten Zu¬
sammenhang; von ihr empfangen Industrie und Gewerke den Charakter wie
den Grad ihrer Ausbildung. Aber auch das innere Leben eines Volkes, seine
Anschauung, seine Gesittung, seine Art, in das Gesammtleben Gesetz und Ord¬
nung zu bringen, erfährt von der Architektur mancherlei Einwirkung. In
unserem Jahrhundert, das allzu oft die Erscheinung und die äußeren For¬
men mit einer gewissen Gleichgiltigkeit. ja zum Theil mit blasirter Gering¬
schätzung behandelt und mit der Kunst nur eine lose Verbindung eingegangen
hat, mag dieser Einfluß nicht so fühlbar sein. Aber unmerkbar vollzieht er
sich doch und um so gewisser, als wenigstens die Entwicklung der Gewerbe, die
immer von der Baukunst abhängen, von der Zeit mit unermüdlicher Emsigkeit
betrieben, aus ihre Cultur zurückwirkt.

Von diesen üblen Folgen des neuesten Bauwesens hat sich wenigstens die
eine, welche die Gewerke trifft, jetzt schon eingestellt. An den meisten der neuen
öffentlichen Bauten zeigt die Ausführung, und zwar nicht blos die Arbeit des
Maurers, sondern ebenso die des Schreiners und Schlossers, kurz des Bau¬
handwerkers, einen so augenscheinlichen Mangel an Sorgfalt, Schärfe und Sau¬
berkeit, wie er sich vielleicht an keinem monumentalen Bau aus den letzten
Jahrhunderten findet. Zwar thut man sich nicht wenig auf die Geschicklichkeit
zu Gute, mit der man der Facade des Regierungsgebäudes nach Hafnerart eine
Bekleidung von glasirten Ziegeln in verschiedenen Mustern gegeben hat. Aber
man braucht, was das eigentliche Bauhandwerk anlangt, nur die Verfügung
der Hausteine an den Pfeilern der Münzarkaden zu betrachten und sie mit der
Arbeit an dem nahegelegenen Residenzschloß zu vergleichen, um ein merkwür¬
diges Beispiel von dem Rückschritt zu haben, den in neuester Zeit das Bau¬
handwerk gemacht hat. Wie oberflächlich, lieblos und nachlässig ist erst die Be¬
handlung des Ornaments, wo es nicht blos schablonenhafter Abdruck des
Modells ist. Zu allen Zeiten giebt die Behandlung des Schmucks, der
gleichsam den Bau aus der Fessel des structiven Gesetzes und dem ver¬
schlossenen Leben des Steins in die freie Schönheit organischer Formen sich
hinüberbewegen läßt, einen sichern Maßstab für den künstlerischen Werth,
den die Architektur selber hat. Kann es Wunder nehmen, daß eine Bau¬
kunst, welche mit tändelnder Willkür das Fremdartigste untereinandermengt


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[0360] ist: so ist doch zu allen Zeiten die Architektur nicht blos aus die ästhetische Bildung des gleichzeitigen Geschlechts von Einfluß gewesen. Sie giebt gleich¬ sam das feste Fundament ab, auf dem sich das ganze öffentliche und private Leben bewegt, und so wirken die Gesetze, nach denen sie den Menschen ihre Wohnstätte, den Raum für die gemeinsamen Zwecke ihres socialen Daseins und für die Verehrung ihres Gottes bereitet, auf diese selber, ihre Cultur und ihre Zustände bestimmend zurück. Zunächst steht sie mit allen den Mitteln und Einrichtungen, deren wir zu unserem äußeren Leben bedürfen, im engsten Zu¬ sammenhang; von ihr empfangen Industrie und Gewerke den Charakter wie den Grad ihrer Ausbildung. Aber auch das innere Leben eines Volkes, seine Anschauung, seine Gesittung, seine Art, in das Gesammtleben Gesetz und Ord¬ nung zu bringen, erfährt von der Architektur mancherlei Einwirkung. In unserem Jahrhundert, das allzu oft die Erscheinung und die äußeren For¬ men mit einer gewissen Gleichgiltigkeit. ja zum Theil mit blasirter Gering¬ schätzung behandelt und mit der Kunst nur eine lose Verbindung eingegangen hat, mag dieser Einfluß nicht so fühlbar sein. Aber unmerkbar vollzieht er sich doch und um so gewisser, als wenigstens die Entwicklung der Gewerbe, die immer von der Baukunst abhängen, von der Zeit mit unermüdlicher Emsigkeit betrieben, aus ihre Cultur zurückwirkt. Von diesen üblen Folgen des neuesten Bauwesens hat sich wenigstens die eine, welche die Gewerke trifft, jetzt schon eingestellt. An den meisten der neuen öffentlichen Bauten zeigt die Ausführung, und zwar nicht blos die Arbeit des Maurers, sondern ebenso die des Schreiners und Schlossers, kurz des Bau¬ handwerkers, einen so augenscheinlichen Mangel an Sorgfalt, Schärfe und Sau¬ berkeit, wie er sich vielleicht an keinem monumentalen Bau aus den letzten Jahrhunderten findet. Zwar thut man sich nicht wenig auf die Geschicklichkeit zu Gute, mit der man der Facade des Regierungsgebäudes nach Hafnerart eine Bekleidung von glasirten Ziegeln in verschiedenen Mustern gegeben hat. Aber man braucht, was das eigentliche Bauhandwerk anlangt, nur die Verfügung der Hausteine an den Pfeilern der Münzarkaden zu betrachten und sie mit der Arbeit an dem nahegelegenen Residenzschloß zu vergleichen, um ein merkwür¬ diges Beispiel von dem Rückschritt zu haben, den in neuester Zeit das Bau¬ handwerk gemacht hat. Wie oberflächlich, lieblos und nachlässig ist erst die Be¬ handlung des Ornaments, wo es nicht blos schablonenhafter Abdruck des Modells ist. Zu allen Zeiten giebt die Behandlung des Schmucks, der gleichsam den Bau aus der Fessel des structiven Gesetzes und dem ver¬ schlossenen Leben des Steins in die freie Schönheit organischer Formen sich hinüberbewegen läßt, einen sichern Maßstab für den künstlerischen Werth, den die Architektur selber hat. Kann es Wunder nehmen, daß eine Bau¬ kunst, welche mit tändelnder Willkür das Fremdartigste untereinandermengt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/360>, abgerufen am 23.07.2024.