Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dem heftigen Geberdenspiel, das man leidenschaftlichen Menschen wohl zutraut.
Auf den Stoff also und die im eigentlichen Sinn dichterische Stimmung kam
es auch hier an. Ob dabei die Form künstlerisch durchgebildet und der Inhalt
zu freier in sich belebter Erscheinung ganz herausgeführt war: darum kümmerten
sich die Beschauer wenig , und ihrerseits that die Kunst so gut wie nichts, weder
um derlei rein ästhetische Anforderungen anzuregen, noch um sie zu befriedigen.

Das war es gerade, woran es fehlte: am Sinn für die künstlerische, die
erfüllte Form, die ihr Leben und ihren Reiz ganz in sich trägt und den In¬
halt fest in sich geschlossen hält. Man hatte kein Auge für die selbständige
Schönheit der in sich vollendeten Erscheinung. Alle Werke der geschichtlichen
Malerei, mit denen sich unser Zeitalter als eine große Kunstepoche fühlte : was
die große Mehrzahl der Beschauer in ihnen suchte und fand, das war ent¬
weder der ergreifende Inhalt der Geschichte selber oder die interessante Be¬
ziehung zu modernen Ideen. Was die Köpfe beschäftigte, das wollte die
Phantasie auch Versinnlicht sehen; aber so, daß sich dabei doch wieder etwas
denken und erzählen ließ, während sich das Auge am Flimmer und Schimmer
der Stoffe und Geräthe aus den bunten Zeiten ergötzte. Ob der Gegenstand
in den idealen Schein malerischer Form erhoben war, ob seine Erscheinung in
sich selber ein volles Leben trug, darnach frug man nicht. Und der Künstler,
ebenso wie der Beschauer Von der Bedeutung des Objectes durchdrungen, ließ
diese für sich sprechen und vernachlässigte, was das Auge ohnedem nicht ver¬
langte und nicht entbehrte. Das natürlich war zur Wirkung unerläßlich, daß
die Darstellung bis zu einem gewissen Grad den Eindruck bewegter, von einem
ungewöhnlichen Leben ergriffener Natur machte. Was hat Lessing, dem bei allem
Fleiß und Studium nach der Natur die Leichtigkeit des künstlerischen Schwunges
fehlte, was hat die Nibelungenbilder von I. Schmorr, dem man vielleicht nicht
einmal jenes, wenn auch ein reich producirendes Talent zuschreiben kann -- was An¬
deres hat zunächst den Ruhm beider ausgemacht, als daß sie Stoffe, die dem moder¬
nen Bewußtsein bedeutungsvoll geworden, mit einem gewissen geverdenreichen und
aufgeregten Ausdruck geschildert haben? Doch wir können hier nicht weiter
verfolgen, wie viel oder wie wenig die deutsche Kunst that, um die allgemeine
Anschauung zu bilden oder zu veredeln. Wer ihre Geschichte im zweiten Viertel
des Jahrhunderts durchgeht, der wird finden, daß sie in ihren großen Fächern
weit mehr Gewicht auf den Stoff, den Inhalt, als auf die Form legte und so
dem Geschmack des Tages sich fügte.

Doch woran lag es eigentlich, daß unter den Laien die Phantasie im
Dienste des Verstandes blieb und sich mit jeder, auch unzulänglichen Form be¬
gnügte, wenn sie nur an einem interessanten Stoff sich versuchte oder eine
poetische Stimmung halbwegs versinnlichte? daß sie andrerseits der Last des
alltäglichen Daseins unterliegend todt und stumpf war? Gewiß trug daran die


Grenzboten 1. 18os. 37

dem heftigen Geberdenspiel, das man leidenschaftlichen Menschen wohl zutraut.
Auf den Stoff also und die im eigentlichen Sinn dichterische Stimmung kam
es auch hier an. Ob dabei die Form künstlerisch durchgebildet und der Inhalt
zu freier in sich belebter Erscheinung ganz herausgeführt war: darum kümmerten
sich die Beschauer wenig , und ihrerseits that die Kunst so gut wie nichts, weder
um derlei rein ästhetische Anforderungen anzuregen, noch um sie zu befriedigen.

Das war es gerade, woran es fehlte: am Sinn für die künstlerische, die
erfüllte Form, die ihr Leben und ihren Reiz ganz in sich trägt und den In¬
halt fest in sich geschlossen hält. Man hatte kein Auge für die selbständige
Schönheit der in sich vollendeten Erscheinung. Alle Werke der geschichtlichen
Malerei, mit denen sich unser Zeitalter als eine große Kunstepoche fühlte : was
die große Mehrzahl der Beschauer in ihnen suchte und fand, das war ent¬
weder der ergreifende Inhalt der Geschichte selber oder die interessante Be¬
ziehung zu modernen Ideen. Was die Köpfe beschäftigte, das wollte die
Phantasie auch Versinnlicht sehen; aber so, daß sich dabei doch wieder etwas
denken und erzählen ließ, während sich das Auge am Flimmer und Schimmer
der Stoffe und Geräthe aus den bunten Zeiten ergötzte. Ob der Gegenstand
in den idealen Schein malerischer Form erhoben war, ob seine Erscheinung in
sich selber ein volles Leben trug, darnach frug man nicht. Und der Künstler,
ebenso wie der Beschauer Von der Bedeutung des Objectes durchdrungen, ließ
diese für sich sprechen und vernachlässigte, was das Auge ohnedem nicht ver¬
langte und nicht entbehrte. Das natürlich war zur Wirkung unerläßlich, daß
die Darstellung bis zu einem gewissen Grad den Eindruck bewegter, von einem
ungewöhnlichen Leben ergriffener Natur machte. Was hat Lessing, dem bei allem
Fleiß und Studium nach der Natur die Leichtigkeit des künstlerischen Schwunges
fehlte, was hat die Nibelungenbilder von I. Schmorr, dem man vielleicht nicht
einmal jenes, wenn auch ein reich producirendes Talent zuschreiben kann — was An¬
deres hat zunächst den Ruhm beider ausgemacht, als daß sie Stoffe, die dem moder¬
nen Bewußtsein bedeutungsvoll geworden, mit einem gewissen geverdenreichen und
aufgeregten Ausdruck geschildert haben? Doch wir können hier nicht weiter
verfolgen, wie viel oder wie wenig die deutsche Kunst that, um die allgemeine
Anschauung zu bilden oder zu veredeln. Wer ihre Geschichte im zweiten Viertel
des Jahrhunderts durchgeht, der wird finden, daß sie in ihren großen Fächern
weit mehr Gewicht auf den Stoff, den Inhalt, als auf die Form legte und so
dem Geschmack des Tages sich fügte.

Doch woran lag es eigentlich, daß unter den Laien die Phantasie im
Dienste des Verstandes blieb und sich mit jeder, auch unzulänglichen Form be¬
gnügte, wenn sie nur an einem interessanten Stoff sich versuchte oder eine
poetische Stimmung halbwegs versinnlichte? daß sie andrerseits der Last des
alltäglichen Daseins unterliegend todt und stumpf war? Gewiß trug daran die


Grenzboten 1. 18os. 37
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282550"/>
          <p xml:id="ID_849" prev="#ID_848"> dem heftigen Geberdenspiel, das man leidenschaftlichen Menschen wohl zutraut.<lb/>
Auf den Stoff also und die im eigentlichen Sinn dichterische Stimmung kam<lb/>
es auch hier an. Ob dabei die Form künstlerisch durchgebildet und der Inhalt<lb/>
zu freier in sich belebter Erscheinung ganz herausgeführt war: darum kümmerten<lb/>
sich die Beschauer wenig , und ihrerseits that die Kunst so gut wie nichts, weder<lb/>
um derlei rein ästhetische Anforderungen anzuregen, noch um sie zu befriedigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_850"> Das war es gerade, woran es fehlte: am Sinn für die künstlerische, die<lb/>
erfüllte Form, die ihr Leben und ihren Reiz ganz in sich trägt und den In¬<lb/>
halt fest in sich geschlossen hält. Man hatte kein Auge für die selbständige<lb/>
Schönheit der in sich vollendeten Erscheinung. Alle Werke der geschichtlichen<lb/>
Malerei, mit denen sich unser Zeitalter als eine große Kunstepoche fühlte : was<lb/>
die große Mehrzahl der Beschauer in ihnen suchte und fand, das war ent¬<lb/>
weder der ergreifende Inhalt der Geschichte selber oder die interessante Be¬<lb/>
ziehung zu modernen Ideen. Was die Köpfe beschäftigte, das wollte die<lb/>
Phantasie auch Versinnlicht sehen; aber so, daß sich dabei doch wieder etwas<lb/>
denken und erzählen ließ, während sich das Auge am Flimmer und Schimmer<lb/>
der Stoffe und Geräthe aus den bunten Zeiten ergötzte. Ob der Gegenstand<lb/>
in den idealen Schein malerischer Form erhoben war, ob seine Erscheinung in<lb/>
sich selber ein volles Leben trug, darnach frug man nicht. Und der Künstler,<lb/>
ebenso wie der Beschauer Von der Bedeutung des Objectes durchdrungen, ließ<lb/>
diese für sich sprechen und vernachlässigte, was das Auge ohnedem nicht ver¬<lb/>
langte und nicht entbehrte. Das natürlich war zur Wirkung unerläßlich, daß<lb/>
die Darstellung bis zu einem gewissen Grad den Eindruck bewegter, von einem<lb/>
ungewöhnlichen Leben ergriffener Natur machte. Was hat Lessing, dem bei allem<lb/>
Fleiß und Studium nach der Natur die Leichtigkeit des künstlerischen Schwunges<lb/>
fehlte, was hat die Nibelungenbilder von I. Schmorr, dem man vielleicht nicht<lb/>
einmal jenes, wenn auch ein reich producirendes Talent zuschreiben kann &#x2014; was An¬<lb/>
deres hat zunächst den Ruhm beider ausgemacht, als daß sie Stoffe, die dem moder¬<lb/>
nen Bewußtsein bedeutungsvoll geworden, mit einem gewissen geverdenreichen und<lb/>
aufgeregten Ausdruck geschildert haben? Doch wir können hier nicht weiter<lb/>
verfolgen, wie viel oder wie wenig die deutsche Kunst that, um die allgemeine<lb/>
Anschauung zu bilden oder zu veredeln. Wer ihre Geschichte im zweiten Viertel<lb/>
des Jahrhunderts durchgeht, der wird finden, daß sie in ihren großen Fächern<lb/>
weit mehr Gewicht auf den Stoff, den Inhalt, als auf die Form legte und so<lb/>
dem Geschmack des Tages sich fügte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_851" next="#ID_852"> Doch woran lag es eigentlich, daß unter den Laien die Phantasie im<lb/>
Dienste des Verstandes blieb und sich mit jeder, auch unzulänglichen Form be¬<lb/>
gnügte, wenn sie nur an einem interessanten Stoff sich versuchte oder eine<lb/>
poetische Stimmung halbwegs versinnlichte? daß sie andrerseits der Last des<lb/>
alltäglichen Daseins unterliegend todt und stumpf war? Gewiß trug daran die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1. 18os. 37</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0309] dem heftigen Geberdenspiel, das man leidenschaftlichen Menschen wohl zutraut. Auf den Stoff also und die im eigentlichen Sinn dichterische Stimmung kam es auch hier an. Ob dabei die Form künstlerisch durchgebildet und der Inhalt zu freier in sich belebter Erscheinung ganz herausgeführt war: darum kümmerten sich die Beschauer wenig , und ihrerseits that die Kunst so gut wie nichts, weder um derlei rein ästhetische Anforderungen anzuregen, noch um sie zu befriedigen. Das war es gerade, woran es fehlte: am Sinn für die künstlerische, die erfüllte Form, die ihr Leben und ihren Reiz ganz in sich trägt und den In¬ halt fest in sich geschlossen hält. Man hatte kein Auge für die selbständige Schönheit der in sich vollendeten Erscheinung. Alle Werke der geschichtlichen Malerei, mit denen sich unser Zeitalter als eine große Kunstepoche fühlte : was die große Mehrzahl der Beschauer in ihnen suchte und fand, das war ent¬ weder der ergreifende Inhalt der Geschichte selber oder die interessante Be¬ ziehung zu modernen Ideen. Was die Köpfe beschäftigte, das wollte die Phantasie auch Versinnlicht sehen; aber so, daß sich dabei doch wieder etwas denken und erzählen ließ, während sich das Auge am Flimmer und Schimmer der Stoffe und Geräthe aus den bunten Zeiten ergötzte. Ob der Gegenstand in den idealen Schein malerischer Form erhoben war, ob seine Erscheinung in sich selber ein volles Leben trug, darnach frug man nicht. Und der Künstler, ebenso wie der Beschauer Von der Bedeutung des Objectes durchdrungen, ließ diese für sich sprechen und vernachlässigte, was das Auge ohnedem nicht ver¬ langte und nicht entbehrte. Das natürlich war zur Wirkung unerläßlich, daß die Darstellung bis zu einem gewissen Grad den Eindruck bewegter, von einem ungewöhnlichen Leben ergriffener Natur machte. Was hat Lessing, dem bei allem Fleiß und Studium nach der Natur die Leichtigkeit des künstlerischen Schwunges fehlte, was hat die Nibelungenbilder von I. Schmorr, dem man vielleicht nicht einmal jenes, wenn auch ein reich producirendes Talent zuschreiben kann — was An¬ deres hat zunächst den Ruhm beider ausgemacht, als daß sie Stoffe, die dem moder¬ nen Bewußtsein bedeutungsvoll geworden, mit einem gewissen geverdenreichen und aufgeregten Ausdruck geschildert haben? Doch wir können hier nicht weiter verfolgen, wie viel oder wie wenig die deutsche Kunst that, um die allgemeine Anschauung zu bilden oder zu veredeln. Wer ihre Geschichte im zweiten Viertel des Jahrhunderts durchgeht, der wird finden, daß sie in ihren großen Fächern weit mehr Gewicht auf den Stoff, den Inhalt, als auf die Form legte und so dem Geschmack des Tages sich fügte. Doch woran lag es eigentlich, daß unter den Laien die Phantasie im Dienste des Verstandes blieb und sich mit jeder, auch unzulänglichen Form be¬ gnügte, wenn sie nur an einem interessanten Stoff sich versuchte oder eine poetische Stimmung halbwegs versinnlichte? daß sie andrerseits der Last des alltäglichen Daseins unterliegend todt und stumpf war? Gewiß trug daran die Grenzboten 1. 18os. 37

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/309
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/309>, abgerufen am 23.07.2024.