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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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köstlichste Kleinod seiner Habe, den königlichen Siegelring, in die Fluthen. Auch
unsere Fürsten, die der Arm des Höchsten aus der Knechtschaft errettet und hoch
vor aller Welt erhoben hat, wollen dankbar dem Schicksal ein Opfer bringen
-- sie wollen ihren Thron in der Mitte ihrer Völker aufschlagen und mit uns
die Rechte ihrer Hoheit theilen. Noch vermag kein irdisches Auge die Folgen
jener Verheißung zu ermessen, die vor allen deutschen Völkern uns zuerst gegeben
ward, aber ein Rückblick auf die Vergangenheit kann uns ahnen lassen, welche
Segnungen die friedliche Einigung zweier Gewalten, die sich zu aller Zeit feind¬
lich bekämpft haben, Königthum und Volksfreiheit -- welchen neuen Glanz sie
über das Leben der Völker verbreiten werde.

Durch höhere Waldung geschah es, daß sich schon im Leben der alten Völ¬
ker die edleren Kräfte der Menschheit in zwei Brennpunkte sammelten, um mit
vereinter Kraft dem Andrange des Bösen zu widerstehen. Kirche und Staat
waren die grünenden Oasen in dem Flugsande des niedern Lebens, die festen
Stützpunkte, ohne welche die Idee des Rechts und der Heiligkeit längst in dem
Verworrenen Treiben der Sinnlichkeit untergegangen wäre. Lange standen im
Alterthum beide Vereine im engen Bunde, einer vertrat und schützte den andern
--- und je nachdem Gefühl oder Verstand, höheres oder niederes Bedürfniß
vorwaltete, war bald der Staat von der Religion abhängig, bald diese jenem
untergeordnet.

Aber wie auch immer die gegenseitige Beziehung sein mochte, überall stand
der geistige Bund an Reife und Ausbildung weit hinter jenem zurück, ja von
dem Prunk eines spielenden Cultus, von den lockenden Bildern der Phantasie
verdunkelt, schien der Glaube an eine höhere Weltordnung nur unsichtbar auf das
Leben zu wirken. Aber als dort in der Wüsten jene wunderbare Stimme er¬
klang, die des Himmelreiches Ankunft verkündete, da ward der dunkle Traum
zur lebendigen Wahrheit. Gleich einem Königssohne, der frühverloren in
Knechtsgestalt unter Hirten aufgezogen ward und nun aus seinem Dunkel her¬
vortritt und Reich und Scepter seiner Väter fordert -- so trat die Kirche jetzt
sichtbar in das Leben ein und nahm Recht und Macht aus den Händen des
Staates zurück. Und seitdem hat sie in freier Selbständigkeit, unberührt von
dem Wechsel der Staaten, unabhängig von Ort und Zeit ihr unsichtbares Reich
verwaltet.

So war das große Erbtheil der Erde unter die beiden Zwillingsgeschwister
vertheilt. Die Pflege der Geister siel der Kirche, das irdische Gut dem Staate
anheim. Und irdisch, wie seine Bestimmung war auch sein Wandel. Wäh¬
rend die Kirche im Laufe weniger Jahrhunderte für die Ewigkeit gegründet ward,
hat die bürgerliche Verfassung stets zwischen entgegengesetzten Formen geschwankt,
selten die Nothdurft befriedigt, nie den Wunsch erschöpft. Doch hat es den
Anschein, als gehe jetzt die Bahn aufwärts zum Licht, als schwangen wir uns


köstlichste Kleinod seiner Habe, den königlichen Siegelring, in die Fluthen. Auch
unsere Fürsten, die der Arm des Höchsten aus der Knechtschaft errettet und hoch
vor aller Welt erhoben hat, wollen dankbar dem Schicksal ein Opfer bringen
— sie wollen ihren Thron in der Mitte ihrer Völker aufschlagen und mit uns
die Rechte ihrer Hoheit theilen. Noch vermag kein irdisches Auge die Folgen
jener Verheißung zu ermessen, die vor allen deutschen Völkern uns zuerst gegeben
ward, aber ein Rückblick auf die Vergangenheit kann uns ahnen lassen, welche
Segnungen die friedliche Einigung zweier Gewalten, die sich zu aller Zeit feind¬
lich bekämpft haben, Königthum und Volksfreiheit — welchen neuen Glanz sie
über das Leben der Völker verbreiten werde.

Durch höhere Waldung geschah es, daß sich schon im Leben der alten Völ¬
ker die edleren Kräfte der Menschheit in zwei Brennpunkte sammelten, um mit
vereinter Kraft dem Andrange des Bösen zu widerstehen. Kirche und Staat
waren die grünenden Oasen in dem Flugsande des niedern Lebens, die festen
Stützpunkte, ohne welche die Idee des Rechts und der Heiligkeit längst in dem
Verworrenen Treiben der Sinnlichkeit untergegangen wäre. Lange standen im
Alterthum beide Vereine im engen Bunde, einer vertrat und schützte den andern
—- und je nachdem Gefühl oder Verstand, höheres oder niederes Bedürfniß
vorwaltete, war bald der Staat von der Religion abhängig, bald diese jenem
untergeordnet.

Aber wie auch immer die gegenseitige Beziehung sein mochte, überall stand
der geistige Bund an Reife und Ausbildung weit hinter jenem zurück, ja von
dem Prunk eines spielenden Cultus, von den lockenden Bildern der Phantasie
verdunkelt, schien der Glaube an eine höhere Weltordnung nur unsichtbar auf das
Leben zu wirken. Aber als dort in der Wüsten jene wunderbare Stimme er¬
klang, die des Himmelreiches Ankunft verkündete, da ward der dunkle Traum
zur lebendigen Wahrheit. Gleich einem Königssohne, der frühverloren in
Knechtsgestalt unter Hirten aufgezogen ward und nun aus seinem Dunkel her¬
vortritt und Reich und Scepter seiner Väter fordert — so trat die Kirche jetzt
sichtbar in das Leben ein und nahm Recht und Macht aus den Händen des
Staates zurück. Und seitdem hat sie in freier Selbständigkeit, unberührt von
dem Wechsel der Staaten, unabhängig von Ort und Zeit ihr unsichtbares Reich
verwaltet.

So war das große Erbtheil der Erde unter die beiden Zwillingsgeschwister
vertheilt. Die Pflege der Geister siel der Kirche, das irdische Gut dem Staate
anheim. Und irdisch, wie seine Bestimmung war auch sein Wandel. Wäh¬
rend die Kirche im Laufe weniger Jahrhunderte für die Ewigkeit gegründet ward,
hat die bürgerliche Verfassung stets zwischen entgegengesetzten Formen geschwankt,
selten die Nothdurft befriedigt, nie den Wunsch erschöpft. Doch hat es den
Anschein, als gehe jetzt die Bahn aufwärts zum Licht, als schwangen wir uns


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[0302] köstlichste Kleinod seiner Habe, den königlichen Siegelring, in die Fluthen. Auch unsere Fürsten, die der Arm des Höchsten aus der Knechtschaft errettet und hoch vor aller Welt erhoben hat, wollen dankbar dem Schicksal ein Opfer bringen — sie wollen ihren Thron in der Mitte ihrer Völker aufschlagen und mit uns die Rechte ihrer Hoheit theilen. Noch vermag kein irdisches Auge die Folgen jener Verheißung zu ermessen, die vor allen deutschen Völkern uns zuerst gegeben ward, aber ein Rückblick auf die Vergangenheit kann uns ahnen lassen, welche Segnungen die friedliche Einigung zweier Gewalten, die sich zu aller Zeit feind¬ lich bekämpft haben, Königthum und Volksfreiheit — welchen neuen Glanz sie über das Leben der Völker verbreiten werde. Durch höhere Waldung geschah es, daß sich schon im Leben der alten Völ¬ ker die edleren Kräfte der Menschheit in zwei Brennpunkte sammelten, um mit vereinter Kraft dem Andrange des Bösen zu widerstehen. Kirche und Staat waren die grünenden Oasen in dem Flugsande des niedern Lebens, die festen Stützpunkte, ohne welche die Idee des Rechts und der Heiligkeit längst in dem Verworrenen Treiben der Sinnlichkeit untergegangen wäre. Lange standen im Alterthum beide Vereine im engen Bunde, einer vertrat und schützte den andern —- und je nachdem Gefühl oder Verstand, höheres oder niederes Bedürfniß vorwaltete, war bald der Staat von der Religion abhängig, bald diese jenem untergeordnet. Aber wie auch immer die gegenseitige Beziehung sein mochte, überall stand der geistige Bund an Reife und Ausbildung weit hinter jenem zurück, ja von dem Prunk eines spielenden Cultus, von den lockenden Bildern der Phantasie verdunkelt, schien der Glaube an eine höhere Weltordnung nur unsichtbar auf das Leben zu wirken. Aber als dort in der Wüsten jene wunderbare Stimme er¬ klang, die des Himmelreiches Ankunft verkündete, da ward der dunkle Traum zur lebendigen Wahrheit. Gleich einem Königssohne, der frühverloren in Knechtsgestalt unter Hirten aufgezogen ward und nun aus seinem Dunkel her¬ vortritt und Reich und Scepter seiner Väter fordert — so trat die Kirche jetzt sichtbar in das Leben ein und nahm Recht und Macht aus den Händen des Staates zurück. Und seitdem hat sie in freier Selbständigkeit, unberührt von dem Wechsel der Staaten, unabhängig von Ort und Zeit ihr unsichtbares Reich verwaltet. So war das große Erbtheil der Erde unter die beiden Zwillingsgeschwister vertheilt. Die Pflege der Geister siel der Kirche, das irdische Gut dem Staate anheim. Und irdisch, wie seine Bestimmung war auch sein Wandel. Wäh¬ rend die Kirche im Laufe weniger Jahrhunderte für die Ewigkeit gegründet ward, hat die bürgerliche Verfassung stets zwischen entgegengesetzten Formen geschwankt, selten die Nothdurft befriedigt, nie den Wunsch erschöpft. Doch hat es den Anschein, als gehe jetzt die Bahn aufwärts zum Licht, als schwangen wir uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/302>, abgerufen am 23.07.2024.