Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zösischen Gewände auf die höheren Stände wirken, im englischen aber auf die
Gesammtheit des Volkes

Das Charakteristische des Englischen ist eine bedeutende Abschwächung der
angelsächsischen Bildungsformen und eine starke Beimischung des französischen
Sprachstoffs. Natürlich treten beide Erscheinungen nur ganz allmälig ein, weshalb
man auch durchaus nicht ein bestimmtes Jahr als Beginn des Englischen an¬
geben kann. In der Geschichte der englischen Sprachen aber lassen sich drei
Perioden unterscheiden: Altenglisch, Mittelenglisch und Neuenglisch.

Hundert Jahre umfaßt die Periode des Altenglischen, welche man füglich
auch die des Schwankens in Laut, Schrift und Darstellung nennen könnte.
Während dieser Zeit stehen zwei Accentuationsgesetze einander gegenüber, schwä¬
chen die alten Formen sich mehr und mehr ab. In der starken Conjugation
mindert sich der Plurale Uhland und in der schwachen geht der vollere Ablci-
tungsvocal des Präteritums in das flachere e über; die Pluralendung des Prä¬
sens fehlt schon bisweilen, der Infinitiv stößt sein n oft ab und im activen
Particip fleht iuZ neben nördlichem eMö, anäe und selbst französischem aut.
Die Declination des Substantivs zeigt nur Trümmer, den Genitiv des Singu¬
lar auf -- s> es, is und den des Plural auf -- vus, letzteren selten, beide
aber oft vertreten durch Präpositionen. Die unverstandene Dvppelform des
Superlativs in -- est wird vertauscht mit dem leichter begreiflichen most.
Auch bei den Fürwörtern schwächen sich die Formen ab, die Genitive der Per-
sonalpronomina verschwinden gänzlich, der Dativ und Accusativ fallen zusam¬
men, der Dativ wird durch Präpositionen unterschieden und der Genitiv ersetzt.
Die französische Accentuation greift allenthalben in das deutsche Gebiet über.

Bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein reicht die Periode des Mittel¬
englischen, welche im Gegensatz zum Altenglischen die Periode der Rcconstruction
genannt werden kann. In der Conjugation mindern sich die starken Verden,
der Plurale Uhland beginnt zu schwinden und die Infinitive stoßen oft ihre
Endungen ab. Bei den Substantiven schwindet, die umlautenden Plurale aus¬
genommen, der Genitiv des Plurals. Die Beugung der Fürwörter beschränkt
sich auf Nominativ und Accusativ, nur im Interrogativ bleibt noch der Genitiv.
Waren im Altenglischen durch das Eindringen der französischen Accentuation
die deutschen Elemente ins Schwanken gerathen, so beginnt jetzt eine wohlthä¬
tige Reaction und eine Menge französischer Wörter werden bereits von Dichtern
auch mit deutscher Betonung gebraucht.

Betrachten wir nun das aus dem Wege völliger Vereinigung des germa¬
nischen und romanischen Elementes fortgeschrittene Neuenglisch, so gewahren
wir bald, daß es in technischer Beziehung im siebzehnten und achtzehnten Jahr¬
hundert eine solche Durchbildung erfahren hat, daß es die Kraft der germa¬
nischen Sprachen mit der Geschmeidigkeit der romanischen vereinigt und für


34"

zösischen Gewände auf die höheren Stände wirken, im englischen aber auf die
Gesammtheit des Volkes

Das Charakteristische des Englischen ist eine bedeutende Abschwächung der
angelsächsischen Bildungsformen und eine starke Beimischung des französischen
Sprachstoffs. Natürlich treten beide Erscheinungen nur ganz allmälig ein, weshalb
man auch durchaus nicht ein bestimmtes Jahr als Beginn des Englischen an¬
geben kann. In der Geschichte der englischen Sprachen aber lassen sich drei
Perioden unterscheiden: Altenglisch, Mittelenglisch und Neuenglisch.

Hundert Jahre umfaßt die Periode des Altenglischen, welche man füglich
auch die des Schwankens in Laut, Schrift und Darstellung nennen könnte.
Während dieser Zeit stehen zwei Accentuationsgesetze einander gegenüber, schwä¬
chen die alten Formen sich mehr und mehr ab. In der starken Conjugation
mindert sich der Plurale Uhland und in der schwachen geht der vollere Ablci-
tungsvocal des Präteritums in das flachere e über; die Pluralendung des Prä¬
sens fehlt schon bisweilen, der Infinitiv stößt sein n oft ab und im activen
Particip fleht iuZ neben nördlichem eMö, anäe und selbst französischem aut.
Die Declination des Substantivs zeigt nur Trümmer, den Genitiv des Singu¬
lar auf — s> es, is und den des Plural auf — vus, letzteren selten, beide
aber oft vertreten durch Präpositionen. Die unverstandene Dvppelform des
Superlativs in — est wird vertauscht mit dem leichter begreiflichen most.
Auch bei den Fürwörtern schwächen sich die Formen ab, die Genitive der Per-
sonalpronomina verschwinden gänzlich, der Dativ und Accusativ fallen zusam¬
men, der Dativ wird durch Präpositionen unterschieden und der Genitiv ersetzt.
Die französische Accentuation greift allenthalben in das deutsche Gebiet über.

Bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein reicht die Periode des Mittel¬
englischen, welche im Gegensatz zum Altenglischen die Periode der Rcconstruction
genannt werden kann. In der Conjugation mindern sich die starken Verden,
der Plurale Uhland beginnt zu schwinden und die Infinitive stoßen oft ihre
Endungen ab. Bei den Substantiven schwindet, die umlautenden Plurale aus¬
genommen, der Genitiv des Plurals. Die Beugung der Fürwörter beschränkt
sich auf Nominativ und Accusativ, nur im Interrogativ bleibt noch der Genitiv.
Waren im Altenglischen durch das Eindringen der französischen Accentuation
die deutschen Elemente ins Schwanken gerathen, so beginnt jetzt eine wohlthä¬
tige Reaction und eine Menge französischer Wörter werden bereits von Dichtern
auch mit deutscher Betonung gebraucht.

Betrachten wir nun das aus dem Wege völliger Vereinigung des germa¬
nischen und romanischen Elementes fortgeschrittene Neuenglisch, so gewahren
wir bald, daß es in technischer Beziehung im siebzehnten und achtzehnten Jahr¬
hundert eine solche Durchbildung erfahren hat, daß es die Kraft der germa¬
nischen Sprachen mit der Geschmeidigkeit der romanischen vereinigt und für


34"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282526"/>
          <p xml:id="ID_776" prev="#ID_775"> zösischen Gewände auf die höheren Stände wirken, im englischen aber auf die<lb/>
Gesammtheit des Volkes</p><lb/>
          <p xml:id="ID_777"> Das Charakteristische des Englischen ist eine bedeutende Abschwächung der<lb/>
angelsächsischen Bildungsformen und eine starke Beimischung des französischen<lb/>
Sprachstoffs. Natürlich treten beide Erscheinungen nur ganz allmälig ein, weshalb<lb/>
man auch durchaus nicht ein bestimmtes Jahr als Beginn des Englischen an¬<lb/>
geben kann. In der Geschichte der englischen Sprachen aber lassen sich drei<lb/>
Perioden unterscheiden: Altenglisch, Mittelenglisch und Neuenglisch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_778"> Hundert Jahre umfaßt die Periode des Altenglischen, welche man füglich<lb/>
auch die des Schwankens in Laut, Schrift und Darstellung nennen könnte.<lb/>
Während dieser Zeit stehen zwei Accentuationsgesetze einander gegenüber, schwä¬<lb/>
chen die alten Formen sich mehr und mehr ab. In der starken Conjugation<lb/>
mindert sich der Plurale Uhland und in der schwachen geht der vollere Ablci-<lb/>
tungsvocal des Präteritums in das flachere e über; die Pluralendung des Prä¬<lb/>
sens fehlt schon bisweilen, der Infinitiv stößt sein n oft ab und im activen<lb/>
Particip fleht iuZ neben nördlichem eMö, anäe und selbst französischem aut.<lb/>
Die Declination des Substantivs zeigt nur Trümmer, den Genitiv des Singu¬<lb/>
lar auf &#x2014; s&gt; es, is und den des Plural auf &#x2014; vus, letzteren selten, beide<lb/>
aber oft vertreten durch Präpositionen. Die unverstandene Dvppelform des<lb/>
Superlativs in &#x2014; est wird vertauscht mit dem leichter begreiflichen most.<lb/>
Auch bei den Fürwörtern schwächen sich die Formen ab, die Genitive der Per-<lb/>
sonalpronomina verschwinden gänzlich, der Dativ und Accusativ fallen zusam¬<lb/>
men, der Dativ wird durch Präpositionen unterschieden und der Genitiv ersetzt.<lb/>
Die französische Accentuation greift allenthalben in das deutsche Gebiet über.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_779"> Bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein reicht die Periode des Mittel¬<lb/>
englischen, welche im Gegensatz zum Altenglischen die Periode der Rcconstruction<lb/>
genannt werden kann. In der Conjugation mindern sich die starken Verden,<lb/>
der Plurale Uhland beginnt zu schwinden und die Infinitive stoßen oft ihre<lb/>
Endungen ab. Bei den Substantiven schwindet, die umlautenden Plurale aus¬<lb/>
genommen, der Genitiv des Plurals. Die Beugung der Fürwörter beschränkt<lb/>
sich auf Nominativ und Accusativ, nur im Interrogativ bleibt noch der Genitiv.<lb/>
Waren im Altenglischen durch das Eindringen der französischen Accentuation<lb/>
die deutschen Elemente ins Schwanken gerathen, so beginnt jetzt eine wohlthä¬<lb/>
tige Reaction und eine Menge französischer Wörter werden bereits von Dichtern<lb/>
auch mit deutscher Betonung gebraucht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_780" next="#ID_781"> Betrachten wir nun das aus dem Wege völliger Vereinigung des germa¬<lb/>
nischen und romanischen Elementes fortgeschrittene Neuenglisch, so gewahren<lb/>
wir bald, daß es in technischer Beziehung im siebzehnten und achtzehnten Jahr¬<lb/>
hundert eine solche Durchbildung erfahren hat, daß es die Kraft der germa¬<lb/>
nischen Sprachen mit der Geschmeidigkeit der romanischen vereinigt und für</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 34"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0285] zösischen Gewände auf die höheren Stände wirken, im englischen aber auf die Gesammtheit des Volkes Das Charakteristische des Englischen ist eine bedeutende Abschwächung der angelsächsischen Bildungsformen und eine starke Beimischung des französischen Sprachstoffs. Natürlich treten beide Erscheinungen nur ganz allmälig ein, weshalb man auch durchaus nicht ein bestimmtes Jahr als Beginn des Englischen an¬ geben kann. In der Geschichte der englischen Sprachen aber lassen sich drei Perioden unterscheiden: Altenglisch, Mittelenglisch und Neuenglisch. Hundert Jahre umfaßt die Periode des Altenglischen, welche man füglich auch die des Schwankens in Laut, Schrift und Darstellung nennen könnte. Während dieser Zeit stehen zwei Accentuationsgesetze einander gegenüber, schwä¬ chen die alten Formen sich mehr und mehr ab. In der starken Conjugation mindert sich der Plurale Uhland und in der schwachen geht der vollere Ablci- tungsvocal des Präteritums in das flachere e über; die Pluralendung des Prä¬ sens fehlt schon bisweilen, der Infinitiv stößt sein n oft ab und im activen Particip fleht iuZ neben nördlichem eMö, anäe und selbst französischem aut. Die Declination des Substantivs zeigt nur Trümmer, den Genitiv des Singu¬ lar auf — s> es, is und den des Plural auf — vus, letzteren selten, beide aber oft vertreten durch Präpositionen. Die unverstandene Dvppelform des Superlativs in — est wird vertauscht mit dem leichter begreiflichen most. Auch bei den Fürwörtern schwächen sich die Formen ab, die Genitive der Per- sonalpronomina verschwinden gänzlich, der Dativ und Accusativ fallen zusam¬ men, der Dativ wird durch Präpositionen unterschieden und der Genitiv ersetzt. Die französische Accentuation greift allenthalben in das deutsche Gebiet über. Bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein reicht die Periode des Mittel¬ englischen, welche im Gegensatz zum Altenglischen die Periode der Rcconstruction genannt werden kann. In der Conjugation mindern sich die starken Verden, der Plurale Uhland beginnt zu schwinden und die Infinitive stoßen oft ihre Endungen ab. Bei den Substantiven schwindet, die umlautenden Plurale aus¬ genommen, der Genitiv des Plurals. Die Beugung der Fürwörter beschränkt sich auf Nominativ und Accusativ, nur im Interrogativ bleibt noch der Genitiv. Waren im Altenglischen durch das Eindringen der französischen Accentuation die deutschen Elemente ins Schwanken gerathen, so beginnt jetzt eine wohlthä¬ tige Reaction und eine Menge französischer Wörter werden bereits von Dichtern auch mit deutscher Betonung gebraucht. Betrachten wir nun das aus dem Wege völliger Vereinigung des germa¬ nischen und romanischen Elementes fortgeschrittene Neuenglisch, so gewahren wir bald, daß es in technischer Beziehung im siebzehnten und achtzehnten Jahr¬ hundert eine solche Durchbildung erfahren hat, daß es die Kraft der germa¬ nischen Sprachen mit der Geschmeidigkeit der romanischen vereinigt und für 34"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/285
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/285>, abgerufen am 23.07.2024.