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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Lande geschrieben und unter den Bäumen eines Parkes auf dem Besitzthum
eines vornehmen Gönners zuerst aufgeführt worden sei. Als ein leichter über¬
müthiger Scherz mit den damals bereits modischen Schäfermasken, mit lustiger
Parodie einzelnerlebender Personen, z. B. in Probstein und Jaques, zwischen
Hörnerklang und den Bechern einer höfischen Jagdgesellschaft.

Vielleicht gab der Prolog hierüber nähere Auskunft. Daß ein solcher existirte,
geht aus Rosalyndens Worten des Epiloges hervor: "Es ist nicht Gebrauch,
eine Dame als Epilog zu sehen, aber es ist nicht unziemlicher, als den Herren
(tds tora) als Prolog zu sehen." Man kann hieraus entnehmen, daß der ver¬
bannte Herzog (ete tora) den Prolog gesprochen hat. Im Allgemeinen war
es Brauch, den Prolog von einer Nebenfigur reden zu lassen, die womöglich
die Sympathie des Publikums genoß oder vertrat. Der Usurpator konnte des¬
halb nicht gemeint sein. Auch spricht des Verbannten Herzogs spätes Auftreten
dafür, es ließ ihm Zeit, die Kleidung zu wechseln. Am meisten würde sich
sonst Adam dafür geeignet haben, den, wie man mit Grund annimmt, Shakespeare
selbst gespielt haben mag. Allein sein Auftreten beim Beginn des Stückes machte
dies unbequem. Daß Adam am Schlüsse des Stückes seltsamerweise fehlt,
während ihn Lodge noch zum Capitän der Garden ernennen läßt, deutet aller¬
dings darauf hin. daß Shakespeare die kleine, sorgfältig gearbeitete Rolle übernommen
hatte, die ihm in der ersten Hälfte des Stückes Raum gönnte, seinen Regie¬
pflichten nachzukommen. Am Schlüsse häufen sich die Auftritte, das Melodram
erfordert die ganze Aufmerksamkeit des Bühnenleiters und darum mußte wohl
das Publicum den wackern Adam im Schlußesfect entbehren.

Die Aufführung des Stückes war keine leichte Aufgabe. Das Publicum
mußte die vielen hier und da hingestreutem, lose angereihten, oft innerlich zu¬
sammenhanglosen bunten Bilder und Neckereien einer originellen Laune sich
selbst zusammennaschen und zu einem Totalgenuß gestalten. Das war eine
Aufgabe, welche die eines Theaterpublikums im Allgemeinen übersteigt. Ist doch
der Zuschauer gewöhnt, in ruhiger Aufnahme lebenswarmer dramatischer Handlung
den Geist und die Moral sich unmerklich zutragen zu lassen, er verlangt vor allem
festen Zusammenhang, steigende Spannung, wohlgewogenes Verhältniß der Theile.

Der Bearbeiter mußte das Stück dem modernen Geschmacke näher führen,
wollte er es seinen Schauspielern zu eigen machen und dem Publicum die
Freude gewähren, die Wirkungen des alten Theaterstückes lebhaft zu empfinden.

Daher wurde entfernt, was allzu sehr verletzte, unwahrscheinlich war und
aufhielt, anderes, das nur leicht angedeutet war. für das moderne Verständniß
verstärkt. Der häufige Scenenwechsel war zwanglos umgangen; die Handlung
auf drei Acte vertheilt. Der Schauplatz war zuerst vor Olivicrs Hause zunächst
dem herzoglichen Palaste; dann im Schlosse selbst; bald in Busch und Wald -- ohne
Scenenwechsel im Act -- wo abwechselnd der vertriebene Herzog mit seinem


Lande geschrieben und unter den Bäumen eines Parkes auf dem Besitzthum
eines vornehmen Gönners zuerst aufgeführt worden sei. Als ein leichter über¬
müthiger Scherz mit den damals bereits modischen Schäfermasken, mit lustiger
Parodie einzelnerlebender Personen, z. B. in Probstein und Jaques, zwischen
Hörnerklang und den Bechern einer höfischen Jagdgesellschaft.

Vielleicht gab der Prolog hierüber nähere Auskunft. Daß ein solcher existirte,
geht aus Rosalyndens Worten des Epiloges hervor: „Es ist nicht Gebrauch,
eine Dame als Epilog zu sehen, aber es ist nicht unziemlicher, als den Herren
(tds tora) als Prolog zu sehen." Man kann hieraus entnehmen, daß der ver¬
bannte Herzog (ete tora) den Prolog gesprochen hat. Im Allgemeinen war
es Brauch, den Prolog von einer Nebenfigur reden zu lassen, die womöglich
die Sympathie des Publikums genoß oder vertrat. Der Usurpator konnte des¬
halb nicht gemeint sein. Auch spricht des Verbannten Herzogs spätes Auftreten
dafür, es ließ ihm Zeit, die Kleidung zu wechseln. Am meisten würde sich
sonst Adam dafür geeignet haben, den, wie man mit Grund annimmt, Shakespeare
selbst gespielt haben mag. Allein sein Auftreten beim Beginn des Stückes machte
dies unbequem. Daß Adam am Schlüsse des Stückes seltsamerweise fehlt,
während ihn Lodge noch zum Capitän der Garden ernennen läßt, deutet aller¬
dings darauf hin. daß Shakespeare die kleine, sorgfältig gearbeitete Rolle übernommen
hatte, die ihm in der ersten Hälfte des Stückes Raum gönnte, seinen Regie¬
pflichten nachzukommen. Am Schlüsse häufen sich die Auftritte, das Melodram
erfordert die ganze Aufmerksamkeit des Bühnenleiters und darum mußte wohl
das Publicum den wackern Adam im Schlußesfect entbehren.

Die Aufführung des Stückes war keine leichte Aufgabe. Das Publicum
mußte die vielen hier und da hingestreutem, lose angereihten, oft innerlich zu¬
sammenhanglosen bunten Bilder und Neckereien einer originellen Laune sich
selbst zusammennaschen und zu einem Totalgenuß gestalten. Das war eine
Aufgabe, welche die eines Theaterpublikums im Allgemeinen übersteigt. Ist doch
der Zuschauer gewöhnt, in ruhiger Aufnahme lebenswarmer dramatischer Handlung
den Geist und die Moral sich unmerklich zutragen zu lassen, er verlangt vor allem
festen Zusammenhang, steigende Spannung, wohlgewogenes Verhältniß der Theile.

Der Bearbeiter mußte das Stück dem modernen Geschmacke näher führen,
wollte er es seinen Schauspielern zu eigen machen und dem Publicum die
Freude gewähren, die Wirkungen des alten Theaterstückes lebhaft zu empfinden.

Daher wurde entfernt, was allzu sehr verletzte, unwahrscheinlich war und
aufhielt, anderes, das nur leicht angedeutet war. für das moderne Verständniß
verstärkt. Der häufige Scenenwechsel war zwanglos umgangen; die Handlung
auf drei Acte vertheilt. Der Schauplatz war zuerst vor Olivicrs Hause zunächst
dem herzoglichen Palaste; dann im Schlosse selbst; bald in Busch und Wald — ohne
Scenenwechsel im Act — wo abwechselnd der vertriebene Herzog mit seinem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/263>, abgerufen am 23.07.2024.