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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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bringt es so weder zu einer künstlerischen Bollendung der Form, noch zum vollen
Schein des Lebens. Gilt das vorzugsweise von der historischen Malerei, so
verhält es sich doch ähnlich mit der Architektur und Plastik. Man sieht mit
einem Wort keinen inneren Zusammenhang, keinen naturgemäßen Verlauf, kein
Ineinandergreifen, nicht die großen gemeinsamen Züge, die jede schöpferische,
von innerem Gestaltungstrieb durchdrungene Kunstepoche kennzeichnen. Was
Wunder, daß es so auch den Werken der monumentalen Kunst am eigenen
inneren Leben fehlt, daß der Laie, auch der gebildete, kaum Interesse für sie
aufbringen kann und nach dem ersten neugierigen Blick an ihnen, wie an einer
Rarität von zweifelhaftem Werth oder an einer fürstlichen Liebhaberei mit kühler
und scheuer Achtung vorübergeht?

So scheinen die beiden Könige bei allem guten Willen und dem edlen Be¬
streben, ihre Regierungen durch den Schimmer einer neuen Kunstblüthe und
durch das dauernde Denkmal eigenthümlicher Schöpfungen zu verherrlichen, doch
im Grunde verkannt zu haben, woran cZ der Kunst unserer Tage gebricht und
was ihr noth thut. Dem Herrscher begegnet es leicht und für Herrscher ist es
menschlich, wenig Sinn für fremde Selbständigkeit zu haben und -- in bester
Absicht -- auch da befehlen zu wollen, wo sich eigentlich nicht befehlen läßt.
Da es den bayrischen Regenten versagt war, große Politik zu treiben, so woll¬
ten sie sich doch darin als Könige beweisen, daß sie Großes, der eine durch
ein reiches Vielerlei, der andere durch ein absolut Neues, auf dem Felde der
Kunst zu Stande brachten. Diesen Zweck im Auge versäumten sie wohl zu
bedenken, was die heutige Kunst vermöge und wie es mit ihr stehe, und da
sie danach nicht frugen, so untersuchten sie auch nicht weiter, wie ihr zu helfen
und wie sie vorwärts zu bringen sei. Die hohen Gedanken, welche zur Aus¬
führung kommen sollten, hatten sie gefaßt und die Mittel zu dieser flössen reich¬
lich aus, ihren freigebigen Händen. Aber der Genius der Kunst ist ein eigen¬
sinniger Knabe, der aus eigenem Antrieb und spielend die wunderbarsten Dinge
vollbringt, weil er dann nur unternimmt, wozu er in sich die Fähigkeit und
die Lust fühlt; wird er zu einer Arbeit getrieben, zu der er jetzt gerade nicht
aufgelegt, zudem nicht reich genug ist, oder in den kindischen und launenhaften
Einfällen, zu denen er bisweilen sich gehen läßt, bestärkt: so zeigt sich nur zu
bald an dem fertigen Werke, daß es nicht aus Gold und von der bildenden
Hand eines Genius -- sondern aus gemeinem Metall von der Faust eines
Kobolds gemacht ist.

Weshalb aber hat die deutsche Kunst nicht leisten können, was ihr Lud¬
wig und Maximilian zugemuthet haben? Ist es deren Schuld, wenn sie zu
den großen Aufgaben nicht reif war und konnte sie eben unter der Arbeit nicht
reif werden? Selbst in ihrer Kindheit haben sich ja frühere Kunstperioden vor
den gewaltigsten Vorwürfen nicht gescheut und mit naivem Selbstvertrauen die


bringt es so weder zu einer künstlerischen Bollendung der Form, noch zum vollen
Schein des Lebens. Gilt das vorzugsweise von der historischen Malerei, so
verhält es sich doch ähnlich mit der Architektur und Plastik. Man sieht mit
einem Wort keinen inneren Zusammenhang, keinen naturgemäßen Verlauf, kein
Ineinandergreifen, nicht die großen gemeinsamen Züge, die jede schöpferische,
von innerem Gestaltungstrieb durchdrungene Kunstepoche kennzeichnen. Was
Wunder, daß es so auch den Werken der monumentalen Kunst am eigenen
inneren Leben fehlt, daß der Laie, auch der gebildete, kaum Interesse für sie
aufbringen kann und nach dem ersten neugierigen Blick an ihnen, wie an einer
Rarität von zweifelhaftem Werth oder an einer fürstlichen Liebhaberei mit kühler
und scheuer Achtung vorübergeht?

So scheinen die beiden Könige bei allem guten Willen und dem edlen Be¬
streben, ihre Regierungen durch den Schimmer einer neuen Kunstblüthe und
durch das dauernde Denkmal eigenthümlicher Schöpfungen zu verherrlichen, doch
im Grunde verkannt zu haben, woran cZ der Kunst unserer Tage gebricht und
was ihr noth thut. Dem Herrscher begegnet es leicht und für Herrscher ist es
menschlich, wenig Sinn für fremde Selbständigkeit zu haben und — in bester
Absicht — auch da befehlen zu wollen, wo sich eigentlich nicht befehlen läßt.
Da es den bayrischen Regenten versagt war, große Politik zu treiben, so woll¬
ten sie sich doch darin als Könige beweisen, daß sie Großes, der eine durch
ein reiches Vielerlei, der andere durch ein absolut Neues, auf dem Felde der
Kunst zu Stande brachten. Diesen Zweck im Auge versäumten sie wohl zu
bedenken, was die heutige Kunst vermöge und wie es mit ihr stehe, und da
sie danach nicht frugen, so untersuchten sie auch nicht weiter, wie ihr zu helfen
und wie sie vorwärts zu bringen sei. Die hohen Gedanken, welche zur Aus¬
führung kommen sollten, hatten sie gefaßt und die Mittel zu dieser flössen reich¬
lich aus, ihren freigebigen Händen. Aber der Genius der Kunst ist ein eigen¬
sinniger Knabe, der aus eigenem Antrieb und spielend die wunderbarsten Dinge
vollbringt, weil er dann nur unternimmt, wozu er in sich die Fähigkeit und
die Lust fühlt; wird er zu einer Arbeit getrieben, zu der er jetzt gerade nicht
aufgelegt, zudem nicht reich genug ist, oder in den kindischen und launenhaften
Einfällen, zu denen er bisweilen sich gehen läßt, bestärkt: so zeigt sich nur zu
bald an dem fertigen Werke, daß es nicht aus Gold und von der bildenden
Hand eines Genius — sondern aus gemeinem Metall von der Faust eines
Kobolds gemacht ist.

Weshalb aber hat die deutsche Kunst nicht leisten können, was ihr Lud¬
wig und Maximilian zugemuthet haben? Ist es deren Schuld, wenn sie zu
den großen Aufgaben nicht reif war und konnte sie eben unter der Arbeit nicht
reif werden? Selbst in ihrer Kindheit haben sich ja frühere Kunstperioden vor
den gewaltigsten Vorwürfen nicht gescheut und mit naivem Selbstvertrauen die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/26>, abgerufen am 23.07.2024.