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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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befriedigte und vom Geräusch der Welt abgewendete Stimmung des plastischen
Lebens.

Allein nicht blos den Raum sollte die moderne Kunst zum gastlichen Empfang
der Allen bereiten, sondern sie sollte zugleich den Gedankenkreis der Alten, verjüngt
durch die belebende Anschauung der neuen Zeit, auf die Erde zurückführen und so
die Vergangenheit mit der Gegenwart zusammenschließen. Hier that die eigenthüm¬
liche Kraft von Cornelius ihren großen, einen wahrhaft einzigen Wurf. In
die griechische Götter- und Heldensage wußte er den tieferen Zug des modernen
Geistes zu bringen, ohne ihr von ihrem eigenen Leben zu nehmen. Er legte
in die räumliche Anordnung das geistige Band, welches die einzelnen Momente
mit den feinen Fäden innerer Beziehungen umschlingt und unsichtbar sichtbar
zwischen den Bildern spielt, während diese selber die Hauptmotive, in denen
das Vorher aueklingt, das Nachher sich ankündet, zu voller greifbarer Erschei¬
nung ausprägen. So hängt das Auge bald an den einzelnen Gestalten
und Suualionen, die in sich ihr erfülltes Leben haben, bald wird es herüber
und hinüber geleitet von Gruppen zu Gruppen und findet so den seelenvollen
Zusammenhang, den ganzen, eine Welt umfassenden Verlauf in seinem geistigen
Fluß gleichsam erhalten und doch wieder zu Form und Farbe verkörpert. Nichts
ist hier bedeutungslos und doch ist alles deutlich; alles ist Gestalt, und doch
wieder in der Gliederung des Stoffes zur cyklischen Bilderfolge, in der Ein-
theilung des Raumes, im verbindenden Orncuncntenspiel. überall die stille
geistige Bewegung des das Ganze ausbreitenden und wieder umspannenden
Gedankens. Wie in Goethes Iphigenie der classische Zug der griechischen
Phantasie bewahrt und doch, was der Grieche als blinde Schicksalsgewalt über
sich oder als sittliche Macht sich gegenüber stellte, nach der tieferen deutschen
Auffassung in die menschliche Brust zurückverlegt ist: so ist ähnlich die griechische
Sage in den Darstellungen von Cornelius ganz Versinnlicht und doch auch ihr
innerer, vom modernen Bewußtsein entbundener Sinn zum Ausdruck gekommen.
In dieser Vermählung des antiken Körpers mit dem modernen Geiste hat die
neue deutsche Kunst ein ganz eigenthümliches Werk geschaffen, dem ich der Auf¬
fassung und Anordnung des Stoffes nach selbst aus der Zeit der Renaissance,
die einzige Sistinadecke ausgenommen, nichts an die Seite zu stellen wüßte.
Kreuch, wie wir oben bei dem Bau der Glyptothek die Mängel hintangestellt
haben, so müssen wir hier bei den Malereien von Cornelius von der ungenü¬
genden Ausführung absehen. Wären die Gestalten zum vollen Schein des Lebens
und zur Freiheit der Bewegung herausgeführt, hinge ihnen die Farbe nicht so
äußerlich und fremdartig an. künstlerisch unverarbeitet und fast wie eine reizlose,
den Linien umgelegte Hülle: so wäre hier ein der Kunst des Cinquecento eben¬
bürtiges Werk. Doch daß die Gegenwart nicht dazu kommen konnte, ein solches
hervorzubringen, haben wir schon früher gesehen. So, wie die Fresken sind,


befriedigte und vom Geräusch der Welt abgewendete Stimmung des plastischen
Lebens.

Allein nicht blos den Raum sollte die moderne Kunst zum gastlichen Empfang
der Allen bereiten, sondern sie sollte zugleich den Gedankenkreis der Alten, verjüngt
durch die belebende Anschauung der neuen Zeit, auf die Erde zurückführen und so
die Vergangenheit mit der Gegenwart zusammenschließen. Hier that die eigenthüm¬
liche Kraft von Cornelius ihren großen, einen wahrhaft einzigen Wurf. In
die griechische Götter- und Heldensage wußte er den tieferen Zug des modernen
Geistes zu bringen, ohne ihr von ihrem eigenen Leben zu nehmen. Er legte
in die räumliche Anordnung das geistige Band, welches die einzelnen Momente
mit den feinen Fäden innerer Beziehungen umschlingt und unsichtbar sichtbar
zwischen den Bildern spielt, während diese selber die Hauptmotive, in denen
das Vorher aueklingt, das Nachher sich ankündet, zu voller greifbarer Erschei¬
nung ausprägen. So hängt das Auge bald an den einzelnen Gestalten
und Suualionen, die in sich ihr erfülltes Leben haben, bald wird es herüber
und hinüber geleitet von Gruppen zu Gruppen und findet so den seelenvollen
Zusammenhang, den ganzen, eine Welt umfassenden Verlauf in seinem geistigen
Fluß gleichsam erhalten und doch wieder zu Form und Farbe verkörpert. Nichts
ist hier bedeutungslos und doch ist alles deutlich; alles ist Gestalt, und doch
wieder in der Gliederung des Stoffes zur cyklischen Bilderfolge, in der Ein-
theilung des Raumes, im verbindenden Orncuncntenspiel. überall die stille
geistige Bewegung des das Ganze ausbreitenden und wieder umspannenden
Gedankens. Wie in Goethes Iphigenie der classische Zug der griechischen
Phantasie bewahrt und doch, was der Grieche als blinde Schicksalsgewalt über
sich oder als sittliche Macht sich gegenüber stellte, nach der tieferen deutschen
Auffassung in die menschliche Brust zurückverlegt ist: so ist ähnlich die griechische
Sage in den Darstellungen von Cornelius ganz Versinnlicht und doch auch ihr
innerer, vom modernen Bewußtsein entbundener Sinn zum Ausdruck gekommen.
In dieser Vermählung des antiken Körpers mit dem modernen Geiste hat die
neue deutsche Kunst ein ganz eigenthümliches Werk geschaffen, dem ich der Auf¬
fassung und Anordnung des Stoffes nach selbst aus der Zeit der Renaissance,
die einzige Sistinadecke ausgenommen, nichts an die Seite zu stellen wüßte.
Kreuch, wie wir oben bei dem Bau der Glyptothek die Mängel hintangestellt
haben, so müssen wir hier bei den Malereien von Cornelius von der ungenü¬
genden Ausführung absehen. Wären die Gestalten zum vollen Schein des Lebens
und zur Freiheit der Bewegung herausgeführt, hinge ihnen die Farbe nicht so
äußerlich und fremdartig an. künstlerisch unverarbeitet und fast wie eine reizlose,
den Linien umgelegte Hülle: so wäre hier ein der Kunst des Cinquecento eben¬
bürtiges Werk. Doch daß die Gegenwart nicht dazu kommen konnte, ein solches
hervorzubringen, haben wir schon früher gesehen. So, wie die Fresken sind,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/228>, abgerufen am 23.07.2024.