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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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besseres Wissen einprägten, um des Erfolges der Prüfung sicher zu sein. Rechts-
candidaten obiger,Art sollten nach l'^jähnger, nicht selten rein mechanischer
Arbeit der Auscultatur fähig sein, dann als Referendarien nach dem bestandenen
zweiten juristischen Examen die Stelle eines Richters vertreten, und nach fer¬
nerer 2'/2jähriger rein praktischer Ausbildung bei Gerichten erster und zweiter
Instanz das theoretische und praktische, verhältnißmäßig schwere Assessorcxamen
absolviren, um dann als selbständige Richter über die Streitfragen des
Rechtsverkehrs zu entscheiden. Oft scheiterte das fundamentlose Vorbestreben,
welches fast ausnahmlos in einem ganz unwissenschaftlichen, sehr viel "Urlaub",
Zeit und Geld raubenden Repetitorium in Berlin gipfelte, an der größeren Strenge
der nur zweimal zu wiederholenden dritten Prüfung; günstigen Falles aber
resultirte häufig daraus ein unwissenschaftlicher Richter. Beide Male war der
Kandidat 30 Jahre oder älter geworden, Umkehr in ein seinen Anlagen ent¬
sprechenderes Fach war verspätet; so sah der Staat sich genöthigt, selbst die im
Assessorexamen wiederholt durchgefallenen Candidaten in seine subalternen Ge¬
richtsstellen einzureihen und damit sich schlechte Subalternbeamte zu schaffen, den
alten, verdienten Subalternen aber durch die gesetzlich vorgezogenen Eindring¬
linge ihre kümmerliche Carriöre noch ungünstiger zu gestalten.

Mannigfach wurde gestrebt, dieser vielseitigen Misere, welcher nur das
spät beginnende und karge, auf die Preise von 1815--20 berechnete Nichtergc-
halt verglichen werden kann, gründlich ein Ende zu setzen. Eingehende Vor¬
schläge dazu machten vor einigen Jahren u. a. die Professoren Hals.hner in
Bonn und Goldschmidt in Heidelberg.

Den jetzigen Cultus- und Justizministerien gereicht es, entschieden zum
Lobe, die Reform ernstlich begonnen zu haben. Vor längerer Zeit richteten
sie an die juristischen Facultäten der preußischen Universitäten Anfragen über
die Reform des juristischen Studiums und ersten juristischen Examens. Aus een
eingegangenen Antworten, welche bei sonstiger großer Verschiedenheit doch we¬
sentlich darin übereinkämen, daß eine Aenderung des Studiums auch die Re-
form des ersten Examens nothwendig bedinge, haben die genannten Ministerien
eine neue Ordnung für das juristische Studium und erste Examen festgestellt,
welche im preußischen Justizministeiialblatte vom 9. December 1864, so wie
durch Schreiben an die juristischen Facultäten der Universitäten und an die
Chefpräsidien der in Betracht kommenden sechs Appellationsgerichte veröffent¬
licht ist und mit dem 1. März 186S in Kraft treten soll. Diese Reform scheint
uns dem dargelegten Zwecke wesentlich zu entsprechen.

Sie enthält folgende, für den preußischen Richterstand, wie für die sammt,
lichen deutschen Hochschulen wichtige Neuerungen.*


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besseres Wissen einprägten, um des Erfolges der Prüfung sicher zu sein. Rechts-
candidaten obiger,Art sollten nach l'^jähnger, nicht selten rein mechanischer
Arbeit der Auscultatur fähig sein, dann als Referendarien nach dem bestandenen
zweiten juristischen Examen die Stelle eines Richters vertreten, und nach fer¬
nerer 2'/2jähriger rein praktischer Ausbildung bei Gerichten erster und zweiter
Instanz das theoretische und praktische, verhältnißmäßig schwere Assessorcxamen
absolviren, um dann als selbständige Richter über die Streitfragen des
Rechtsverkehrs zu entscheiden. Oft scheiterte das fundamentlose Vorbestreben,
welches fast ausnahmlos in einem ganz unwissenschaftlichen, sehr viel „Urlaub",
Zeit und Geld raubenden Repetitorium in Berlin gipfelte, an der größeren Strenge
der nur zweimal zu wiederholenden dritten Prüfung; günstigen Falles aber
resultirte häufig daraus ein unwissenschaftlicher Richter. Beide Male war der
Kandidat 30 Jahre oder älter geworden, Umkehr in ein seinen Anlagen ent¬
sprechenderes Fach war verspätet; so sah der Staat sich genöthigt, selbst die im
Assessorexamen wiederholt durchgefallenen Candidaten in seine subalternen Ge¬
richtsstellen einzureihen und damit sich schlechte Subalternbeamte zu schaffen, den
alten, verdienten Subalternen aber durch die gesetzlich vorgezogenen Eindring¬
linge ihre kümmerliche Carriöre noch ungünstiger zu gestalten.

Mannigfach wurde gestrebt, dieser vielseitigen Misere, welcher nur das
spät beginnende und karge, auf die Preise von 1815—20 berechnete Nichtergc-
halt verglichen werden kann, gründlich ein Ende zu setzen. Eingehende Vor¬
schläge dazu machten vor einigen Jahren u. a. die Professoren Hals.hner in
Bonn und Goldschmidt in Heidelberg.

Den jetzigen Cultus- und Justizministerien gereicht es, entschieden zum
Lobe, die Reform ernstlich begonnen zu haben. Vor längerer Zeit richteten
sie an die juristischen Facultäten der preußischen Universitäten Anfragen über
die Reform des juristischen Studiums und ersten juristischen Examens. Aus een
eingegangenen Antworten, welche bei sonstiger großer Verschiedenheit doch we¬
sentlich darin übereinkämen, daß eine Aenderung des Studiums auch die Re-
form des ersten Examens nothwendig bedinge, haben die genannten Ministerien
eine neue Ordnung für das juristische Studium und erste Examen festgestellt,
welche im preußischen Justizministeiialblatte vom 9. December 1864, so wie
durch Schreiben an die juristischen Facultäten der Universitäten und an die
Chefpräsidien der in Betracht kommenden sechs Appellationsgerichte veröffent¬
licht ist und mit dem 1. März 186S in Kraft treten soll. Diese Reform scheint
uns dem dargelegten Zwecke wesentlich zu entsprechen.

Sie enthält folgende, für den preußischen Richterstand, wie für die sammt,
lichen deutschen Hochschulen wichtige Neuerungen.*


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/219>, abgerufen am 23.07.2024.