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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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unsicheres Tasten nach einem Programm für die Auseinandersetzung zwischen
Kirche und Staat, wie es durch den Gedanken an etwaige Eventualitäten in
Rom natürlich hervorgerufen wurde; aber an einen ernsten Conflict dachte
offenbar weder Regierung noch Klerus. Beiden schien die zweijährige Frist,
durch welche die römische Frage glücklich vertagt war, ein erwünschtes Aus-
kunftsmittel um jeder principiellen Entscheidung aus dem Weg zu gehen.

Eben dieser Waffenstillstand war nun durch das Erscheinen der päpstlichen
Bulle plötzlich bedroht. Hatten die Organe des Herrn Drvuyn de Lhuys be¬
theuert, daß dem weltlichen Papstthum dem Leids geschehen solle, so nahm der
Papst sie beim Wort, indem er von Neuem für seine weltliche Herschast seine
geistliche Autorität einsetzte. Hatte die Negierung' mit den gallikanischen Ten¬
denzen gespielt, so trat jetzt von der andern Seite das Verlangen an sie, mit
der Lossagung von Rom Ernst zu machen. Die Bulle schien an den Klerus
die Aufforderung zu richten, sich definitiv für oder wider Rom zu erklären, ein
erbitterter Kampf stand in Aussicht.

Es ist erklärlich, daß die französische Regierung bestrebt war, diesen Kampf
im Keime zu ersticken. Nichts konnte ihr unerwünschter sein als eine Verwick¬
lung Plötzlich zur brennenden Frage werden zu sehen, die sie glücklich vertagt
glaubte. Sie machte von ihrem Rechte Gebrauch, nur für einen Theil der
Encyllika die Erlaubniß zur amtlichen Veröffentlichung zu ertheilen. Aber der
Erfolg bewies, daß sie damit das ungeschickteste Mittel ergriffen hatte. Das
Verbot des Justizministers schürte de" Brand, anstatt ihn zu ersticken. Es gab
der Bulle eine Wichtigkeit, die sie außerdem nicht gehabt hätte. Die ungehin¬
derte Oeffentlichkeit wäre ohne Zweifel das beste Mittel gewesen, die Ursache
des Vatican sich selbst constatiren zu lassen. Die Einmischung der Staats¬
gewalt reizte die ultramontane Partei, sich im Glänze eines wohlfeilen Mar¬
tyriums zu sonnen.

Was mit Erlaubniß des Staats nicht geschehen durfte, geschah, wenig¬
stens, von Einzelnen, dem Verbot zum Trotz. Eine Reihe von Bischöfen ver¬
öffentlichten proteslirende Antwortschreiben an den Minister. Ein Prälat nach dem
andern erhob seine Stimme, der Conflict schien immer größere Dimensionen an¬
zunehmen. Die Regierung war von dieser Haltung des Klerus sichtlich betroffen.
Aber sie hatte nicht nur im jetzigen Moment Oel ins Feuer gegossen, sie büßte zu¬
gleich für alte Sünden. Als nach dem Staatsstreich Louis Napoleon die willige
Unterstützung des Klerus gefunden hatte, war seine Regierung nicht unerkenntlich
geblieben. Bis zum Jahre 18L9 hatte sich das Cultusministerium in einer ultra¬
montanen Strömung bewegt. Die Bischofscrnennungen waren alle in diesem
Sinne erfolgt. Jetzt zeigten sich die Früchte einer Nachgiebigkeit, von welcher man
erst in den lepten Jahren angefangen hatte zurückzukommen. Indem man die
Stimmen des Episkopats abzählte, ergab die Rechnung, daß weitaus der größte


unsicheres Tasten nach einem Programm für die Auseinandersetzung zwischen
Kirche und Staat, wie es durch den Gedanken an etwaige Eventualitäten in
Rom natürlich hervorgerufen wurde; aber an einen ernsten Conflict dachte
offenbar weder Regierung noch Klerus. Beiden schien die zweijährige Frist,
durch welche die römische Frage glücklich vertagt war, ein erwünschtes Aus-
kunftsmittel um jeder principiellen Entscheidung aus dem Weg zu gehen.

Eben dieser Waffenstillstand war nun durch das Erscheinen der päpstlichen
Bulle plötzlich bedroht. Hatten die Organe des Herrn Drvuyn de Lhuys be¬
theuert, daß dem weltlichen Papstthum dem Leids geschehen solle, so nahm der
Papst sie beim Wort, indem er von Neuem für seine weltliche Herschast seine
geistliche Autorität einsetzte. Hatte die Negierung' mit den gallikanischen Ten¬
denzen gespielt, so trat jetzt von der andern Seite das Verlangen an sie, mit
der Lossagung von Rom Ernst zu machen. Die Bulle schien an den Klerus
die Aufforderung zu richten, sich definitiv für oder wider Rom zu erklären, ein
erbitterter Kampf stand in Aussicht.

Es ist erklärlich, daß die französische Regierung bestrebt war, diesen Kampf
im Keime zu ersticken. Nichts konnte ihr unerwünschter sein als eine Verwick¬
lung Plötzlich zur brennenden Frage werden zu sehen, die sie glücklich vertagt
glaubte. Sie machte von ihrem Rechte Gebrauch, nur für einen Theil der
Encyllika die Erlaubniß zur amtlichen Veröffentlichung zu ertheilen. Aber der
Erfolg bewies, daß sie damit das ungeschickteste Mittel ergriffen hatte. Das
Verbot des Justizministers schürte de» Brand, anstatt ihn zu ersticken. Es gab
der Bulle eine Wichtigkeit, die sie außerdem nicht gehabt hätte. Die ungehin¬
derte Oeffentlichkeit wäre ohne Zweifel das beste Mittel gewesen, die Ursache
des Vatican sich selbst constatiren zu lassen. Die Einmischung der Staats¬
gewalt reizte die ultramontane Partei, sich im Glänze eines wohlfeilen Mar¬
tyriums zu sonnen.

Was mit Erlaubniß des Staats nicht geschehen durfte, geschah, wenig¬
stens, von Einzelnen, dem Verbot zum Trotz. Eine Reihe von Bischöfen ver¬
öffentlichten proteslirende Antwortschreiben an den Minister. Ein Prälat nach dem
andern erhob seine Stimme, der Conflict schien immer größere Dimensionen an¬
zunehmen. Die Regierung war von dieser Haltung des Klerus sichtlich betroffen.
Aber sie hatte nicht nur im jetzigen Moment Oel ins Feuer gegossen, sie büßte zu¬
gleich für alte Sünden. Als nach dem Staatsstreich Louis Napoleon die willige
Unterstützung des Klerus gefunden hatte, war seine Regierung nicht unerkenntlich
geblieben. Bis zum Jahre 18L9 hatte sich das Cultusministerium in einer ultra¬
montanen Strömung bewegt. Die Bischofscrnennungen waren alle in diesem
Sinne erfolgt. Jetzt zeigten sich die Früchte einer Nachgiebigkeit, von welcher man
erst in den lepten Jahren angefangen hatte zurückzukommen. Indem man die
Stimmen des Episkopats abzählte, ergab die Rechnung, daß weitaus der größte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/206>, abgerufen am 23.07.2024.