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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Geschäften nach. Seit vier Wochen macht die päpstliche Bulle die Runde durch
die Presse aller Völker, und -noch ruht die Gesellschaft unerschüttert auf ihren
Grundlagen. Bewegung nur im eigenen Lager des Katholicismus, Betrübniß
oder affectirter Trotz bei den Freunden des Papstes, sonst die gelassenste Stim¬
mung von der Welt, hier Kopfschütteln, dort Heiterkeit, nirgends Bestürzung;
in Neapel ein Freudenfeuer der Studenten, welches die Asche des verbrannten
Actenstückes zu der Statue Giordano Brunos emporträgt -- dies der Eindruck
einer päpstlichen Bulle in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.

Doch es hat dem Papstthum nicht an Bundesgenossen gefehlt, und sie
kamen zum Theil von unerwarteter Seite. Von der Mitte des norddeutschen
protestantischen Staats erhob sich die Stimme eines Predigers in der Wüste
und vereinigte sich mit dem Weherufe über den Alpen. Die Kreuzzeitung bewun¬
derte "die geschickte Abfassung", wie "den Muth des Auftretens", der in dieser
Kundgebung liege, und sprach die Hoffnung aus, daß "der Mahnruf des Pap¬
stes auch in anderen (!) Herzen wiederklinge". Sie bedauerte nur, daß der
heilige Vater "die evangelische Kirche und was zu ihr gehört, mit den sonsti¬
gen (!) Irrthümern der Zeit in Einem Verdammungsurtheile zusammenfasse".
Die Sympathie der Kreuzzeitung ist begreiflich. Wir erinnern uns eines noch
nicht ein Jahr alten Hirtenbriefs eines pommerschen Generalsuperintendenten,
der eine nicht zu verkennende Familienähnlichkeit mit der päpstlichen Bulle hat.
Waren gleich die Irrthümer unsrer Zeit nich so schön classificirt, so wurde doch auch
hier Wehe gerufen über "die entsetzlichen Verderbnisse unsrer entfesselten Zeit",
über "den kecken und alle Rücksichten verläugnenden Gegensatz gegen Aufsicht
und Zucht der Kirche, namentlich in den Stadtgemeinden" ("Landcslloaken", wie
neuerdings die reinliche Kreuzzeitung sich ausdrückt), und Angesichts dieser Ent¬
setzen erregenden Erscheinungen wollte der Oberhirt den Geistlichen seiner Diöcese
"zum lebendigen Bewußtsein bringen", wie sie dagegen anzukämpfen und "den
wohlgemeinten Intentionen unsres Kirchenregiments zu entsprechen haben".
Gegen solche Copien unsrer evangelischen Oberhirten hat freilich eine päpstliche
Bulle immer noch eine gewisse Großartigkeit, einen Reiz alterthümlicher Origi¬
nalität, welcher der Kreuzzeitung und ihren Helden besonders imponiren und
ihnen neidische Bewunderung entlocke" muß. Auch die Ruine zeugt noch von
der Größe der einstigen Anlage, unwillkürlich erwachen die Reminiscenzen an
die große Vergangenheit, die Worte haben noch denselben Klang wie damals,
als sie nicht blos klangen, sondern trafen und erschütterten, Allein für eine
Kundgebung, welche in der Gegenwart wirken soll, vermag ein von der Ver¬
gangenheit erborgter Schimmer doch kaum einen sueeös ä'sstimö zu verbürgen.
Sie ist ja recht dazu gemacht, den Gegensatz von Einst und Jetzt, -- um mit
dem Generalsuperintendenten Dr. Jaspis zu reden, "zum lebendigen Bewußt¬
sein zu bringen". Eben weil man diesen Gegensatz sofort empfand, konnte man


Geschäften nach. Seit vier Wochen macht die päpstliche Bulle die Runde durch
die Presse aller Völker, und -noch ruht die Gesellschaft unerschüttert auf ihren
Grundlagen. Bewegung nur im eigenen Lager des Katholicismus, Betrübniß
oder affectirter Trotz bei den Freunden des Papstes, sonst die gelassenste Stim¬
mung von der Welt, hier Kopfschütteln, dort Heiterkeit, nirgends Bestürzung;
in Neapel ein Freudenfeuer der Studenten, welches die Asche des verbrannten
Actenstückes zu der Statue Giordano Brunos emporträgt — dies der Eindruck
einer päpstlichen Bulle in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.

Doch es hat dem Papstthum nicht an Bundesgenossen gefehlt, und sie
kamen zum Theil von unerwarteter Seite. Von der Mitte des norddeutschen
protestantischen Staats erhob sich die Stimme eines Predigers in der Wüste
und vereinigte sich mit dem Weherufe über den Alpen. Die Kreuzzeitung bewun¬
derte „die geschickte Abfassung", wie „den Muth des Auftretens", der in dieser
Kundgebung liege, und sprach die Hoffnung aus, daß „der Mahnruf des Pap¬
stes auch in anderen (!) Herzen wiederklinge". Sie bedauerte nur, daß der
heilige Vater „die evangelische Kirche und was zu ihr gehört, mit den sonsti¬
gen (!) Irrthümern der Zeit in Einem Verdammungsurtheile zusammenfasse".
Die Sympathie der Kreuzzeitung ist begreiflich. Wir erinnern uns eines noch
nicht ein Jahr alten Hirtenbriefs eines pommerschen Generalsuperintendenten,
der eine nicht zu verkennende Familienähnlichkeit mit der päpstlichen Bulle hat.
Waren gleich die Irrthümer unsrer Zeit nich so schön classificirt, so wurde doch auch
hier Wehe gerufen über „die entsetzlichen Verderbnisse unsrer entfesselten Zeit",
über „den kecken und alle Rücksichten verläugnenden Gegensatz gegen Aufsicht
und Zucht der Kirche, namentlich in den Stadtgemeinden" („Landcslloaken", wie
neuerdings die reinliche Kreuzzeitung sich ausdrückt), und Angesichts dieser Ent¬
setzen erregenden Erscheinungen wollte der Oberhirt den Geistlichen seiner Diöcese
„zum lebendigen Bewußtsein bringen", wie sie dagegen anzukämpfen und „den
wohlgemeinten Intentionen unsres Kirchenregiments zu entsprechen haben".
Gegen solche Copien unsrer evangelischen Oberhirten hat freilich eine päpstliche
Bulle immer noch eine gewisse Großartigkeit, einen Reiz alterthümlicher Origi¬
nalität, welcher der Kreuzzeitung und ihren Helden besonders imponiren und
ihnen neidische Bewunderung entlocke» muß. Auch die Ruine zeugt noch von
der Größe der einstigen Anlage, unwillkürlich erwachen die Reminiscenzen an
die große Vergangenheit, die Worte haben noch denselben Klang wie damals,
als sie nicht blos klangen, sondern trafen und erschütterten, Allein für eine
Kundgebung, welche in der Gegenwart wirken soll, vermag ein von der Ver¬
gangenheit erborgter Schimmer doch kaum einen sueeös ä'sstimö zu verbürgen.
Sie ist ja recht dazu gemacht, den Gegensatz von Einst und Jetzt, — um mit
dem Generalsuperintendenten Dr. Jaspis zu reden, „zum lebendigen Bewußt¬
sein zu bringen". Eben weil man diesen Gegensatz sofort empfand, konnte man


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[0204] Geschäften nach. Seit vier Wochen macht die päpstliche Bulle die Runde durch die Presse aller Völker, und -noch ruht die Gesellschaft unerschüttert auf ihren Grundlagen. Bewegung nur im eigenen Lager des Katholicismus, Betrübniß oder affectirter Trotz bei den Freunden des Papstes, sonst die gelassenste Stim¬ mung von der Welt, hier Kopfschütteln, dort Heiterkeit, nirgends Bestürzung; in Neapel ein Freudenfeuer der Studenten, welches die Asche des verbrannten Actenstückes zu der Statue Giordano Brunos emporträgt — dies der Eindruck einer päpstlichen Bulle in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Doch es hat dem Papstthum nicht an Bundesgenossen gefehlt, und sie kamen zum Theil von unerwarteter Seite. Von der Mitte des norddeutschen protestantischen Staats erhob sich die Stimme eines Predigers in der Wüste und vereinigte sich mit dem Weherufe über den Alpen. Die Kreuzzeitung bewun¬ derte „die geschickte Abfassung", wie „den Muth des Auftretens", der in dieser Kundgebung liege, und sprach die Hoffnung aus, daß „der Mahnruf des Pap¬ stes auch in anderen (!) Herzen wiederklinge". Sie bedauerte nur, daß der heilige Vater „die evangelische Kirche und was zu ihr gehört, mit den sonsti¬ gen (!) Irrthümern der Zeit in Einem Verdammungsurtheile zusammenfasse". Die Sympathie der Kreuzzeitung ist begreiflich. Wir erinnern uns eines noch nicht ein Jahr alten Hirtenbriefs eines pommerschen Generalsuperintendenten, der eine nicht zu verkennende Familienähnlichkeit mit der päpstlichen Bulle hat. Waren gleich die Irrthümer unsrer Zeit nich so schön classificirt, so wurde doch auch hier Wehe gerufen über „die entsetzlichen Verderbnisse unsrer entfesselten Zeit", über „den kecken und alle Rücksichten verläugnenden Gegensatz gegen Aufsicht und Zucht der Kirche, namentlich in den Stadtgemeinden" („Landcslloaken", wie neuerdings die reinliche Kreuzzeitung sich ausdrückt), und Angesichts dieser Ent¬ setzen erregenden Erscheinungen wollte der Oberhirt den Geistlichen seiner Diöcese „zum lebendigen Bewußtsein bringen", wie sie dagegen anzukämpfen und „den wohlgemeinten Intentionen unsres Kirchenregiments zu entsprechen haben". Gegen solche Copien unsrer evangelischen Oberhirten hat freilich eine päpstliche Bulle immer noch eine gewisse Großartigkeit, einen Reiz alterthümlicher Origi¬ nalität, welcher der Kreuzzeitung und ihren Helden besonders imponiren und ihnen neidische Bewunderung entlocke» muß. Auch die Ruine zeugt noch von der Größe der einstigen Anlage, unwillkürlich erwachen die Reminiscenzen an die große Vergangenheit, die Worte haben noch denselben Klang wie damals, als sie nicht blos klangen, sondern trafen und erschütterten, Allein für eine Kundgebung, welche in der Gegenwart wirken soll, vermag ein von der Ver¬ gangenheit erborgter Schimmer doch kaum einen sueeös ä'sstimö zu verbürgen. Sie ist ja recht dazu gemacht, den Gegensatz von Einst und Jetzt, — um mit dem Generalsuperintendenten Dr. Jaspis zu reden, „zum lebendigen Bewußt¬ sein zu bringen". Eben weil man diesen Gegensatz sofort empfand, konnte man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/204>, abgerufen am 23.07.2024.