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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Papst in einer Zeit, die er in den schwärzesten Farben malt, Anlaß zu einem
Jubelfeste findet. Bestünde sie nur in der Ansprache an die Bischöfe und Prä¬
laten der Christenheit, so wäre es eine der gewöhnlichen Jeremiaden. welche
sei'on zu häufig wiederholt worden und in ihrem schwülstigen, vergangenen Jahr¬
hunderten entlehnten Stile der Gegenwart zu fremd sind, als daß diese sich viel
um sie bekümmern könnte. Allein diesmal ist es eine außerordentliche Kund¬
gebung. Es ist nicht zufällig, daß der Papst aus den Allocutionen seiner gan¬
zen Amtsthätigkeit Excerpte hat zusammenstellen lassen zu einem Syllabus oder
Verzeichnis? aller Hauptirrthümer der Zeit, deren es genau achtzig an der Zahl
sind. Unserer Zeit sollte von derjenigen Macht, welche die Judenknaben Mor-
tara und Cvön der sündigen Welt entzogen hat, ein Spiegel entgegengehalten
werden, darin sie sich mit allen ihren Lastern,mit ihren grundverderbten Ten¬
denzen und fluchwürdigen Grundsätzen spiegeln soll, in systematischer Zusammen¬
stellung wird ihr die Summe ihrer Nichtswürdigkeit vorgerechnet, und um die¬
sem Katalog die höchste Autorität zu geben, läßt Pius der Neunte die Acten¬
stücke seiner ganzen Regierungszeit wider die Welt zeugen. So ist es zugleich
ein Rechenschaftsbericht des Papstthums Pius des Neunten, die Summe seiner
Weisheit und Thätigkeit, es ist das Vermächtniß des letzten Papst-Königs.

Freilich, was die systematische Zusammenfassung betrifft, so bedarf dies
der Einschränkung. Es würde dem Vatican übel anstehen, der gewöhnlichen
Logik dieser Welt sich zu bedienen, und der belesene Jesuit Perrone, welcher
die Excerpte zusammentrug, hat sich nicht blos von dem Gifte der modernen
Wissenschaft intact erhalten, sondern er trägt auch dadurch seinen 'gründlichen
Abscheu und die Verachtung unserer 80 Irrthümer zur Schau, daß er sie --
zur Verschärfung der Strafe -- in die Kategorien seiner Jesuitenlogik gebracht
bat. Es macht einen erheiternden Eindruck, im ersten Paragraphen den Pan¬
theismus, den Naturalismus und den absoluten Rationalismus, im zweiten
den gemäßigten Rationalismus, im dritten den Jndifferentismus und Latitu-
dinansmus abgehandelt, und im vierten vollends in bunter Reihe den Socia¬
lismus, den Communismus. die heimlichen Gesellschaften, die Bibelgesellschaften
und die liberalen Klenkervereine zusammen gewürfelt zu finden. Proudhon wird
sich noch im Grabe wundern, mit dem Domprediger Hofmann, mit Guizot und
Passaglia sich in einer Verdammniß zu wissen. Auch erscheint es doch ziemlich
bequem, dem Gegner Sätze in die Schuhe zu schieben, wie den. daß Gott und
die Welt, Geist und Nkatene. Nothwendigkeit und Freiheit, Wahres und Fal¬
sches, Gutes und Böses. Gerechtes und Ungerechtes identisch seien, und
dann solchen Irrthum zu verdammen. Allein was auch wir Pedanten diesseits
der Berge auszusetzen haben, der Inhalt läßt wenigstens an Deutlichkeit nichts
zu wünschen übrig. Es sind die alten Forderungen des Papstthums, wie sie
weder durch Copernikus und Galilei, noch durch die Reformation und das


Papst in einer Zeit, die er in den schwärzesten Farben malt, Anlaß zu einem
Jubelfeste findet. Bestünde sie nur in der Ansprache an die Bischöfe und Prä¬
laten der Christenheit, so wäre es eine der gewöhnlichen Jeremiaden. welche
sei'on zu häufig wiederholt worden und in ihrem schwülstigen, vergangenen Jahr¬
hunderten entlehnten Stile der Gegenwart zu fremd sind, als daß diese sich viel
um sie bekümmern könnte. Allein diesmal ist es eine außerordentliche Kund¬
gebung. Es ist nicht zufällig, daß der Papst aus den Allocutionen seiner gan¬
zen Amtsthätigkeit Excerpte hat zusammenstellen lassen zu einem Syllabus oder
Verzeichnis? aller Hauptirrthümer der Zeit, deren es genau achtzig an der Zahl
sind. Unserer Zeit sollte von derjenigen Macht, welche die Judenknaben Mor-
tara und Cvön der sündigen Welt entzogen hat, ein Spiegel entgegengehalten
werden, darin sie sich mit allen ihren Lastern,mit ihren grundverderbten Ten¬
denzen und fluchwürdigen Grundsätzen spiegeln soll, in systematischer Zusammen¬
stellung wird ihr die Summe ihrer Nichtswürdigkeit vorgerechnet, und um die¬
sem Katalog die höchste Autorität zu geben, läßt Pius der Neunte die Acten¬
stücke seiner ganzen Regierungszeit wider die Welt zeugen. So ist es zugleich
ein Rechenschaftsbericht des Papstthums Pius des Neunten, die Summe seiner
Weisheit und Thätigkeit, es ist das Vermächtniß des letzten Papst-Königs.

Freilich, was die systematische Zusammenfassung betrifft, so bedarf dies
der Einschränkung. Es würde dem Vatican übel anstehen, der gewöhnlichen
Logik dieser Welt sich zu bedienen, und der belesene Jesuit Perrone, welcher
die Excerpte zusammentrug, hat sich nicht blos von dem Gifte der modernen
Wissenschaft intact erhalten, sondern er trägt auch dadurch seinen 'gründlichen
Abscheu und die Verachtung unserer 80 Irrthümer zur Schau, daß er sie —
zur Verschärfung der Strafe — in die Kategorien seiner Jesuitenlogik gebracht
bat. Es macht einen erheiternden Eindruck, im ersten Paragraphen den Pan¬
theismus, den Naturalismus und den absoluten Rationalismus, im zweiten
den gemäßigten Rationalismus, im dritten den Jndifferentismus und Latitu-
dinansmus abgehandelt, und im vierten vollends in bunter Reihe den Socia¬
lismus, den Communismus. die heimlichen Gesellschaften, die Bibelgesellschaften
und die liberalen Klenkervereine zusammen gewürfelt zu finden. Proudhon wird
sich noch im Grabe wundern, mit dem Domprediger Hofmann, mit Guizot und
Passaglia sich in einer Verdammniß zu wissen. Auch erscheint es doch ziemlich
bequem, dem Gegner Sätze in die Schuhe zu schieben, wie den. daß Gott und
die Welt, Geist und Nkatene. Nothwendigkeit und Freiheit, Wahres und Fal¬
sches, Gutes und Böses. Gerechtes und Ungerechtes identisch seien, und
dann solchen Irrthum zu verdammen. Allein was auch wir Pedanten diesseits
der Berge auszusetzen haben, der Inhalt läßt wenigstens an Deutlichkeit nichts
zu wünschen übrig. Es sind die alten Forderungen des Papstthums, wie sie
weder durch Copernikus und Galilei, noch durch die Reformation und das


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[0202] Papst in einer Zeit, die er in den schwärzesten Farben malt, Anlaß zu einem Jubelfeste findet. Bestünde sie nur in der Ansprache an die Bischöfe und Prä¬ laten der Christenheit, so wäre es eine der gewöhnlichen Jeremiaden. welche sei'on zu häufig wiederholt worden und in ihrem schwülstigen, vergangenen Jahr¬ hunderten entlehnten Stile der Gegenwart zu fremd sind, als daß diese sich viel um sie bekümmern könnte. Allein diesmal ist es eine außerordentliche Kund¬ gebung. Es ist nicht zufällig, daß der Papst aus den Allocutionen seiner gan¬ zen Amtsthätigkeit Excerpte hat zusammenstellen lassen zu einem Syllabus oder Verzeichnis? aller Hauptirrthümer der Zeit, deren es genau achtzig an der Zahl sind. Unserer Zeit sollte von derjenigen Macht, welche die Judenknaben Mor- tara und Cvön der sündigen Welt entzogen hat, ein Spiegel entgegengehalten werden, darin sie sich mit allen ihren Lastern,mit ihren grundverderbten Ten¬ denzen und fluchwürdigen Grundsätzen spiegeln soll, in systematischer Zusammen¬ stellung wird ihr die Summe ihrer Nichtswürdigkeit vorgerechnet, und um die¬ sem Katalog die höchste Autorität zu geben, läßt Pius der Neunte die Acten¬ stücke seiner ganzen Regierungszeit wider die Welt zeugen. So ist es zugleich ein Rechenschaftsbericht des Papstthums Pius des Neunten, die Summe seiner Weisheit und Thätigkeit, es ist das Vermächtniß des letzten Papst-Königs. Freilich, was die systematische Zusammenfassung betrifft, so bedarf dies der Einschränkung. Es würde dem Vatican übel anstehen, der gewöhnlichen Logik dieser Welt sich zu bedienen, und der belesene Jesuit Perrone, welcher die Excerpte zusammentrug, hat sich nicht blos von dem Gifte der modernen Wissenschaft intact erhalten, sondern er trägt auch dadurch seinen 'gründlichen Abscheu und die Verachtung unserer 80 Irrthümer zur Schau, daß er sie — zur Verschärfung der Strafe — in die Kategorien seiner Jesuitenlogik gebracht bat. Es macht einen erheiternden Eindruck, im ersten Paragraphen den Pan¬ theismus, den Naturalismus und den absoluten Rationalismus, im zweiten den gemäßigten Rationalismus, im dritten den Jndifferentismus und Latitu- dinansmus abgehandelt, und im vierten vollends in bunter Reihe den Socia¬ lismus, den Communismus. die heimlichen Gesellschaften, die Bibelgesellschaften und die liberalen Klenkervereine zusammen gewürfelt zu finden. Proudhon wird sich noch im Grabe wundern, mit dem Domprediger Hofmann, mit Guizot und Passaglia sich in einer Verdammniß zu wissen. Auch erscheint es doch ziemlich bequem, dem Gegner Sätze in die Schuhe zu schieben, wie den. daß Gott und die Welt, Geist und Nkatene. Nothwendigkeit und Freiheit, Wahres und Fal¬ sches, Gutes und Böses. Gerechtes und Ungerechtes identisch seien, und dann solchen Irrthum zu verdammen. Allein was auch wir Pedanten diesseits der Berge auszusetzen haben, der Inhalt läßt wenigstens an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es sind die alten Forderungen des Papstthums, wie sie weder durch Copernikus und Galilei, noch durch die Reformation und das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/202>, abgerufen am 23.07.2024.