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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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lich einen furchtbaren chaldüischen Segen darüber auszusprecher^ aber ich habe
ihnen damit vielleicht zuviel gethan; denn es gilt als langjährige Beobachtung,
daß diese Producte der k. k. Prometheuse die hohen Zwecke, für welche sie ver¬
wendet zu werden pflegen, allzugenau in ihrem Laufe nachahmend in humanen
Schwunge über die Häupter der Sterblichen hinwcgsausen.

Dann kommen Säle, wo neue Kanonen in zierlich modellirter Lchmform
gegossen und alte in weißglühenden Oefen, die auf zwanzig Schritt eine un¬
erträgliche Hitze ausströmen, umgeschmolzen werden; Säle, wo mit eintönigem
Gebrumm der Stahlbohrer sich in die massive Rohrstange hineinfrißt, langsam
aber unaufhaltsam durch die harte Masse vorwärts dringend. Säle, wo von
ähnlichen Stahlmaschinen die frappantesten Züge der Neuzeit, die neu erfun¬
denen Zugstreifen in das rundgebohrte Rohr gegraben werden; Säle, wo die
gezogenen Broncckanonen den letzten Schliff für die pädagogische Bearbeitung
ungezogener Gegner erhalten.

Hier hört man durcheinander schwirrende Urtheile, wie sie dem Laien "in
seines Nichts durchbohrende Gefühle" stumm Augen und Ohren sperren machen,
und Sterne, der sich darüber wunderte, wie geläufig in Frankreich jeder Straßen¬
junge französisch spreche, würde noch mehr durch die Fülle kriegswissenschaftlicher
Kenntnisse in Erstaunen versetzt worden sein, die hier jeder lumpenbehängte
Kroate in präadamitischen Kehllauten austrank. Still schlich ich mich fort, mit
dem gesteigerten Gefühl, die Menschheit zerfalle in zwei Theile, in den, der
todt schieße und den, der zum Todtgeschosscnwerden bestimmt sei; oder kürzer
ausgedrückt, in Kanonenbedicnung und Kanonenfutter.

Mein Begleiter rüttelte mich aus meinen Kreuz- und Quergedanken auf,
in die ich versunken war. "Jetzt aufgeschaut, jetzt sollen Sie das wunderbarste
von allen diesen Wundern sehen." Er öffnete eine Thür und ein imposanter
Anblick bot sich dar. Es war ein Saal wie die vorigen, nur ganz von einer
einzigen Maschine ausgefüllt. Ein riesenhaftes Schwungrad, das von ihr in
immer gleichmäßiger Bewegung erhalten wurde, theilte diese durch Züge, die
sich in den Wänden verloren, an sämmtliche Maschinen sämmtlicher Säle mit, die
wir zuvor betrachtet hatten. Die größte wie die kleinste Arbeit derselben, jedes
Bcrnichtungswerkzeug, das aus dem Ganzen hervorging, war das Werk ihres
Antriebs. Sie war noch nicht alt; an ihrer Spitze über einem dünnen Stahl¬
cylinder stand wie in allen Sälen eingravirt: ^. I.

Der Aufsicht haltende Posten, der uns geführt, hatte schon längere Zeit
meinem Begleiter die complicirte Einrichtung der Maschine erläutert; doch ich
stand zu fern und hatte die Beschreibung über dem wüsten Getöse des Rades
nicht vernommen. Er schloß gerade seinen Sermon, als ich hinzutrat, und sagte,
auf den vorher von mir betrachteten Stahlcylinder deutend: "Schauens. Euer
Gnaden; dies kleine Strifterl hält das Ganze z'sammen, man sollt's net


lich einen furchtbaren chaldüischen Segen darüber auszusprecher^ aber ich habe
ihnen damit vielleicht zuviel gethan; denn es gilt als langjährige Beobachtung,
daß diese Producte der k. k. Prometheuse die hohen Zwecke, für welche sie ver¬
wendet zu werden pflegen, allzugenau in ihrem Laufe nachahmend in humanen
Schwunge über die Häupter der Sterblichen hinwcgsausen.

Dann kommen Säle, wo neue Kanonen in zierlich modellirter Lchmform
gegossen und alte in weißglühenden Oefen, die auf zwanzig Schritt eine un¬
erträgliche Hitze ausströmen, umgeschmolzen werden; Säle, wo mit eintönigem
Gebrumm der Stahlbohrer sich in die massive Rohrstange hineinfrißt, langsam
aber unaufhaltsam durch die harte Masse vorwärts dringend. Säle, wo von
ähnlichen Stahlmaschinen die frappantesten Züge der Neuzeit, die neu erfun¬
denen Zugstreifen in das rundgebohrte Rohr gegraben werden; Säle, wo die
gezogenen Broncckanonen den letzten Schliff für die pädagogische Bearbeitung
ungezogener Gegner erhalten.

Hier hört man durcheinander schwirrende Urtheile, wie sie dem Laien „in
seines Nichts durchbohrende Gefühle" stumm Augen und Ohren sperren machen,
und Sterne, der sich darüber wunderte, wie geläufig in Frankreich jeder Straßen¬
junge französisch spreche, würde noch mehr durch die Fülle kriegswissenschaftlicher
Kenntnisse in Erstaunen versetzt worden sein, die hier jeder lumpenbehängte
Kroate in präadamitischen Kehllauten austrank. Still schlich ich mich fort, mit
dem gesteigerten Gefühl, die Menschheit zerfalle in zwei Theile, in den, der
todt schieße und den, der zum Todtgeschosscnwerden bestimmt sei; oder kürzer
ausgedrückt, in Kanonenbedicnung und Kanonenfutter.

Mein Begleiter rüttelte mich aus meinen Kreuz- und Quergedanken auf,
in die ich versunken war. „Jetzt aufgeschaut, jetzt sollen Sie das wunderbarste
von allen diesen Wundern sehen." Er öffnete eine Thür und ein imposanter
Anblick bot sich dar. Es war ein Saal wie die vorigen, nur ganz von einer
einzigen Maschine ausgefüllt. Ein riesenhaftes Schwungrad, das von ihr in
immer gleichmäßiger Bewegung erhalten wurde, theilte diese durch Züge, die
sich in den Wänden verloren, an sämmtliche Maschinen sämmtlicher Säle mit, die
wir zuvor betrachtet hatten. Die größte wie die kleinste Arbeit derselben, jedes
Bcrnichtungswerkzeug, das aus dem Ganzen hervorging, war das Werk ihres
Antriebs. Sie war noch nicht alt; an ihrer Spitze über einem dünnen Stahl¬
cylinder stand wie in allen Sälen eingravirt: ^. I.

Der Aufsicht haltende Posten, der uns geführt, hatte schon längere Zeit
meinem Begleiter die complicirte Einrichtung der Maschine erläutert; doch ich
stand zu fern und hatte die Beschreibung über dem wüsten Getöse des Rades
nicht vernommen. Er schloß gerade seinen Sermon, als ich hinzutrat, und sagte,
auf den vorher von mir betrachteten Stahlcylinder deutend: „Schauens. Euer
Gnaden; dies kleine Strifterl hält das Ganze z'sammen, man sollt's net


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/168>, abgerufen am 23.07.2024.