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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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scher Prophet! Ohne die kleine Kugel in deinem Rücken, wo wäre heut der
Staat der vierzehn Königreiche und Herzogthümer? Wer säße heute drüben in
den alten Prachtsälen der Burg und was für Decrete bestimmten mit Gesetzes¬
kraft die Eigenschaften und Liebhabereien des höchsten Wesens? Der Anblick
deiner Reliquie an dieser Stelle machte mich zweifelhaft, ob Schiller wirklich
recht hatte, als er von dir sagte, der größte Liebesdienst, den du Deutschland
erwiesen, sei gewesen, daß du damals starbst.

Mit einer kleinen Kugel ballvtirt die Weltgeschichte über das Geschick von
Jahrhunderten. Vielleicht hinge sonst im Museum zu Stockholm der Purpur¬
mantel Kaiser 'Ferdinands und der dumme Lappe, der als Aufseher fungirte,
spränge ebenfalls mit den historischen Thatsachen in seiner Weise anachronistisch
um. Die Lappländer sind übrigens, obgleich sie Protestanten und zum Theil
sogar noch weit weniger, nämlich halbe Heide" sind, doch bei Weitem nicht so
dumm als die Panduren. Letztere besitzen nur mehr Glauben und das ist viel¬
leicht der Grund dafür, daß jene mehr historischen Sinn haben. Mindestens hätte
ein Lappländer mehr als unser Begleiter von den deutschen Kaisern gewußt,
in deren eherne Reihe wir jetzt hinabstiegen. So glaubte ich wenigstens an¬
fangs; später entdeckte ich, daß ich dem armen Cicerone Unrecht gethan. Er
hielt nämlich ein kleines Büchlein in der Hand, aus dem er vor jedem Harnisch
einen Abschnitt vorlas. Da er dies nun, der deutschen Sprache unkundig,
methodisch that, ohne selbst zu verstehen, was er las, so bemerkte er nicht, daß
er einen Mißgriff begangen und uns die Kaiser des Habsburgischen Hauses
statt nach einem geschichtlichen Compendium nach einer Taschenausgabe des
"Lebens der Heiligen" erklärte. Das gab zu komischen Verwechslungen Anlaß,
wenn Kaiser Karl der Fünfte z. B. als ein demüthiger Knecht des Herrn gepriesen
wurde, der in Sanftmuth und Menschenliebe sein Leben begonnen und beendigt,
oder wenn sein Großneffe Rudolf immer stegreich den Verlockungen der Sinne
und des Sarans widerstand. Welchem armen Menschenkinde wird ein Billig-
denkender ein harmloses Gelächter bei so ergötzlichen Mißverständnisse" verargen.
Meine Heiterkeit aber verscheuchte unsern Declamator, so daß er sich mit dem
Leben der Heiligen stillschweigend in einen Winkel zurückzog und uns die deut¬
schen Kaiser oder vielmehr die Ehrvsaliden, aus denen die glänzenden Falter
vor manchem Jahrhunderte ausgeflogen, allein überließ. Sie standen da in
Reih und Glied, lebensgroß, eine ernste, stille Versammlung. Die verschie¬
densten Zeitalter, die mannigfachsten Trachten und Rüstungen. Und alle echt
und authentisch; alle "eigenhändig", ja sogar "höchst eigenhändig" um weiland
blühende Leiber gelegt.

Wenn ich Kaiser von Oestreich wäre, ich ließe nur den Thronfolger diesen
Saal betreten, aber nicht mit dem "Leben der Heiligen", sondern mit einem
guten specifischen Geschichtswerke, das leider noch nicht geschrieben ist. Einst-


scher Prophet! Ohne die kleine Kugel in deinem Rücken, wo wäre heut der
Staat der vierzehn Königreiche und Herzogthümer? Wer säße heute drüben in
den alten Prachtsälen der Burg und was für Decrete bestimmten mit Gesetzes¬
kraft die Eigenschaften und Liebhabereien des höchsten Wesens? Der Anblick
deiner Reliquie an dieser Stelle machte mich zweifelhaft, ob Schiller wirklich
recht hatte, als er von dir sagte, der größte Liebesdienst, den du Deutschland
erwiesen, sei gewesen, daß du damals starbst.

Mit einer kleinen Kugel ballvtirt die Weltgeschichte über das Geschick von
Jahrhunderten. Vielleicht hinge sonst im Museum zu Stockholm der Purpur¬
mantel Kaiser 'Ferdinands und der dumme Lappe, der als Aufseher fungirte,
spränge ebenfalls mit den historischen Thatsachen in seiner Weise anachronistisch
um. Die Lappländer sind übrigens, obgleich sie Protestanten und zum Theil
sogar noch weit weniger, nämlich halbe Heide» sind, doch bei Weitem nicht so
dumm als die Panduren. Letztere besitzen nur mehr Glauben und das ist viel¬
leicht der Grund dafür, daß jene mehr historischen Sinn haben. Mindestens hätte
ein Lappländer mehr als unser Begleiter von den deutschen Kaisern gewußt,
in deren eherne Reihe wir jetzt hinabstiegen. So glaubte ich wenigstens an¬
fangs; später entdeckte ich, daß ich dem armen Cicerone Unrecht gethan. Er
hielt nämlich ein kleines Büchlein in der Hand, aus dem er vor jedem Harnisch
einen Abschnitt vorlas. Da er dies nun, der deutschen Sprache unkundig,
methodisch that, ohne selbst zu verstehen, was er las, so bemerkte er nicht, daß
er einen Mißgriff begangen und uns die Kaiser des Habsburgischen Hauses
statt nach einem geschichtlichen Compendium nach einer Taschenausgabe des
„Lebens der Heiligen" erklärte. Das gab zu komischen Verwechslungen Anlaß,
wenn Kaiser Karl der Fünfte z. B. als ein demüthiger Knecht des Herrn gepriesen
wurde, der in Sanftmuth und Menschenliebe sein Leben begonnen und beendigt,
oder wenn sein Großneffe Rudolf immer stegreich den Verlockungen der Sinne
und des Sarans widerstand. Welchem armen Menschenkinde wird ein Billig-
denkender ein harmloses Gelächter bei so ergötzlichen Mißverständnisse» verargen.
Meine Heiterkeit aber verscheuchte unsern Declamator, so daß er sich mit dem
Leben der Heiligen stillschweigend in einen Winkel zurückzog und uns die deut¬
schen Kaiser oder vielmehr die Ehrvsaliden, aus denen die glänzenden Falter
vor manchem Jahrhunderte ausgeflogen, allein überließ. Sie standen da in
Reih und Glied, lebensgroß, eine ernste, stille Versammlung. Die verschie¬
densten Zeitalter, die mannigfachsten Trachten und Rüstungen. Und alle echt
und authentisch; alle „eigenhändig", ja sogar „höchst eigenhändig" um weiland
blühende Leiber gelegt.

Wenn ich Kaiser von Oestreich wäre, ich ließe nur den Thronfolger diesen
Saal betreten, aber nicht mit dem „Leben der Heiligen", sondern mit einem
guten specifischen Geschichtswerke, das leider noch nicht geschrieben ist. Einst-


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[0163] scher Prophet! Ohne die kleine Kugel in deinem Rücken, wo wäre heut der Staat der vierzehn Königreiche und Herzogthümer? Wer säße heute drüben in den alten Prachtsälen der Burg und was für Decrete bestimmten mit Gesetzes¬ kraft die Eigenschaften und Liebhabereien des höchsten Wesens? Der Anblick deiner Reliquie an dieser Stelle machte mich zweifelhaft, ob Schiller wirklich recht hatte, als er von dir sagte, der größte Liebesdienst, den du Deutschland erwiesen, sei gewesen, daß du damals starbst. Mit einer kleinen Kugel ballvtirt die Weltgeschichte über das Geschick von Jahrhunderten. Vielleicht hinge sonst im Museum zu Stockholm der Purpur¬ mantel Kaiser 'Ferdinands und der dumme Lappe, der als Aufseher fungirte, spränge ebenfalls mit den historischen Thatsachen in seiner Weise anachronistisch um. Die Lappländer sind übrigens, obgleich sie Protestanten und zum Theil sogar noch weit weniger, nämlich halbe Heide» sind, doch bei Weitem nicht so dumm als die Panduren. Letztere besitzen nur mehr Glauben und das ist viel¬ leicht der Grund dafür, daß jene mehr historischen Sinn haben. Mindestens hätte ein Lappländer mehr als unser Begleiter von den deutschen Kaisern gewußt, in deren eherne Reihe wir jetzt hinabstiegen. So glaubte ich wenigstens an¬ fangs; später entdeckte ich, daß ich dem armen Cicerone Unrecht gethan. Er hielt nämlich ein kleines Büchlein in der Hand, aus dem er vor jedem Harnisch einen Abschnitt vorlas. Da er dies nun, der deutschen Sprache unkundig, methodisch that, ohne selbst zu verstehen, was er las, so bemerkte er nicht, daß er einen Mißgriff begangen und uns die Kaiser des Habsburgischen Hauses statt nach einem geschichtlichen Compendium nach einer Taschenausgabe des „Lebens der Heiligen" erklärte. Das gab zu komischen Verwechslungen Anlaß, wenn Kaiser Karl der Fünfte z. B. als ein demüthiger Knecht des Herrn gepriesen wurde, der in Sanftmuth und Menschenliebe sein Leben begonnen und beendigt, oder wenn sein Großneffe Rudolf immer stegreich den Verlockungen der Sinne und des Sarans widerstand. Welchem armen Menschenkinde wird ein Billig- denkender ein harmloses Gelächter bei so ergötzlichen Mißverständnisse» verargen. Meine Heiterkeit aber verscheuchte unsern Declamator, so daß er sich mit dem Leben der Heiligen stillschweigend in einen Winkel zurückzog und uns die deut¬ schen Kaiser oder vielmehr die Ehrvsaliden, aus denen die glänzenden Falter vor manchem Jahrhunderte ausgeflogen, allein überließ. Sie standen da in Reih und Glied, lebensgroß, eine ernste, stille Versammlung. Die verschie¬ densten Zeitalter, die mannigfachsten Trachten und Rüstungen. Und alle echt und authentisch; alle „eigenhändig", ja sogar „höchst eigenhändig" um weiland blühende Leiber gelegt. Wenn ich Kaiser von Oestreich wäre, ich ließe nur den Thronfolger diesen Saal betreten, aber nicht mit dem „Leben der Heiligen", sondern mit einem guten specifischen Geschichtswerke, das leider noch nicht geschrieben ist. Einst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/163>, abgerufen am 23.07.2024.