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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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rückt. Weiter hinauf liegt die Raabbahn; das Glas irrt über ihren weitzer-
sireuten. rauchgeschwärzten Gebäuden hin -- dann setzt es ab und was als
eine Gruppe von Palästen erschienen, schwindet wieder in ein winziges Fleck¬
chen zurück neben jenem oben erwähnten Viereck, wie Trabantenvolk neben der
Sonne.

Dies freilich ist die einzige Ähnlichkeit mit der Sonne, die jenes Viereck
beanspruchen kann; wenigstens hat das Sonnenspectrum uns bis jetzt noch keine
Aufklärung darüber verschafft, ob unsere milde Himmelsfreundin auch so viel
Eisen in ihren glühenden Adern birgt, daß daraus eine andere Aehnlichknt
mit dem Inhalt der Feueressen jenes Quadrates abzunehmen wäre. Sonst
bildete schon sein äußerer Anblick den vollständigsten Gegensatz zu einem leuch¬
tenden und noch mehr zu einem freundlichen Gestirn. Die in doppelter Manns¬
höhe über dem Boden beginnenden dichtvergitterten Fenster schauen grämlich
ins Land hinaus; die rothen Ziegelsteine, aus denen es erbaut ist, scheinen
ihren bräunlichen Teint nicht allein vom Wetter bekommen zu haben; bastei¬
artige Thürme erheben sich hier und da aus der einförmigen Linie und decken
die Flanken wie Elephanten, die eine Heerde von Rhinozerossen escortiren.
Jeder andere Vergleich würde noch mehr hinken als dieser.

Ich habe es glücklicherweise nur bei Sonnenschein gesehen; bei Regenwetter,
glaube ich, könnte sein Anblick einen Harlequin mit tödtlicher Melancholie er¬
füllen, -- Schnell rollte unser Fiaker dahin, passirte die Barriöre der Metropolis,
kreuzte den Schienenstrang der Naabbahn -- noch ein paar Minuten zwischen
unfruchtbarem Ackerland, das auf beiden Seiten trostlos und humusbegehrend
zu mir aufblickte, und der Wagen hielt vor dem riesigen Einsahrtsthvr, ein Unter¬
offizier löste sich von dem starken Wachtposten unter der Halle und trat an uns
heran. Mein Gefährte reichte ihm die speciell für uns ausgewirkten Erlaub¬
nißkarten, deren Unterschrift jener einen Augenblick aufmerksam betrachtete. Dann
trat er militärisch grüßend zurück, und wir flogen in den Hofraum des Arse¬
nals zu Wien, will sagen in den Tower von Oestreich.

An dem Namen des Towers hingen Jahrhunderte lang die Geschicke Eng¬
lands. Jenes Gebäude auf dem Themsehügel, das Zwinguri Albions, zu dem
die Römer den Grund gelegt, hat lange und gute Dienste geleistet. Wer den
ummauerten Hügel in Händen hielt, der mochte nach Belieben schalten. Nach
den Römern kamen die Sachsen und schwangen sich auf seine Zinne, nach ihnen
die Dänen und den Dänen folgten die Normannen -- alle wußten und erprobten:
wer ihn hielt, der hielt London, und wer London hält, der hält England.

Der Zügel, den der habsburgische Reiter seinem angestammten Reitpferde
angelegt, ist nicht so alt wie jener von Britannien. Im Gegentheil, er ist sehr
modernen Ursprungs und schon deshalb nicht so schwerfällig eingerichtet. Das
mystische Gewebe fehlt, das die Vorzeit um jenen gewoben; es fehlt die No-


rückt. Weiter hinauf liegt die Raabbahn; das Glas irrt über ihren weitzer-
sireuten. rauchgeschwärzten Gebäuden hin — dann setzt es ab und was als
eine Gruppe von Palästen erschienen, schwindet wieder in ein winziges Fleck¬
chen zurück neben jenem oben erwähnten Viereck, wie Trabantenvolk neben der
Sonne.

Dies freilich ist die einzige Ähnlichkeit mit der Sonne, die jenes Viereck
beanspruchen kann; wenigstens hat das Sonnenspectrum uns bis jetzt noch keine
Aufklärung darüber verschafft, ob unsere milde Himmelsfreundin auch so viel
Eisen in ihren glühenden Adern birgt, daß daraus eine andere Aehnlichknt
mit dem Inhalt der Feueressen jenes Quadrates abzunehmen wäre. Sonst
bildete schon sein äußerer Anblick den vollständigsten Gegensatz zu einem leuch¬
tenden und noch mehr zu einem freundlichen Gestirn. Die in doppelter Manns¬
höhe über dem Boden beginnenden dichtvergitterten Fenster schauen grämlich
ins Land hinaus; die rothen Ziegelsteine, aus denen es erbaut ist, scheinen
ihren bräunlichen Teint nicht allein vom Wetter bekommen zu haben; bastei¬
artige Thürme erheben sich hier und da aus der einförmigen Linie und decken
die Flanken wie Elephanten, die eine Heerde von Rhinozerossen escortiren.
Jeder andere Vergleich würde noch mehr hinken als dieser.

Ich habe es glücklicherweise nur bei Sonnenschein gesehen; bei Regenwetter,
glaube ich, könnte sein Anblick einen Harlequin mit tödtlicher Melancholie er¬
füllen, — Schnell rollte unser Fiaker dahin, passirte die Barriöre der Metropolis,
kreuzte den Schienenstrang der Naabbahn — noch ein paar Minuten zwischen
unfruchtbarem Ackerland, das auf beiden Seiten trostlos und humusbegehrend
zu mir aufblickte, und der Wagen hielt vor dem riesigen Einsahrtsthvr, ein Unter¬
offizier löste sich von dem starken Wachtposten unter der Halle und trat an uns
heran. Mein Gefährte reichte ihm die speciell für uns ausgewirkten Erlaub¬
nißkarten, deren Unterschrift jener einen Augenblick aufmerksam betrachtete. Dann
trat er militärisch grüßend zurück, und wir flogen in den Hofraum des Arse¬
nals zu Wien, will sagen in den Tower von Oestreich.

An dem Namen des Towers hingen Jahrhunderte lang die Geschicke Eng¬
lands. Jenes Gebäude auf dem Themsehügel, das Zwinguri Albions, zu dem
die Römer den Grund gelegt, hat lange und gute Dienste geleistet. Wer den
ummauerten Hügel in Händen hielt, der mochte nach Belieben schalten. Nach
den Römern kamen die Sachsen und schwangen sich auf seine Zinne, nach ihnen
die Dänen und den Dänen folgten die Normannen — alle wußten und erprobten:
wer ihn hielt, der hielt London, und wer London hält, der hält England.

Der Zügel, den der habsburgische Reiter seinem angestammten Reitpferde
angelegt, ist nicht so alt wie jener von Britannien. Im Gegentheil, er ist sehr
modernen Ursprungs und schon deshalb nicht so schwerfällig eingerichtet. Das
mystische Gewebe fehlt, das die Vorzeit um jenen gewoben; es fehlt die No-


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[0160] rückt. Weiter hinauf liegt die Raabbahn; das Glas irrt über ihren weitzer- sireuten. rauchgeschwärzten Gebäuden hin — dann setzt es ab und was als eine Gruppe von Palästen erschienen, schwindet wieder in ein winziges Fleck¬ chen zurück neben jenem oben erwähnten Viereck, wie Trabantenvolk neben der Sonne. Dies freilich ist die einzige Ähnlichkeit mit der Sonne, die jenes Viereck beanspruchen kann; wenigstens hat das Sonnenspectrum uns bis jetzt noch keine Aufklärung darüber verschafft, ob unsere milde Himmelsfreundin auch so viel Eisen in ihren glühenden Adern birgt, daß daraus eine andere Aehnlichknt mit dem Inhalt der Feueressen jenes Quadrates abzunehmen wäre. Sonst bildete schon sein äußerer Anblick den vollständigsten Gegensatz zu einem leuch¬ tenden und noch mehr zu einem freundlichen Gestirn. Die in doppelter Manns¬ höhe über dem Boden beginnenden dichtvergitterten Fenster schauen grämlich ins Land hinaus; die rothen Ziegelsteine, aus denen es erbaut ist, scheinen ihren bräunlichen Teint nicht allein vom Wetter bekommen zu haben; bastei¬ artige Thürme erheben sich hier und da aus der einförmigen Linie und decken die Flanken wie Elephanten, die eine Heerde von Rhinozerossen escortiren. Jeder andere Vergleich würde noch mehr hinken als dieser. Ich habe es glücklicherweise nur bei Sonnenschein gesehen; bei Regenwetter, glaube ich, könnte sein Anblick einen Harlequin mit tödtlicher Melancholie er¬ füllen, — Schnell rollte unser Fiaker dahin, passirte die Barriöre der Metropolis, kreuzte den Schienenstrang der Naabbahn — noch ein paar Minuten zwischen unfruchtbarem Ackerland, das auf beiden Seiten trostlos und humusbegehrend zu mir aufblickte, und der Wagen hielt vor dem riesigen Einsahrtsthvr, ein Unter¬ offizier löste sich von dem starken Wachtposten unter der Halle und trat an uns heran. Mein Gefährte reichte ihm die speciell für uns ausgewirkten Erlaub¬ nißkarten, deren Unterschrift jener einen Augenblick aufmerksam betrachtete. Dann trat er militärisch grüßend zurück, und wir flogen in den Hofraum des Arse¬ nals zu Wien, will sagen in den Tower von Oestreich. An dem Namen des Towers hingen Jahrhunderte lang die Geschicke Eng¬ lands. Jenes Gebäude auf dem Themsehügel, das Zwinguri Albions, zu dem die Römer den Grund gelegt, hat lange und gute Dienste geleistet. Wer den ummauerten Hügel in Händen hielt, der mochte nach Belieben schalten. Nach den Römern kamen die Sachsen und schwangen sich auf seine Zinne, nach ihnen die Dänen und den Dänen folgten die Normannen — alle wußten und erprobten: wer ihn hielt, der hielt London, und wer London hält, der hält England. Der Zügel, den der habsburgische Reiter seinem angestammten Reitpferde angelegt, ist nicht so alt wie jener von Britannien. Im Gegentheil, er ist sehr modernen Ursprungs und schon deshalb nicht so schwerfällig eingerichtet. Das mystische Gewebe fehlt, das die Vorzeit um jenen gewoben; es fehlt die No-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/160>, abgerufen am 23.07.2024.