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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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der verlassenen Residenz am 1. November noch bis an die Edder, dann bis
gegen Ziegenhain vorgerückt sein. Hätte nun Landgraf Friedrich laut eines
gemessenen Befehles vom Kurfürsten erklärt, keine Feindseligkeiten gegen Frank¬
reich und dessen Verbündete auszuüben, im Falle eines Angriffs aber sich bis
auf den letzten Mann zu vertheidigen und hätte er, da sein Bruder abwesend
sei, den König von Holland um die Erlaubniß gebeten, einen Courier an
jenen abzusenden, um nähere Verhaltungsbefehle einzuholen, bis zu dieser Frist
aber Waffenstillstand begehrt, so konnte die Situation offenbar verbessert werden.

Aus mehren Gründen glaube ich, daß das alles nicht nur zugestanden
worden wäre, sondern auch, daß der Kurfürst durchsein persönliches Erscheinen
Mittel gefunden haben würde, den Zorn Napoleons zu besänftigen und so das
harte Geschick seiner selbst, seines Militärs und seines Landes zu mildern.
Gesetzt aber auch, der König von Holland und Marschall M orei er hätten das
Gesuch des Landgrafen abgelehnt und die sofortige unbedingte Niederlegung der
Waffen verlangt, so ist kein Zweifel, daß die Hessen durch eine tapfere Ver¬
theidigung ihren alten Ruhm behauptet haben würden. Sie wären überwunden,
aber nicht beschimpft worden. Was nicht auf dem Wahlplatze geblieben, was
in den Festungen, die sich 14 Tage halten konnten, gefangen worden wäre,
kam dann in französische Gefangenschaft. Der unsinnige sechs Wochen später aus¬
brechende Aufstand hätte nicht stattgefunden; es wären keine Patrioten füsikrt,
keine Häuser angezündet, keine Städte übermäßig gebrandschatzt worden. Hessen
würde nur das allgemeine Schicksal des ganzen Norddeutschlands habe theilen
müssen, aber es wäre- ein Leid in Ehren gewesen.

Es ist hinreichend bekannt, wie der Kurfürst nach siebenjähriger Entfernung
wieder in seinem Lande einzog, wie er von den erschütternden Zwischenfällen
gar keine Notiz nahm, und, weder Zeit noch Zustände beachtend, gerade so zu
regieren fortfuhr, wie er, durch die "fatalen Accidents" unterbrochen, begonnen
hatte. Am meisten hatten die Offiziere zu leiden. Männer, die, von ihrem
Kriegsherrn im Stich gelassen, widerwillig unter den fremden Adlern gefochten,
aber in vielen Schlachten und Gefechten geblutet und durch ihr tapferes, ritter¬
liches Benehmen sich die Achtung Aller erworben, wurden auf das Empörendste
zurückgesetzt; ihre derzeitigen Chargen hatten beim Kurfürsten keine Willigkeit.
Alles, was unter der Fremdherrschaft gedient, haßte er gründlich, namentlich
aber die Neuerungen, die eine so bewegte Zeit mit sich gebracht hatte. Des
Kurfürsten ganzes Streben ging nur dahin, jede Spur davon möglichst zu ver¬
wischen und hierzu scheute man kein Mittel. Wurde doch selbst der alte, bereits
vergessene Zopf wieder aus der Rumpelkammer hervorgesucht, damit die in ihn
hineingeflochtenen Ideen wieder neuen Halt gewännen! --

Wir fügen hier noch eine darauf bezügliche Cabinetsordre an, die Zeugniß
davon ablegen mag, wie Wilhelm der Erste die Zeit auffaßte und wie er,


Grenzboten I- 186S. 19

der verlassenen Residenz am 1. November noch bis an die Edder, dann bis
gegen Ziegenhain vorgerückt sein. Hätte nun Landgraf Friedrich laut eines
gemessenen Befehles vom Kurfürsten erklärt, keine Feindseligkeiten gegen Frank¬
reich und dessen Verbündete auszuüben, im Falle eines Angriffs aber sich bis
auf den letzten Mann zu vertheidigen und hätte er, da sein Bruder abwesend
sei, den König von Holland um die Erlaubniß gebeten, einen Courier an
jenen abzusenden, um nähere Verhaltungsbefehle einzuholen, bis zu dieser Frist
aber Waffenstillstand begehrt, so konnte die Situation offenbar verbessert werden.

Aus mehren Gründen glaube ich, daß das alles nicht nur zugestanden
worden wäre, sondern auch, daß der Kurfürst durchsein persönliches Erscheinen
Mittel gefunden haben würde, den Zorn Napoleons zu besänftigen und so das
harte Geschick seiner selbst, seines Militärs und seines Landes zu mildern.
Gesetzt aber auch, der König von Holland und Marschall M orei er hätten das
Gesuch des Landgrafen abgelehnt und die sofortige unbedingte Niederlegung der
Waffen verlangt, so ist kein Zweifel, daß die Hessen durch eine tapfere Ver¬
theidigung ihren alten Ruhm behauptet haben würden. Sie wären überwunden,
aber nicht beschimpft worden. Was nicht auf dem Wahlplatze geblieben, was
in den Festungen, die sich 14 Tage halten konnten, gefangen worden wäre,
kam dann in französische Gefangenschaft. Der unsinnige sechs Wochen später aus¬
brechende Aufstand hätte nicht stattgefunden; es wären keine Patrioten füsikrt,
keine Häuser angezündet, keine Städte übermäßig gebrandschatzt worden. Hessen
würde nur das allgemeine Schicksal des ganzen Norddeutschlands habe theilen
müssen, aber es wäre- ein Leid in Ehren gewesen.

Es ist hinreichend bekannt, wie der Kurfürst nach siebenjähriger Entfernung
wieder in seinem Lande einzog, wie er von den erschütternden Zwischenfällen
gar keine Notiz nahm, und, weder Zeit noch Zustände beachtend, gerade so zu
regieren fortfuhr, wie er, durch die „fatalen Accidents" unterbrochen, begonnen
hatte. Am meisten hatten die Offiziere zu leiden. Männer, die, von ihrem
Kriegsherrn im Stich gelassen, widerwillig unter den fremden Adlern gefochten,
aber in vielen Schlachten und Gefechten geblutet und durch ihr tapferes, ritter¬
liches Benehmen sich die Achtung Aller erworben, wurden auf das Empörendste
zurückgesetzt; ihre derzeitigen Chargen hatten beim Kurfürsten keine Willigkeit.
Alles, was unter der Fremdherrschaft gedient, haßte er gründlich, namentlich
aber die Neuerungen, die eine so bewegte Zeit mit sich gebracht hatte. Des
Kurfürsten ganzes Streben ging nur dahin, jede Spur davon möglichst zu ver¬
wischen und hierzu scheute man kein Mittel. Wurde doch selbst der alte, bereits
vergessene Zopf wieder aus der Rumpelkammer hervorgesucht, damit die in ihn
hineingeflochtenen Ideen wieder neuen Halt gewännen! —

Wir fügen hier noch eine darauf bezügliche Cabinetsordre an, die Zeugniß
davon ablegen mag, wie Wilhelm der Erste die Zeit auffaßte und wie er,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/157>, abgerufen am 23.07.2024.