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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Der Leser wird finden, daß das Ganze das Gepräge der Wahrheit, Unpartei¬
lichkeit und der genauesten Kenntniß trägt. So wollen wir denn auch das
interessante Schriftstück seinem wesentlichen Inhalte nach wiedergeben.

Das harte Schicksal des Kurfürsten von Hessen und seiner braven Militärs
begann mit der Besitznahme Kassels durch den Marsch all Mortier am
1. November 1806. Wir fragen zunächst, gab es kein Mittel, wodurch jene
schimpfliche Lage hätte gemildert werden können?

Um darauf richtig zu antworten, muh man sich die Bemühungen des preu¬
ßischen Cabinets seit dem Juli des Jahres 1806, den Kurfürsten zur Theil¬
nahme an dem nun einmal so unvorsichtigen Kriege gegen Frankreich zu be¬
wegen, und das Betragen des Letzteren gegen Napoleon vergegenwärtigen.
Da er wußte, wie mißlich die Lage seines Landes im Fall eines Krieges gegen
Frankreich sei, und da er eingedenk war, wie oft ihn schon das preußische
Cabinet durch Versprechungen getäuscht, ja hintergangen hatte, widerstand der
Kurfürst lange den directen Anmuthungen Preußens sowie den Anreizungen
vieler durch preußische Vorstellungen elektristrter Stimmen seiner Umgebung.
Dennoch schienen zu Anfang September diese Machinationen zu siegen, denn
es wurde befohlen, einen Theil der Truppen mobil zu machen, sowie auch die
beiden unbedeutenden und unhaltbaren Festungen Ziegenhain und Hanau einiger¬
maßen in Vertheidigungsstand zu setzen; aber alles wurde so heimlich, so kärg¬
lich, so langsam betrieben, daß die Verständigen an einer Verbindung mit
Preußen um so mehr zweifelten, als man bestimmt wußte, daß der Kurfürst um
Beibehaltung seiner Neutralität in Paris nachgesucht hatte und noch in Unter¬
handlungen darüber stand. Als jedoch im October die Mobilisirung der Ka¬
vallerie factisch in Angriff genommen, auch ein Corps unter dem Vorwande
des Manvvrirens zwischen der Edder und S chwalm, in enge Cantonnirungen
verlegt wurde, schien die Theilnahme am Kriege mehr als wahrscheinlich*).
Dieses Corps, wozu noch drei Bataillone und fünf Schwadronen, letztere aber
noch unvollständig beritten, stießen, rückte den 11. October in die Gegend von
Ziegenhain und besetzte die darmstädtsche Grenze, jedoch mit der Weisung,
diese nicht zu überschreiten, sowie keine Feindseligkeiten gegen Frankreich und
dessen Verbündete auszuüben und nur bei einem Angriff Gewalt mit Gewalt zu
vertreiben. Einige Tage zuvor traten indeß Begebenheiten ein, welche den ent¬
scheidendsten Einfluß auf das Schicksal des Kurfürsten und seines Landes, viel-



Dieses Corps bestand, mit Hinzuziehung der Garnisonen von Homberg und Fritz-
i or, aus 7 Bataillonen und 20 Schwadronen, es zählte aber, da bei der Infanterie die
Beurlaubten "ur zur Hälfte eingezogen waren, die Cavallerie aber nur zur Hälfte beritten
war, kaum 4000 Mann.
18*

Der Leser wird finden, daß das Ganze das Gepräge der Wahrheit, Unpartei¬
lichkeit und der genauesten Kenntniß trägt. So wollen wir denn auch das
interessante Schriftstück seinem wesentlichen Inhalte nach wiedergeben.

Das harte Schicksal des Kurfürsten von Hessen und seiner braven Militärs
begann mit der Besitznahme Kassels durch den Marsch all Mortier am
1. November 1806. Wir fragen zunächst, gab es kein Mittel, wodurch jene
schimpfliche Lage hätte gemildert werden können?

Um darauf richtig zu antworten, muh man sich die Bemühungen des preu¬
ßischen Cabinets seit dem Juli des Jahres 1806, den Kurfürsten zur Theil¬
nahme an dem nun einmal so unvorsichtigen Kriege gegen Frankreich zu be¬
wegen, und das Betragen des Letzteren gegen Napoleon vergegenwärtigen.
Da er wußte, wie mißlich die Lage seines Landes im Fall eines Krieges gegen
Frankreich sei, und da er eingedenk war, wie oft ihn schon das preußische
Cabinet durch Versprechungen getäuscht, ja hintergangen hatte, widerstand der
Kurfürst lange den directen Anmuthungen Preußens sowie den Anreizungen
vieler durch preußische Vorstellungen elektristrter Stimmen seiner Umgebung.
Dennoch schienen zu Anfang September diese Machinationen zu siegen, denn
es wurde befohlen, einen Theil der Truppen mobil zu machen, sowie auch die
beiden unbedeutenden und unhaltbaren Festungen Ziegenhain und Hanau einiger¬
maßen in Vertheidigungsstand zu setzen; aber alles wurde so heimlich, so kärg¬
lich, so langsam betrieben, daß die Verständigen an einer Verbindung mit
Preußen um so mehr zweifelten, als man bestimmt wußte, daß der Kurfürst um
Beibehaltung seiner Neutralität in Paris nachgesucht hatte und noch in Unter¬
handlungen darüber stand. Als jedoch im October die Mobilisirung der Ka¬
vallerie factisch in Angriff genommen, auch ein Corps unter dem Vorwande
des Manvvrirens zwischen der Edder und S chwalm, in enge Cantonnirungen
verlegt wurde, schien die Theilnahme am Kriege mehr als wahrscheinlich*).
Dieses Corps, wozu noch drei Bataillone und fünf Schwadronen, letztere aber
noch unvollständig beritten, stießen, rückte den 11. October in die Gegend von
Ziegenhain und besetzte die darmstädtsche Grenze, jedoch mit der Weisung,
diese nicht zu überschreiten, sowie keine Feindseligkeiten gegen Frankreich und
dessen Verbündete auszuüben und nur bei einem Angriff Gewalt mit Gewalt zu
vertreiben. Einige Tage zuvor traten indeß Begebenheiten ein, welche den ent¬
scheidendsten Einfluß auf das Schicksal des Kurfürsten und seines Landes, viel-



Dieses Corps bestand, mit Hinzuziehung der Garnisonen von Homberg und Fritz-
i or, aus 7 Bataillonen und 20 Schwadronen, es zählte aber, da bei der Infanterie die
Beurlaubten »ur zur Hälfte eingezogen waren, die Cavallerie aber nur zur Hälfte beritten
war, kaum 4000 Mann.
18*
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[0151] Der Leser wird finden, daß das Ganze das Gepräge der Wahrheit, Unpartei¬ lichkeit und der genauesten Kenntniß trägt. So wollen wir denn auch das interessante Schriftstück seinem wesentlichen Inhalte nach wiedergeben. Das harte Schicksal des Kurfürsten von Hessen und seiner braven Militärs begann mit der Besitznahme Kassels durch den Marsch all Mortier am 1. November 1806. Wir fragen zunächst, gab es kein Mittel, wodurch jene schimpfliche Lage hätte gemildert werden können? Um darauf richtig zu antworten, muh man sich die Bemühungen des preu¬ ßischen Cabinets seit dem Juli des Jahres 1806, den Kurfürsten zur Theil¬ nahme an dem nun einmal so unvorsichtigen Kriege gegen Frankreich zu be¬ wegen, und das Betragen des Letzteren gegen Napoleon vergegenwärtigen. Da er wußte, wie mißlich die Lage seines Landes im Fall eines Krieges gegen Frankreich sei, und da er eingedenk war, wie oft ihn schon das preußische Cabinet durch Versprechungen getäuscht, ja hintergangen hatte, widerstand der Kurfürst lange den directen Anmuthungen Preußens sowie den Anreizungen vieler durch preußische Vorstellungen elektristrter Stimmen seiner Umgebung. Dennoch schienen zu Anfang September diese Machinationen zu siegen, denn es wurde befohlen, einen Theil der Truppen mobil zu machen, sowie auch die beiden unbedeutenden und unhaltbaren Festungen Ziegenhain und Hanau einiger¬ maßen in Vertheidigungsstand zu setzen; aber alles wurde so heimlich, so kärg¬ lich, so langsam betrieben, daß die Verständigen an einer Verbindung mit Preußen um so mehr zweifelten, als man bestimmt wußte, daß der Kurfürst um Beibehaltung seiner Neutralität in Paris nachgesucht hatte und noch in Unter¬ handlungen darüber stand. Als jedoch im October die Mobilisirung der Ka¬ vallerie factisch in Angriff genommen, auch ein Corps unter dem Vorwande des Manvvrirens zwischen der Edder und S chwalm, in enge Cantonnirungen verlegt wurde, schien die Theilnahme am Kriege mehr als wahrscheinlich*). Dieses Corps, wozu noch drei Bataillone und fünf Schwadronen, letztere aber noch unvollständig beritten, stießen, rückte den 11. October in die Gegend von Ziegenhain und besetzte die darmstädtsche Grenze, jedoch mit der Weisung, diese nicht zu überschreiten, sowie keine Feindseligkeiten gegen Frankreich und dessen Verbündete auszuüben und nur bei einem Angriff Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Einige Tage zuvor traten indeß Begebenheiten ein, welche den ent¬ scheidendsten Einfluß auf das Schicksal des Kurfürsten und seines Landes, viel- Dieses Corps bestand, mit Hinzuziehung der Garnisonen von Homberg und Fritz- i or, aus 7 Bataillonen und 20 Schwadronen, es zählte aber, da bei der Infanterie die Beurlaubten »ur zur Hälfte eingezogen waren, die Cavallerie aber nur zur Hälfte beritten war, kaum 4000 Mann. 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/151>, abgerufen am 23.07.2024.