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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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zum Theil selbst schon in die Zeit des Herodes reichen, einzig und allein auf
secundäre Quellen, ja eigentlich blos aus unsre Evangelien angewiesen sind.
Denn Josephus schweigt, und die Targume, welche man herbeigezogen hat.
d. h. die damals entstandenen Übersetzungen des alten Testaments in die
Volkssprache, haben ihre Endredactivn erst in einer viel späteren Zeit erhalten.
Solche Stellen, wo die Uebersetzung den Messiasglauben verräth, sind also für
diese Zeit keineswegs beweisend. Wie vorsichtig aber unsre Evangelien gerade
in dieser Frage als historische Quellen zu gebrauchen sind, liegt auf der Hand.
Sie sind geschrieben vom Standpunkt des Glaubens an den erschienenen Messias,
sie haben das natürliche Interesse, Jesus als die Erfüllung aller Prophetie
darzustellen, und es lag von hier aus nahe, auch die Erwartung gerade zur
Zeit Jesu als hockgesteigert, als der Erfüllung entgegenkommend zu schildern.
Jedenfalls bedarf dieser Punkt, auf welchen alles ankommt, wenn man auf
historischem Weg von Seiten der Messiasidee in die Entwicklungsgeschichte des
Christenthums eindringen will, einer noch genaueren und abseitigeren Erforschung,
als sie bei Colani sich findet, wobei insbesondere auch das jüdische Parteiwesen
zu berücksichtigen ist. Eine schärfere Unterscheidung dessen, was sich wirklich als
Vorstellung der Juden zur Zeit Jesu nachweisen läßt, und dessen, was die
Messiasidee erst dem durch die Erscheinung Jesu gegebnen Anstoß verdankt,
und zwar nicht blos im Kreis seiner Bekenner, sondern auch innerhalb des
Judenthums selbst, dürfte zu dem Resultat führen, daß zwar unter der er¬
drückenden Wucht der Römerherrschaft die messianischen Erwartungen aufs neue
lebendig wurden, daß aber damit die Erwartung eines persönlichen Messias gar
nicht nothwendig VerHunden war. Alle Erscheinungen des damaligen Juden¬
thums weisen auf eine angespannte Erregung der Geister. In der gesteigerten
reichsstürmerischen Frömmigkeit der Pharisäer, in den mystischen Vereinen der
Esscicr, in der weltflüchtigen Askese der Therapeuten in Aegypten, in dem Auf¬
treten von Wüsteneinsiedlcrn spricht sich der allgemeine Drang der Zeit aus,
sich auf ein nahe bevorstehendes Neues vorzubereiten. Aber gerade die Er¬
wartung eines persönlichen Erretters läßt sich ungleich schwerer nachweisen.
Auch aus dem herkömmlichen Bilde des Täufers Johannes werden wir zwar
nicht die Hinweisung auf das Gericht, wohl aber die Hinweisung auf den
nahen Messias zu streichen haben*). I" jedem Fall kann von einem dogmatisch
fixirten Glauben an das Kommen des Davidssvhns nicht die Rede sein. Das
ganze Volk aufs Tiefste von der Messiasidee aufgeregt sein lassen, ist ungefähr



') Dem alten Bund ist die Vorstellung des Messias als des Weltrichters durchaus fremd
und die Vergleichung der Berichte des Matthäus, des Lucas und des Johannes zeigt deut-
lich, wie die ursprüngliche Hinweisung des Täufers auf das Kommen Gottes zum Gericht von
der Tradition zur Hinweisung auf das Kommen des Messias umgebildet wurde.

zum Theil selbst schon in die Zeit des Herodes reichen, einzig und allein auf
secundäre Quellen, ja eigentlich blos aus unsre Evangelien angewiesen sind.
Denn Josephus schweigt, und die Targume, welche man herbeigezogen hat.
d. h. die damals entstandenen Übersetzungen des alten Testaments in die
Volkssprache, haben ihre Endredactivn erst in einer viel späteren Zeit erhalten.
Solche Stellen, wo die Uebersetzung den Messiasglauben verräth, sind also für
diese Zeit keineswegs beweisend. Wie vorsichtig aber unsre Evangelien gerade
in dieser Frage als historische Quellen zu gebrauchen sind, liegt auf der Hand.
Sie sind geschrieben vom Standpunkt des Glaubens an den erschienenen Messias,
sie haben das natürliche Interesse, Jesus als die Erfüllung aller Prophetie
darzustellen, und es lag von hier aus nahe, auch die Erwartung gerade zur
Zeit Jesu als hockgesteigert, als der Erfüllung entgegenkommend zu schildern.
Jedenfalls bedarf dieser Punkt, auf welchen alles ankommt, wenn man auf
historischem Weg von Seiten der Messiasidee in die Entwicklungsgeschichte des
Christenthums eindringen will, einer noch genaueren und abseitigeren Erforschung,
als sie bei Colani sich findet, wobei insbesondere auch das jüdische Parteiwesen
zu berücksichtigen ist. Eine schärfere Unterscheidung dessen, was sich wirklich als
Vorstellung der Juden zur Zeit Jesu nachweisen läßt, und dessen, was die
Messiasidee erst dem durch die Erscheinung Jesu gegebnen Anstoß verdankt,
und zwar nicht blos im Kreis seiner Bekenner, sondern auch innerhalb des
Judenthums selbst, dürfte zu dem Resultat führen, daß zwar unter der er¬
drückenden Wucht der Römerherrschaft die messianischen Erwartungen aufs neue
lebendig wurden, daß aber damit die Erwartung eines persönlichen Messias gar
nicht nothwendig VerHunden war. Alle Erscheinungen des damaligen Juden¬
thums weisen auf eine angespannte Erregung der Geister. In der gesteigerten
reichsstürmerischen Frömmigkeit der Pharisäer, in den mystischen Vereinen der
Esscicr, in der weltflüchtigen Askese der Therapeuten in Aegypten, in dem Auf¬
treten von Wüsteneinsiedlcrn spricht sich der allgemeine Drang der Zeit aus,
sich auf ein nahe bevorstehendes Neues vorzubereiten. Aber gerade die Er¬
wartung eines persönlichen Erretters läßt sich ungleich schwerer nachweisen.
Auch aus dem herkömmlichen Bilde des Täufers Johannes werden wir zwar
nicht die Hinweisung auf das Gericht, wohl aber die Hinweisung auf den
nahen Messias zu streichen haben*). I» jedem Fall kann von einem dogmatisch
fixirten Glauben an das Kommen des Davidssvhns nicht die Rede sein. Das
ganze Volk aufs Tiefste von der Messiasidee aufgeregt sein lassen, ist ungefähr



') Dem alten Bund ist die Vorstellung des Messias als des Weltrichters durchaus fremd
und die Vergleichung der Berichte des Matthäus, des Lucas und des Johannes zeigt deut-
lich, wie die ursprüngliche Hinweisung des Täufers auf das Kommen Gottes zum Gericht von
der Tradition zur Hinweisung auf das Kommen des Messias umgebildet wurde.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/140>, abgerufen am 23.07.2024.