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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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muß, denn es gilt ja zu sehen, wie in jenen diese aufgefaßt und behandelt
ist, und so hat immer der Unterricht beides zugleich zu umfassen. Vollends
hier thäte die Pflege des letzteren um so mehr noth, als schon das erstere
nachlässig und ungenügend behandelt wird.

Doch dies alles erscheint ja von untergeordneter Bedeutung gegen die
"vortreffliche" neue Einrichtung der M e i se er c l a sser. Hier also erwirbt sich
endlich der Schüler das lebendige Verständniß der Natur und der unvergäng¬
lichen Muster. Doch wie? Ist auch nur ein einziger der "Meisterlehrer" selber
bei den alten Meistern in die Lehre gegangen? Etwa Schraudvlph -- der
Professor für die Hciligenmalerci --, welcher jener süßlichen modern verflachten
Richtung der Nazarener angehört, die nicht einmal wie Overbeck an den Vor-
raphaeliten, geschweige an der vollendeten Kunst sich gebildet haben? oder
Philipp Foltz. der sich eine Zeit lang in der romantischen Kunst umgetneben,
welche sich für malerisch hielt, weil sie sich mit wenig Phantasie und Sinn für
das eigenthümliche Leben ihrer Kunst die eine und andere poetische Stimmung
vom Dichter borgte; der endlich durch ein halb naturalistisches halb empfind¬
sames Genre hindurch in den Hafen der Geschichte eingelaufen ist, auf dieser
ganzen Fahrt aber den Lallast der vergangenen Kunst und des Studiums nach
den alten Meistern mit sich zu nehmen offenbar, für überflüssig hielt? Was
Piloty, den anderen Meister der historischen Kunst anlangt, so haben wir schon
gesehen, daß er mit seiner Richtung aus den körperlichen Schein der Natur und
der Ausbildung der Technik in diesem äußerlich realistischen Sinne sich der
Kunstbildung geradezu entgegensetzte. Eine gewisse Fertigkeit der Behandlung,
welche die farbige Oberfläche und den stofflichen Schein der Dinge keck wieder¬
zugeben weiß, mögen sich seine Schüler Wohl aneignen können; auf die echte
ideale Wahrheit der Erscheinung, welche die großen Kunstepochen ausgebildet
haben, sehen sie natürlich mit dem Lehrer geringschätzig herab. Schwind
endlich, ein Mann für sich und ein Talent ganz eigenthümlicher Art, ohnehin
der alten wie der ausländischen Kunst abgeneigt, zählt kaum hierher, da er
weder Schule bildet, noch waS ihm eigen ist und in seinen Mitteln liegt, mit¬
theilen kann. Hier hatten wir es nur mit den Lehrern zu thun; was die
Künstler und ihre Werte betrifft, so wird darauf später die Rede kommen.

Doch was sollen auch die Jünger der Meisterclasscn nach den großen Vor¬
bildern sich Schulen und entwickeln lernen? Sie haben Besseres zu thu". Mit
ihrem Eintritt in die Werkstätten haben sie den Schulstaub von den Füßen ge¬
schüttelt und werden rasch gemachte Leute, denen über kurz oder lang die eine
oder andere öffentliche Wand zur Verherrlichung der bayrischen Geschichte über¬
lassen wird. Zu monumentalen Arbeiten berufen oder doch auf dem Sprunge,
gehoben von den, stolzen Gefühl, ihr Jahrhundert zu vertreten nud die Zukunft
vorzubereiten, können sie mit der alten Kunst sich nicht mehr befassen. Daß


muß, denn es gilt ja zu sehen, wie in jenen diese aufgefaßt und behandelt
ist, und so hat immer der Unterricht beides zugleich zu umfassen. Vollends
hier thäte die Pflege des letzteren um so mehr noth, als schon das erstere
nachlässig und ungenügend behandelt wird.

Doch dies alles erscheint ja von untergeordneter Bedeutung gegen die
„vortreffliche" neue Einrichtung der M e i se er c l a sser. Hier also erwirbt sich
endlich der Schüler das lebendige Verständniß der Natur und der unvergäng¬
lichen Muster. Doch wie? Ist auch nur ein einziger der „Meisterlehrer" selber
bei den alten Meistern in die Lehre gegangen? Etwa Schraudvlph — der
Professor für die Hciligenmalerci —, welcher jener süßlichen modern verflachten
Richtung der Nazarener angehört, die nicht einmal wie Overbeck an den Vor-
raphaeliten, geschweige an der vollendeten Kunst sich gebildet haben? oder
Philipp Foltz. der sich eine Zeit lang in der romantischen Kunst umgetneben,
welche sich für malerisch hielt, weil sie sich mit wenig Phantasie und Sinn für
das eigenthümliche Leben ihrer Kunst die eine und andere poetische Stimmung
vom Dichter borgte; der endlich durch ein halb naturalistisches halb empfind¬
sames Genre hindurch in den Hafen der Geschichte eingelaufen ist, auf dieser
ganzen Fahrt aber den Lallast der vergangenen Kunst und des Studiums nach
den alten Meistern mit sich zu nehmen offenbar, für überflüssig hielt? Was
Piloty, den anderen Meister der historischen Kunst anlangt, so haben wir schon
gesehen, daß er mit seiner Richtung aus den körperlichen Schein der Natur und
der Ausbildung der Technik in diesem äußerlich realistischen Sinne sich der
Kunstbildung geradezu entgegensetzte. Eine gewisse Fertigkeit der Behandlung,
welche die farbige Oberfläche und den stofflichen Schein der Dinge keck wieder¬
zugeben weiß, mögen sich seine Schüler Wohl aneignen können; auf die echte
ideale Wahrheit der Erscheinung, welche die großen Kunstepochen ausgebildet
haben, sehen sie natürlich mit dem Lehrer geringschätzig herab. Schwind
endlich, ein Mann für sich und ein Talent ganz eigenthümlicher Art, ohnehin
der alten wie der ausländischen Kunst abgeneigt, zählt kaum hierher, da er
weder Schule bildet, noch waS ihm eigen ist und in seinen Mitteln liegt, mit¬
theilen kann. Hier hatten wir es nur mit den Lehrern zu thun; was die
Künstler und ihre Werte betrifft, so wird darauf später die Rede kommen.

Doch was sollen auch die Jünger der Meisterclasscn nach den großen Vor¬
bildern sich Schulen und entwickeln lernen? Sie haben Besseres zu thu». Mit
ihrem Eintritt in die Werkstätten haben sie den Schulstaub von den Füßen ge¬
schüttelt und werden rasch gemachte Leute, denen über kurz oder lang die eine
oder andere öffentliche Wand zur Verherrlichung der bayrischen Geschichte über¬
lassen wird. Zu monumentalen Arbeiten berufen oder doch auf dem Sprunge,
gehoben von den, stolzen Gefühl, ihr Jahrhundert zu vertreten nud die Zukunft
vorzubereiten, können sie mit der alten Kunst sich nicht mehr befassen. Daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/105>, abgerufen am 23.07.2024.