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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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ging: wie denn schon nach jenem Programm, das stillschweigend oder offen
ausgesprochen den Schulen zu Grunde liegt, die Technik' von der künstlerischen
Anschauung losgelöst und damit ihrer Seele beraubt, zu einem todten Inbegriff
von Regeln, zu einem bloßen Schema, in dei Ausübung zu einer mechanischen
und charakterlosen Fertigkeit herabsinken mußte. Es war, wie wenn man der
Kunst die Haut abzog und nun an dieser den Bau ihres Körpers, die Be¬
wegung ihres Lebens dcmonsirircn wollte. Das also, worauf es gerade ankam,
die lebendige Ueberlieferung der vollendeten Formen durch eindringendes Ver¬
ständniß der classischen Kunst und ihrer Naturanschauung, das eben konnten die
Akademien nicht leisten. Und nur noch schlimmer wurde die Sache im Prak¬
tischen Verlaufe einerseits durch den Beamtcngeist, der mit Haut und Haar
d. h. mit seinem Zopf in die lehrenden Künstler fuhr, andererseits durch das
phantasielose Einerlei des durch kein innerliches Verhältniß zwischen Meister
und Schüler getragenen Unterrichts. Doch wir halten uns bei diesen Uebel¬
ständen nicht weiter auf, da ja gerade die Münchener Akademie zum Theil
wenigstens ihnen abzuhelfen versucht hat: durch die Errichtung nämlich der so¬
genannten Meisterschulen, d. h, der Werkstätten, in welche der Zögling nach
beendigtem Voruntcrricht zum praktischen Betrieb seiner Kunst unter der an¬
regenden Leitung bestimmter Meister eintritt. Mit dieser Reform, so schien es,
war das geistlose und unfruchtbare Lehrshstem beseitigt, das von jeher die
Akademieen in Verruf gebracht hat und den jungen energischen Talenten nichts
übrig ließ, als ihre Fesseln zu brechen und sich mit offener Kriegserklärung auf
ihre eigenen Füße zu stellen. Ja als die Münchener Akademie mit Piloty eine
junge naturwüchsige Kraft in sich aufnahm, die ja von vornherein aller her¬
gebrachten Regeln spottete und auf die rcinnatürliche Wahrheit der Erscheinung,
daher auf eine eigenthümliche und wirkungsvolle Technik den Schwerpunkt der
Malerei legte, da schien wenigstens den Malern sich die anregende, bildende
Schule einer neuen Kunstweise zu eröffnen, wo sie sich früher mit einem todten
Gerippe abgezogener Vorschriften zu quälen hatten.

Doch ist es durch jene Reform in München mit der Kunstbildung, dem
gründlichen Studium nach den mustergültigen Werken wirklich besser geworden,
hat sich die Akademie überhaupt dieses Studiums -- in dem oben besprochenen
Sinne -- je mit Eifer und Einsicht angenommen? Darauf, daß bis jetzt
große Talente, namhafte Künstler, welche ihr vorab ihre Bildung zu verdanken
hätten, nicht hervorgegangen sind, wollen wir kein Gewicht legen; was sie
leisten kann, wird sich am sichersten aus ihrer Organisation und der Beschaffen¬
heit ihrer Lehrer abnehmen lassen.

Der vorbereitende Unterricht beginnt wie überall mit Zeichnen nach Ab¬
güssen antiker Statuen. Schon hier also handelt es sich darum, den Schüler
vor einem vcrständnißlosen Wiedergeben des bloßen Umrisses und des räumlichen


ging: wie denn schon nach jenem Programm, das stillschweigend oder offen
ausgesprochen den Schulen zu Grunde liegt, die Technik' von der künstlerischen
Anschauung losgelöst und damit ihrer Seele beraubt, zu einem todten Inbegriff
von Regeln, zu einem bloßen Schema, in dei Ausübung zu einer mechanischen
und charakterlosen Fertigkeit herabsinken mußte. Es war, wie wenn man der
Kunst die Haut abzog und nun an dieser den Bau ihres Körpers, die Be¬
wegung ihres Lebens dcmonsirircn wollte. Das also, worauf es gerade ankam,
die lebendige Ueberlieferung der vollendeten Formen durch eindringendes Ver¬
ständniß der classischen Kunst und ihrer Naturanschauung, das eben konnten die
Akademien nicht leisten. Und nur noch schlimmer wurde die Sache im Prak¬
tischen Verlaufe einerseits durch den Beamtcngeist, der mit Haut und Haar
d. h. mit seinem Zopf in die lehrenden Künstler fuhr, andererseits durch das
phantasielose Einerlei des durch kein innerliches Verhältniß zwischen Meister
und Schüler getragenen Unterrichts. Doch wir halten uns bei diesen Uebel¬
ständen nicht weiter auf, da ja gerade die Münchener Akademie zum Theil
wenigstens ihnen abzuhelfen versucht hat: durch die Errichtung nämlich der so¬
genannten Meisterschulen, d. h, der Werkstätten, in welche der Zögling nach
beendigtem Voruntcrricht zum praktischen Betrieb seiner Kunst unter der an¬
regenden Leitung bestimmter Meister eintritt. Mit dieser Reform, so schien es,
war das geistlose und unfruchtbare Lehrshstem beseitigt, das von jeher die
Akademieen in Verruf gebracht hat und den jungen energischen Talenten nichts
übrig ließ, als ihre Fesseln zu brechen und sich mit offener Kriegserklärung auf
ihre eigenen Füße zu stellen. Ja als die Münchener Akademie mit Piloty eine
junge naturwüchsige Kraft in sich aufnahm, die ja von vornherein aller her¬
gebrachten Regeln spottete und auf die rcinnatürliche Wahrheit der Erscheinung,
daher auf eine eigenthümliche und wirkungsvolle Technik den Schwerpunkt der
Malerei legte, da schien wenigstens den Malern sich die anregende, bildende
Schule einer neuen Kunstweise zu eröffnen, wo sie sich früher mit einem todten
Gerippe abgezogener Vorschriften zu quälen hatten.

Doch ist es durch jene Reform in München mit der Kunstbildung, dem
gründlichen Studium nach den mustergültigen Werken wirklich besser geworden,
hat sich die Akademie überhaupt dieses Studiums — in dem oben besprochenen
Sinne — je mit Eifer und Einsicht angenommen? Darauf, daß bis jetzt
große Talente, namhafte Künstler, welche ihr vorab ihre Bildung zu verdanken
hätten, nicht hervorgegangen sind, wollen wir kein Gewicht legen; was sie
leisten kann, wird sich am sichersten aus ihrer Organisation und der Beschaffen¬
heit ihrer Lehrer abnehmen lassen.

Der vorbereitende Unterricht beginnt wie überall mit Zeichnen nach Ab¬
güssen antiker Statuen. Schon hier also handelt es sich darum, den Schüler
vor einem vcrständnißlosen Wiedergeben des bloßen Umrisses und des räumlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/103>, abgerufen am 23.07.2024.