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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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doch aus allen seinen Werken eine lebendige Erinnerung an die Antike
und die ersten italienischen Meister, wie er denn auch inmitten seiner Lauf¬
bahn an den römischen Kunstwerken seine Anschauung immer wieder bildete
"ut begeisterte. Zudem war hier ein großes ursprüngliches Talent, das wie
im Fluge die Gestalten der Vergangenheit fassend ihre Hauptzüge festhielt, und
eine schöpferische von Ideen erfüllte Phantasie, welche im Sinne der classischen
Kunst und doch mit eigenthümlicher Kraft die gchaltschweren Stoffe, welche sie
aus der Bildung der Gegenwart aufnahm, in reicher geistvoller Gruppirung
zu einem organisch gegliederten Ganze" zu versinnlichen vermochten ein Geist,
der ebenso viel dachte als gestaltete, und umgekehrt, eine merkwürdige, doch
in ihrer Art harmonische Doppelnatur. Das aber war ein Irrthum des Mei¬
sters, daß er glaubte eine Schule bilden zu können. Die Herrschaft über die
künstlerischen Mittel und sei"e Formenkenntniß waren zu wenig ausgebildet
als daß er seinen Schülern eine feste Grundlage hätte geben können; die
ihm eigenthümliche Anschauung aber konnte er so wenig auf Andere über¬
tragen, als die Gewalt seiner Phantasie. Doch natürlich meinten jene es dem
Meister nachthun zu können, um so mehr, als sie dieser gewöhnt hatte, nach
seinen Entwürfen die Werke selber -- was auch schließlich so ans Licht treten
mochte -- auszuführen. Sank schon in diesen die künstlerische Erscheinung
unter das Maß der Mittelmäßigkeit herab: was mußte erst werden, als nicht
blos die Darstellung, sondern auch die Erfindung und Composition ihnen über¬
lassen war. Da kam zu Tage, wie gefährlich die in ihrer Breite und Tiefe
erschlossene Stoffwclt, der von der Gegenwart gehobene Schatz der Vergangen¬
heit für die neue Kunst war. Nur hineingreifen zu müssen glaubte der Künstler,
und je größer der Gegenstand war. den er zufassen bekam, um so mehr fühlte
er sich ihm gewachsen, um so gewisser dachte er, nun sein Meisterstück zu
liefern, auch wenn er kaum in seiner Kunst über den Elementarunterricht hin¬
aus war.

So ging es fort und noch schlimmer, als die Schule zersprengt und die
classische Richtung von der romantischen und nationalen abgelöst war. Denn
nun wurde mit aller Ueberlieferung gebrochen, jede gemeinsame Entwicklung,
selbst das lebendige Verhältniß zwischen Meister und Schüler aufgegeben, das
doch eine Art Geschick und Sicherheit in die Behandlung hätte bringen kön¬
nen, und jeder wurde ein Original auf eigene Hand. Doch diese Zustände
und ihre Ergebnisse sind schon früher besprochen. Ganz spät endlich, als man
sich in der allgemeinen Verwirrung ebenso von der Kunst wie von der Natur
entfernt hatte, und sich nur noch einige Meister lediglich durch ihre natürliche
Begabung darüber empor hielten, während andere, deren Phantasie an der
classischen Kunst groß gezogen war, wie Naht und Genelli es auf diesem
Boden nicht mehr aushielten und anderswo innere Nahrung und äußeren Er-


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doch aus allen seinen Werken eine lebendige Erinnerung an die Antike
und die ersten italienischen Meister, wie er denn auch inmitten seiner Lauf¬
bahn an den römischen Kunstwerken seine Anschauung immer wieder bildete
»ut begeisterte. Zudem war hier ein großes ursprüngliches Talent, das wie
im Fluge die Gestalten der Vergangenheit fassend ihre Hauptzüge festhielt, und
eine schöpferische von Ideen erfüllte Phantasie, welche im Sinne der classischen
Kunst und doch mit eigenthümlicher Kraft die gchaltschweren Stoffe, welche sie
aus der Bildung der Gegenwart aufnahm, in reicher geistvoller Gruppirung
zu einem organisch gegliederten Ganze» zu versinnlichen vermochten ein Geist,
der ebenso viel dachte als gestaltete, und umgekehrt, eine merkwürdige, doch
in ihrer Art harmonische Doppelnatur. Das aber war ein Irrthum des Mei¬
sters, daß er glaubte eine Schule bilden zu können. Die Herrschaft über die
künstlerischen Mittel und sei»e Formenkenntniß waren zu wenig ausgebildet
als daß er seinen Schülern eine feste Grundlage hätte geben können; die
ihm eigenthümliche Anschauung aber konnte er so wenig auf Andere über¬
tragen, als die Gewalt seiner Phantasie. Doch natürlich meinten jene es dem
Meister nachthun zu können, um so mehr, als sie dieser gewöhnt hatte, nach
seinen Entwürfen die Werke selber — was auch schließlich so ans Licht treten
mochte — auszuführen. Sank schon in diesen die künstlerische Erscheinung
unter das Maß der Mittelmäßigkeit herab: was mußte erst werden, als nicht
blos die Darstellung, sondern auch die Erfindung und Composition ihnen über¬
lassen war. Da kam zu Tage, wie gefährlich die in ihrer Breite und Tiefe
erschlossene Stoffwclt, der von der Gegenwart gehobene Schatz der Vergangen¬
heit für die neue Kunst war. Nur hineingreifen zu müssen glaubte der Künstler,
und je größer der Gegenstand war. den er zufassen bekam, um so mehr fühlte
er sich ihm gewachsen, um so gewisser dachte er, nun sein Meisterstück zu
liefern, auch wenn er kaum in seiner Kunst über den Elementarunterricht hin¬
aus war.

So ging es fort und noch schlimmer, als die Schule zersprengt und die
classische Richtung von der romantischen und nationalen abgelöst war. Denn
nun wurde mit aller Ueberlieferung gebrochen, jede gemeinsame Entwicklung,
selbst das lebendige Verhältniß zwischen Meister und Schüler aufgegeben, das
doch eine Art Geschick und Sicherheit in die Behandlung hätte bringen kön¬
nen, und jeder wurde ein Original auf eigene Hand. Doch diese Zustände
und ihre Ergebnisse sind schon früher besprochen. Ganz spät endlich, als man
sich in der allgemeinen Verwirrung ebenso von der Kunst wie von der Natur
entfernt hatte, und sich nur noch einige Meister lediglich durch ihre natürliche
Begabung darüber empor hielten, während andere, deren Phantasie an der
classischen Kunst groß gezogen war, wie Naht und Genelli es auf diesem
Boden nicht mehr aushielten und anderswo innere Nahrung und äußeren Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/101>, abgerufen am 23.07.2024.