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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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doch niemals frei von Parteiinteressen, was namentlich jeden Veteranen,
welcher die große Zeit mit durchgemacht hat, recht schmerzlich berührt.

Abgesehen davon, daß auf solchem Wege die Geschichte jener großen Zeit
Verdunkelt, wenn nicht verdreht wird, so kann ich nebst Tausenden von noch
lebenden Zeugen versichern, daß zur Zeit des Befreiungskrieges das, was
man heutzutage unter Tendenz versteht, den damaligen Soldaten der
preußischen Armee eine völlig unbekannte Größe war.

Will man aber dennoch dieses Wort auf jene große Zeit anwenden, so
hat allerdings eine Tendenz unter den Soldaten jener Zeit existirt. Dies aber
war eine Tendenz in anderem Sinne und bestand vornehmlich in Muth, stiller
Ausdauer und gegenseitigem Wetteifer, seine Schuldigkeit im ausgedehntesten
Maße zu thun. Und diese durch ihre Einfachheit gerade so großartige Tendenz
trennte nicht, sondern verband und machte die Massen der Streiter zu einer
einzigen Gemeinde, in der nur das wahrhafte Verdienst hervorragte. Wer der
Muthigste und Tüchtigste war, er mochte ein Landwehrkreuz, einen Todtenkopf,
das Symbol einer Brandgranate oder irgendein anderes Zeichen an der Kopf¬
bedeckung tragen, der war stets der Gcachtetste von allen. Es ist daher mehr
als Unrecht, wenn Personen, welche die damaligen Verhältnisse nur vom Hören¬
sagen kennen, der gegenwärtigen Generation glauben machen wollen, die da¬
malige Landwehr sei ihres Namens wegen weniger geachtet worden wie die
übrigen Truppen. Wo dies aber zuweilen eintrat, lag es nur ander mangelhaften
Haltung der Landwehr, selbst wenn diese die unausbleibliche Folge ihrer
Organisation war.

Der Hauptgegenstand meiner Darstellung soll zwar der Sturm auf die
Stadt Leipzig sein, indeß, um bei Schilderung dieses Ereignisses nicht mit der
Thüre ins Haus zu fallen, muß ich ein wenig zurückgreifen und rede zuerst von
den kriegerischen Zuständen und Begebenheiten am 17. October, dem Tage vor
der Hauptschlacht.

Das dritte oder von bülowsche Armeecorps, zu welchem der Verfasser dieser
Auszeichnungen gehörte, war wie überhaupt die gesammte Nordarmee nach
tagelangem Hin- und Hcrmärschen während der übelsten Herbstwitterung und
bei Entbehrung alles dessen was man eine geregelte Verpflegung nennt, am
17. October über das Städtchen Landsberg und das Dorf Nadefeld im
Anrücken gegen Leipzig begriffen, und erreichte gegen Abend das Dorf
Breitenfeld.

Auf dem Vormarsch gegen Vreitenfeld waren wir der Stadt Leipzig be¬
reits auf eine Meile nahe gekommen und hatten hierbei das Geschütz- und
Gewehrfeuer eines Gefechts vernommen, welches, wie sich dies später auswies,
dicht vor Leipzig, vor dem halleschen Thore, durch Truppen des schlesischen
Heeres geführt wurde. Auf unserem weiteren Vormarsch, und zwar zwischen


doch niemals frei von Parteiinteressen, was namentlich jeden Veteranen,
welcher die große Zeit mit durchgemacht hat, recht schmerzlich berührt.

Abgesehen davon, daß auf solchem Wege die Geschichte jener großen Zeit
Verdunkelt, wenn nicht verdreht wird, so kann ich nebst Tausenden von noch
lebenden Zeugen versichern, daß zur Zeit des Befreiungskrieges das, was
man heutzutage unter Tendenz versteht, den damaligen Soldaten der
preußischen Armee eine völlig unbekannte Größe war.

Will man aber dennoch dieses Wort auf jene große Zeit anwenden, so
hat allerdings eine Tendenz unter den Soldaten jener Zeit existirt. Dies aber
war eine Tendenz in anderem Sinne und bestand vornehmlich in Muth, stiller
Ausdauer und gegenseitigem Wetteifer, seine Schuldigkeit im ausgedehntesten
Maße zu thun. Und diese durch ihre Einfachheit gerade so großartige Tendenz
trennte nicht, sondern verband und machte die Massen der Streiter zu einer
einzigen Gemeinde, in der nur das wahrhafte Verdienst hervorragte. Wer der
Muthigste und Tüchtigste war, er mochte ein Landwehrkreuz, einen Todtenkopf,
das Symbol einer Brandgranate oder irgendein anderes Zeichen an der Kopf¬
bedeckung tragen, der war stets der Gcachtetste von allen. Es ist daher mehr
als Unrecht, wenn Personen, welche die damaligen Verhältnisse nur vom Hören¬
sagen kennen, der gegenwärtigen Generation glauben machen wollen, die da¬
malige Landwehr sei ihres Namens wegen weniger geachtet worden wie die
übrigen Truppen. Wo dies aber zuweilen eintrat, lag es nur ander mangelhaften
Haltung der Landwehr, selbst wenn diese die unausbleibliche Folge ihrer
Organisation war.

Der Hauptgegenstand meiner Darstellung soll zwar der Sturm auf die
Stadt Leipzig sein, indeß, um bei Schilderung dieses Ereignisses nicht mit der
Thüre ins Haus zu fallen, muß ich ein wenig zurückgreifen und rede zuerst von
den kriegerischen Zuständen und Begebenheiten am 17. October, dem Tage vor
der Hauptschlacht.

Das dritte oder von bülowsche Armeecorps, zu welchem der Verfasser dieser
Auszeichnungen gehörte, war wie überhaupt die gesammte Nordarmee nach
tagelangem Hin- und Hcrmärschen während der übelsten Herbstwitterung und
bei Entbehrung alles dessen was man eine geregelte Verpflegung nennt, am
17. October über das Städtchen Landsberg und das Dorf Nadefeld im
Anrücken gegen Leipzig begriffen, und erreichte gegen Abend das Dorf
Breitenfeld.

Auf dem Vormarsch gegen Vreitenfeld waren wir der Stadt Leipzig be¬
reits auf eine Meile nahe gekommen und hatten hierbei das Geschütz- und
Gewehrfeuer eines Gefechts vernommen, welches, wie sich dies später auswies,
dicht vor Leipzig, vor dem halleschen Thore, durch Truppen des schlesischen
Heeres geführt wurde. Auf unserem weiteren Vormarsch, und zwar zwischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/59>, abgerufen am 01.07.2024.