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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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ein mit einem Reifen umzogenes Kreuz anzukreiden über Fenster, Thüre und
Brunnen, gleichwie man in den tiroler Gebirgsdörfern Trüben, Aldein, Nadeln
und Kalditsch Räder in Kreuzform, aus Hartholz gehauen, über den Stallthüren
anbringt; je aller ein solches Erbstück ist, um so werther ist es gehalten als
ein Schutzmittel des Hauses gegen Zauber (Zingerle, Tirol. Sitten, Ur. 278).
denn wer ein Rad über den Thorweg macht, sagt der Aberglaube, hat Glück
im Hause. Im schleswigschen war es in der That Brauch, daß einer am
Weihnachtsabend hinausging und ein Wagenrad vor sich her ostwärts ins Dorf
rollte; man nannte das, Weihnachten herein tründelin "tritt e Jul ind." (Jahrb.
der Herzogth. Schlesw.-Holstein. 1861. Bd. 4. 268.) Mit diesem letzterwähn¬
ten Brauche begegnet uns die lebendige Verkörperung einer ganzen Reihe gleich¬
namiger Sagen, aus denen hier nur etliche redende Züge mitgetheilt werden
sollen. An zwei Häusern der Altstadt Münchens befinden sich Wandgemälde,
einen durch die Zuschauermenge eilenden Mann darstellend, der von der Land¬
straße herein ein hohes Wagenrad dem Stadtthore entgegentreibt. Dasselbe
Wahrzeichen begegnet bei Bamberg. Dort war ein Wagner die Wette ein¬
gegangen, er werde vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne einen Wald¬
baum fällen, daraus ein Rad hauen und es ohne Eisenreif noch bis nach Würz¬
burg rollen. Schon hatte er mit dein so gefertigten Rade Kloster Ebrach hin¬
ter sich, da sank er vor Erschöpfung hin und starb. Zur Stelle ist da der
Radstein errichtet mit einem daran ausgehauenen Rade. (Brader, Neue Sag.
18S9. Ur. 153.) -- Das Kloster Ilefeld im Harze wurde von der Gräfin Jlger
von Bielstein gegründet an derjenigen Stelle, wo eine Flamme wie ein feuriges
Mühlrad zusammengerollt stehen blieb. Als man hier zur Stelle ausgrub, um
die Grundmauern zu legen, lagen zwei Tonnen Goldes im Boden. (Pröhle,
Harzsag. 1, 225.) -- Auf die Höhe des schwäbischen Froberges mit der nach droben
stehenden (Rad-) Kapelle hat, wie die Sage erzählt, der froberger Ritter wet¬
tert ein Rad gerollt und damit der unten liegenden Ortschaft Erolzheim den
Namen gegeben, da die Zuschauer dem Rade verwundert nachgerufen haben sollen:
Er rollt's heim! (?) (Birlinger, Schwäb. Sag. 1, Ur. 273.) So ist das erfurtcr
Stadtwappen ein sechsspeichigcs, dasjenige von Mainz ein achtspeichiges Rad.
und in den friesischen Gesetzen wird das neunspeichige als das Sonnenrad selbst
geheiligt. Wo einst die Haine oder Tempel der Sonnengötter Fro und Wuo-
tan waren, wo mau zugleich den großen Jahresgerichtstag abhielt, da war ein
in das Feuer gesetztes Wagenrad der Kern und Mittelpunkt der reinigenden
Opferflamme und erstreckte die Dauer des Opfermabls so lange, bis die Rabe,
vorher absichtlich mit Wasser durchdrängt, gänzlich zu Asche verzehrt war. An
eben solchen Stellen baute dann die Christenheit ihre alterthümlichen Radkapellen
und gab ihnen das heidnische Abzeichen ins Siegel. So lehren es die deut¬
schen Weisthümer. wie nicht minder die Benedictionsfvrmeln, mit denen die


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ein mit einem Reifen umzogenes Kreuz anzukreiden über Fenster, Thüre und
Brunnen, gleichwie man in den tiroler Gebirgsdörfern Trüben, Aldein, Nadeln
und Kalditsch Räder in Kreuzform, aus Hartholz gehauen, über den Stallthüren
anbringt; je aller ein solches Erbstück ist, um so werther ist es gehalten als
ein Schutzmittel des Hauses gegen Zauber (Zingerle, Tirol. Sitten, Ur. 278).
denn wer ein Rad über den Thorweg macht, sagt der Aberglaube, hat Glück
im Hause. Im schleswigschen war es in der That Brauch, daß einer am
Weihnachtsabend hinausging und ein Wagenrad vor sich her ostwärts ins Dorf
rollte; man nannte das, Weihnachten herein tründelin „tritt e Jul ind." (Jahrb.
der Herzogth. Schlesw.-Holstein. 1861. Bd. 4. 268.) Mit diesem letzterwähn¬
ten Brauche begegnet uns die lebendige Verkörperung einer ganzen Reihe gleich¬
namiger Sagen, aus denen hier nur etliche redende Züge mitgetheilt werden
sollen. An zwei Häusern der Altstadt Münchens befinden sich Wandgemälde,
einen durch die Zuschauermenge eilenden Mann darstellend, der von der Land¬
straße herein ein hohes Wagenrad dem Stadtthore entgegentreibt. Dasselbe
Wahrzeichen begegnet bei Bamberg. Dort war ein Wagner die Wette ein¬
gegangen, er werde vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne einen Wald¬
baum fällen, daraus ein Rad hauen und es ohne Eisenreif noch bis nach Würz¬
burg rollen. Schon hatte er mit dein so gefertigten Rade Kloster Ebrach hin¬
ter sich, da sank er vor Erschöpfung hin und starb. Zur Stelle ist da der
Radstein errichtet mit einem daran ausgehauenen Rade. (Brader, Neue Sag.
18S9. Ur. 153.) — Das Kloster Ilefeld im Harze wurde von der Gräfin Jlger
von Bielstein gegründet an derjenigen Stelle, wo eine Flamme wie ein feuriges
Mühlrad zusammengerollt stehen blieb. Als man hier zur Stelle ausgrub, um
die Grundmauern zu legen, lagen zwei Tonnen Goldes im Boden. (Pröhle,
Harzsag. 1, 225.) — Auf die Höhe des schwäbischen Froberges mit der nach droben
stehenden (Rad-) Kapelle hat, wie die Sage erzählt, der froberger Ritter wet¬
tert ein Rad gerollt und damit der unten liegenden Ortschaft Erolzheim den
Namen gegeben, da die Zuschauer dem Rade verwundert nachgerufen haben sollen:
Er rollt's heim! (?) (Birlinger, Schwäb. Sag. 1, Ur. 273.) So ist das erfurtcr
Stadtwappen ein sechsspeichigcs, dasjenige von Mainz ein achtspeichiges Rad.
und in den friesischen Gesetzen wird das neunspeichige als das Sonnenrad selbst
geheiligt. Wo einst die Haine oder Tempel der Sonnengötter Fro und Wuo-
tan waren, wo mau zugleich den großen Jahresgerichtstag abhielt, da war ein
in das Feuer gesetztes Wagenrad der Kern und Mittelpunkt der reinigenden
Opferflamme und erstreckte die Dauer des Opfermabls so lange, bis die Rabe,
vorher absichtlich mit Wasser durchdrängt, gänzlich zu Asche verzehrt war. An
eben solchen Stellen baute dann die Christenheit ihre alterthümlichen Radkapellen
und gab ihnen das heidnische Abzeichen ins Siegel. So lehren es die deut¬
schen Weisthümer. wie nicht minder die Benedictionsfvrmeln, mit denen die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/503>, abgerufen am 01.10.2024.