Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wäre eine undenkbare Entwürdigung, und vor dem andern noch möglichen
Aequivalent, einer directen Garantie Venetiens, sind wir wohl eben so sicher.
Es bliebe somit, da Preußen, um zu annectiren, des Bündnisses wenigstens
einer Großmacht bedarf, nur die Allianz mit Frankreich übrig, aber wir meinen,
daß Herr von Bismarck, trotz des Gemunkels der Presse, sich zweimal besinnen
wird, diesen verhängnisvollen Schritt zu thun.

Die Allianz mit Frankreich ist die Allianz mit dem Kaiser Napoleon, von
dem mehr als von irgendeinem Fürsten der Gegenwart gesagt werden kann:
"Der Staat bin ich." Der Kaiser Napoleon ist sterblich, und mit ihm stürbe
die Allianz oder doch für einige Zeit die Macht Frankreichs und damit der
Werth der Allianz. Der Kaiser ist in der Mitte der Fünfziger und nicht von
fester Gesundheit. Man wirft keine Orsinibomben mehr, aber wer steht dafür,
daß die nächste Zeit sich wieder dazu aufgelegt fühlt, und daß eine davon trifft?
Und was wäre die Folge? Die Dynastie in Paris ist bis jetzt noch ebenso
wenig festgcgründet, wie ihre Schöpfung, das Königreich Italien. Der Tod
des Kaisers würde aller Wahrscheinlichkeit nach binnen kurzem das Ende des
jetzigen Regiments in Frankreich und auf einige Zeit wenigstens allgemeine
Verwirrung, provisorische Zustände und eine Lahmlegung der Kraft der fran¬
zösischen Nation zur Folge haben. Ohne Frankreich aber ist Italien noch viel¬
leicht mehre Jahrzehnte, mindestens noch eine geraume Zeit eine leichte Beute
Oestreichs. Nehmen wir an, heute stirbt der Kaiser Napoleon, so müßte es
mit wunderbaren Dingen zugehen, wenn sich in Wien nicht morgen schon ein
passender Vorwand fände, Italien mit Krieg zu überziehen, und wenn die neue
Monarchie nicht binnen acht Wochen über den Haufen geworfen wäre. Oest¬
reich richtete sich bann auf, die Mittelstaaten sammelten sich um den Hegemon
in Wien, unterstützt von dem nationalen Gefühle, das durch das Bündniß
Preußens mit dem "Erbfeind" mit vollem Recht verletzt wäre, das isolirte Preu¬
ßen hätte den .Üampf mit dem ganzen übrigen Deutschland aufzunehmen oder
einen zweiten sauern Gang nach Olmütz zu thun, von dem es sicher weniger
als vom ersten heimbringen. von dem es sich vermuthlich nicht so rasch erholen
würde, als von jenem.

Man schließt, wenn man in Preußens Lage ist. keine Allianzen mit
Mächten, die auf dem Offenbleiben von zwei Augen beruhen. Wirft man uns
ein. daß Napoleon noch lange regieren kann, so sagen wir in Betreff der
Verbindung Preußens mit ihm: um so schlimmer. Wird er für die Einwilligung
und Unterstützung zu einer Einverleibung der werthvollen Herzogthümer in den
Hohenzollernstaat nicht ebenfalls direct ein Aequivalent verlangen? Unzweifel¬
haft. Sehr wahrscheinlich zwar nicht ein Dorf und nicht einen Acker deutschen
Gebiets; denn er kennt das deutsche Volk, er ist ein maßvoller Charakter, er
weiß, daß solch ein Verlangen für ihn der Anfang des Endes sein könnte,


wäre eine undenkbare Entwürdigung, und vor dem andern noch möglichen
Aequivalent, einer directen Garantie Venetiens, sind wir wohl eben so sicher.
Es bliebe somit, da Preußen, um zu annectiren, des Bündnisses wenigstens
einer Großmacht bedarf, nur die Allianz mit Frankreich übrig, aber wir meinen,
daß Herr von Bismarck, trotz des Gemunkels der Presse, sich zweimal besinnen
wird, diesen verhängnisvollen Schritt zu thun.

Die Allianz mit Frankreich ist die Allianz mit dem Kaiser Napoleon, von
dem mehr als von irgendeinem Fürsten der Gegenwart gesagt werden kann:
„Der Staat bin ich." Der Kaiser Napoleon ist sterblich, und mit ihm stürbe
die Allianz oder doch für einige Zeit die Macht Frankreichs und damit der
Werth der Allianz. Der Kaiser ist in der Mitte der Fünfziger und nicht von
fester Gesundheit. Man wirft keine Orsinibomben mehr, aber wer steht dafür,
daß die nächste Zeit sich wieder dazu aufgelegt fühlt, und daß eine davon trifft?
Und was wäre die Folge? Die Dynastie in Paris ist bis jetzt noch ebenso
wenig festgcgründet, wie ihre Schöpfung, das Königreich Italien. Der Tod
des Kaisers würde aller Wahrscheinlichkeit nach binnen kurzem das Ende des
jetzigen Regiments in Frankreich und auf einige Zeit wenigstens allgemeine
Verwirrung, provisorische Zustände und eine Lahmlegung der Kraft der fran¬
zösischen Nation zur Folge haben. Ohne Frankreich aber ist Italien noch viel¬
leicht mehre Jahrzehnte, mindestens noch eine geraume Zeit eine leichte Beute
Oestreichs. Nehmen wir an, heute stirbt der Kaiser Napoleon, so müßte es
mit wunderbaren Dingen zugehen, wenn sich in Wien nicht morgen schon ein
passender Vorwand fände, Italien mit Krieg zu überziehen, und wenn die neue
Monarchie nicht binnen acht Wochen über den Haufen geworfen wäre. Oest¬
reich richtete sich bann auf, die Mittelstaaten sammelten sich um den Hegemon
in Wien, unterstützt von dem nationalen Gefühle, das durch das Bündniß
Preußens mit dem „Erbfeind" mit vollem Recht verletzt wäre, das isolirte Preu¬
ßen hätte den .Üampf mit dem ganzen übrigen Deutschland aufzunehmen oder
einen zweiten sauern Gang nach Olmütz zu thun, von dem es sicher weniger
als vom ersten heimbringen. von dem es sich vermuthlich nicht so rasch erholen
würde, als von jenem.

Man schließt, wenn man in Preußens Lage ist. keine Allianzen mit
Mächten, die auf dem Offenbleiben von zwei Augen beruhen. Wirft man uns
ein. daß Napoleon noch lange regieren kann, so sagen wir in Betreff der
Verbindung Preußens mit ihm: um so schlimmer. Wird er für die Einwilligung
und Unterstützung zu einer Einverleibung der werthvollen Herzogthümer in den
Hohenzollernstaat nicht ebenfalls direct ein Aequivalent verlangen? Unzweifel¬
haft. Sehr wahrscheinlich zwar nicht ein Dorf und nicht einen Acker deutschen
Gebiets; denn er kennt das deutsche Volk, er ist ein maßvoller Charakter, er
weiß, daß solch ein Verlangen für ihn der Anfang des Endes sein könnte,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190064"/>
          <p xml:id="ID_1493" prev="#ID_1492"> wäre eine undenkbare Entwürdigung, und vor dem andern noch möglichen<lb/>
Aequivalent, einer directen Garantie Venetiens, sind wir wohl eben so sicher.<lb/>
Es bliebe somit, da Preußen, um zu annectiren, des Bündnisses wenigstens<lb/>
einer Großmacht bedarf, nur die Allianz mit Frankreich übrig, aber wir meinen,<lb/>
daß Herr von Bismarck, trotz des Gemunkels der Presse, sich zweimal besinnen<lb/>
wird, diesen verhängnisvollen Schritt zu thun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1494"> Die Allianz mit Frankreich ist die Allianz mit dem Kaiser Napoleon, von<lb/>
dem mehr als von irgendeinem Fürsten der Gegenwart gesagt werden kann:<lb/>
&#x201E;Der Staat bin ich." Der Kaiser Napoleon ist sterblich, und mit ihm stürbe<lb/>
die Allianz oder doch für einige Zeit die Macht Frankreichs und damit der<lb/>
Werth der Allianz. Der Kaiser ist in der Mitte der Fünfziger und nicht von<lb/>
fester Gesundheit. Man wirft keine Orsinibomben mehr, aber wer steht dafür,<lb/>
daß die nächste Zeit sich wieder dazu aufgelegt fühlt, und daß eine davon trifft?<lb/>
Und was wäre die Folge? Die Dynastie in Paris ist bis jetzt noch ebenso<lb/>
wenig festgcgründet, wie ihre Schöpfung, das Königreich Italien. Der Tod<lb/>
des Kaisers würde aller Wahrscheinlichkeit nach binnen kurzem das Ende des<lb/>
jetzigen Regiments in Frankreich und auf einige Zeit wenigstens allgemeine<lb/>
Verwirrung, provisorische Zustände und eine Lahmlegung der Kraft der fran¬<lb/>
zösischen Nation zur Folge haben. Ohne Frankreich aber ist Italien noch viel¬<lb/>
leicht mehre Jahrzehnte, mindestens noch eine geraume Zeit eine leichte Beute<lb/>
Oestreichs. Nehmen wir an, heute stirbt der Kaiser Napoleon, so müßte es<lb/>
mit wunderbaren Dingen zugehen, wenn sich in Wien nicht morgen schon ein<lb/>
passender Vorwand fände, Italien mit Krieg zu überziehen, und wenn die neue<lb/>
Monarchie nicht binnen acht Wochen über den Haufen geworfen wäre. Oest¬<lb/>
reich richtete sich bann auf, die Mittelstaaten sammelten sich um den Hegemon<lb/>
in Wien, unterstützt von dem nationalen Gefühle, das durch das Bündniß<lb/>
Preußens mit dem &#x201E;Erbfeind" mit vollem Recht verletzt wäre, das isolirte Preu¬<lb/>
ßen hätte den .Üampf mit dem ganzen übrigen Deutschland aufzunehmen oder<lb/>
einen zweiten sauern Gang nach Olmütz zu thun, von dem es sicher weniger<lb/>
als vom ersten heimbringen. von dem es sich vermuthlich nicht so rasch erholen<lb/>
würde, als von jenem.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1495" next="#ID_1496"> Man schließt, wenn man in Preußens Lage ist. keine Allianzen mit<lb/>
Mächten, die auf dem Offenbleiben von zwei Augen beruhen. Wirft man uns<lb/>
ein. daß Napoleon noch lange regieren kann, so sagen wir in Betreff der<lb/>
Verbindung Preußens mit ihm: um so schlimmer. Wird er für die Einwilligung<lb/>
und Unterstützung zu einer Einverleibung der werthvollen Herzogthümer in den<lb/>
Hohenzollernstaat nicht ebenfalls direct ein Aequivalent verlangen? Unzweifel¬<lb/>
haft. Sehr wahrscheinlich zwar nicht ein Dorf und nicht einen Acker deutschen<lb/>
Gebiets; denn er kennt das deutsche Volk, er ist ein maßvoller Charakter, er<lb/>
weiß, daß solch ein Verlangen für ihn der Anfang des Endes sein könnte,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] wäre eine undenkbare Entwürdigung, und vor dem andern noch möglichen Aequivalent, einer directen Garantie Venetiens, sind wir wohl eben so sicher. Es bliebe somit, da Preußen, um zu annectiren, des Bündnisses wenigstens einer Großmacht bedarf, nur die Allianz mit Frankreich übrig, aber wir meinen, daß Herr von Bismarck, trotz des Gemunkels der Presse, sich zweimal besinnen wird, diesen verhängnisvollen Schritt zu thun. Die Allianz mit Frankreich ist die Allianz mit dem Kaiser Napoleon, von dem mehr als von irgendeinem Fürsten der Gegenwart gesagt werden kann: „Der Staat bin ich." Der Kaiser Napoleon ist sterblich, und mit ihm stürbe die Allianz oder doch für einige Zeit die Macht Frankreichs und damit der Werth der Allianz. Der Kaiser ist in der Mitte der Fünfziger und nicht von fester Gesundheit. Man wirft keine Orsinibomben mehr, aber wer steht dafür, daß die nächste Zeit sich wieder dazu aufgelegt fühlt, und daß eine davon trifft? Und was wäre die Folge? Die Dynastie in Paris ist bis jetzt noch ebenso wenig festgcgründet, wie ihre Schöpfung, das Königreich Italien. Der Tod des Kaisers würde aller Wahrscheinlichkeit nach binnen kurzem das Ende des jetzigen Regiments in Frankreich und auf einige Zeit wenigstens allgemeine Verwirrung, provisorische Zustände und eine Lahmlegung der Kraft der fran¬ zösischen Nation zur Folge haben. Ohne Frankreich aber ist Italien noch viel¬ leicht mehre Jahrzehnte, mindestens noch eine geraume Zeit eine leichte Beute Oestreichs. Nehmen wir an, heute stirbt der Kaiser Napoleon, so müßte es mit wunderbaren Dingen zugehen, wenn sich in Wien nicht morgen schon ein passender Vorwand fände, Italien mit Krieg zu überziehen, und wenn die neue Monarchie nicht binnen acht Wochen über den Haufen geworfen wäre. Oest¬ reich richtete sich bann auf, die Mittelstaaten sammelten sich um den Hegemon in Wien, unterstützt von dem nationalen Gefühle, das durch das Bündniß Preußens mit dem „Erbfeind" mit vollem Recht verletzt wäre, das isolirte Preu¬ ßen hätte den .Üampf mit dem ganzen übrigen Deutschland aufzunehmen oder einen zweiten sauern Gang nach Olmütz zu thun, von dem es sicher weniger als vom ersten heimbringen. von dem es sich vermuthlich nicht so rasch erholen würde, als von jenem. Man schließt, wenn man in Preußens Lage ist. keine Allianzen mit Mächten, die auf dem Offenbleiben von zwei Augen beruhen. Wirft man uns ein. daß Napoleon noch lange regieren kann, so sagen wir in Betreff der Verbindung Preußens mit ihm: um so schlimmer. Wird er für die Einwilligung und Unterstützung zu einer Einverleibung der werthvollen Herzogthümer in den Hohenzollernstaat nicht ebenfalls direct ein Aequivalent verlangen? Unzweifel¬ haft. Sehr wahrscheinlich zwar nicht ein Dorf und nicht einen Acker deutschen Gebiets; denn er kennt das deutsche Volk, er ist ein maßvoller Charakter, er weiß, daß solch ein Verlangen für ihn der Anfang des Endes sein könnte,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/440>, abgerufen am 22.07.2024.