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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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thums betreffen soll, dann sind die großen Gesichtspunkte und Maßnahmen
eines Colbert jedenfalls auszunehmen. Das Mercantilsystem ist also aller seiner
Irrthümer ungeachtet besser als sein neuerer schulmäßiger Ruf. Auch sollte
man es nicht als eine den Träumereien der Physiotraten entgegenzustellende
Erscheinung behandeln. Die ideologischen Entwickelungen der Physiokratie
Ouesnays sind jenem praktischen System durchaus nicht ebenbürtig und nicht
werth, einen auf gleicher Linie stehenden Gegensatz zu demselben zu bilden.
Freilich haben die sogenannten Physiotraten die Landwirthschaft für die aus¬
schließliche Quelle alles Wohlstandes und den Ackerbaustaat für das Ideal eines
Gemeinwesens ausgegeben und können um dieses Umstandes willen als Gegner
des Mercantilsystems aufgeführt werden. Allein es ist denn doch ein großer
Unterschied zwischen einem der Anwendung fähigen Princip, welches trotz aller
irrthümlichen Bestandtheile zum Fortschritt der Volkswirthschaft führte, und
einem ideologischen, allen praktischen Blick verlciugnenden Traume, dessen Aus¬
führungsversuch in der Handelspolitik (man denke an den Edenvertrag) Frank¬
reich beinahe seine Industrie gekostet hätte, und dessen einziges Verdienst in
seinen revolutionären Sympathien bestand. Die Physivkraten hatten eine poli¬
tische Bedeutung; ihre ausschließlich dem Grundbesitz zugewendete Lehre ver¬
fehlte nicht, an den argen Fesselungen des letzteren tüchtig zu zerren und die
Parole der Befreiung der Landwirthschaft von den feudalen Ketten auszugeben.
In dieser Richtung hatte das sogenannte Physiokratische System indirecte Ver¬
dienste. Allein in wirtschaftlicher Hinsicht ist es nicht als eine Einseitigkeit
gegenüber einer andern Einseitigkeit -- dem Mercantilsystem --, sondern als
Ideologie gegenüber einem Inbegriff praktischer Grundsätze zu betrachten. Adam
Smith hat daher auch nicht, wie vielfach angenommen wird, zwischen einem
System, welches den Handel, und einem solchen, welches den Ackerbau ein¬
seitig betonte, zu vermitteln gehabt, sondern hat ganz einfach das Mercantil¬
system in seiner Weise umgestaltet indem er den Schutzzoll mit einiger Mi߬
gunst behandelte, übrigens aber seine scharfe Zcrgliederungstraft nach allen
Richtungen geltend machte.

Das Jndustriesystem. wie man bisweilen den Gedankenkreis Adam Smiths
nennt, ist eigentlich nur eine Theorie derjenigen natürlichen Factoren, deren
künstliche Kräftigung von Colbert und den seinem Vorbild folgenden Staaten
mit so gutem Erfolg geübt worden ist. Adam Smith hat die Kunst der poli¬
tischen Maßregeln bekanntlich nicht sonderlich geliebt. Er gefiel sich in der
Vorstellung des Walteniassens der natürlichen Gestaltungskräfte und erwartete
Von den Eingriffen des Staats wenig Gutes. In diesem Punkte huldigte er
Rousseaus bekanntlich sehr einseitiger Naturliebe. Hieraus ist es denn auch zu
erklären, daß der Kern des Mercantilsystems. nämlich eine positive Handels¬
politik, die nicht in dem Grundsatz der Enthaltung von unnützen Eingriffen


thums betreffen soll, dann sind die großen Gesichtspunkte und Maßnahmen
eines Colbert jedenfalls auszunehmen. Das Mercantilsystem ist also aller seiner
Irrthümer ungeachtet besser als sein neuerer schulmäßiger Ruf. Auch sollte
man es nicht als eine den Träumereien der Physiotraten entgegenzustellende
Erscheinung behandeln. Die ideologischen Entwickelungen der Physiokratie
Ouesnays sind jenem praktischen System durchaus nicht ebenbürtig und nicht
werth, einen auf gleicher Linie stehenden Gegensatz zu demselben zu bilden.
Freilich haben die sogenannten Physiotraten die Landwirthschaft für die aus¬
schließliche Quelle alles Wohlstandes und den Ackerbaustaat für das Ideal eines
Gemeinwesens ausgegeben und können um dieses Umstandes willen als Gegner
des Mercantilsystems aufgeführt werden. Allein es ist denn doch ein großer
Unterschied zwischen einem der Anwendung fähigen Princip, welches trotz aller
irrthümlichen Bestandtheile zum Fortschritt der Volkswirthschaft führte, und
einem ideologischen, allen praktischen Blick verlciugnenden Traume, dessen Aus¬
führungsversuch in der Handelspolitik (man denke an den Edenvertrag) Frank¬
reich beinahe seine Industrie gekostet hätte, und dessen einziges Verdienst in
seinen revolutionären Sympathien bestand. Die Physivkraten hatten eine poli¬
tische Bedeutung; ihre ausschließlich dem Grundbesitz zugewendete Lehre ver¬
fehlte nicht, an den argen Fesselungen des letzteren tüchtig zu zerren und die
Parole der Befreiung der Landwirthschaft von den feudalen Ketten auszugeben.
In dieser Richtung hatte das sogenannte Physiokratische System indirecte Ver¬
dienste. Allein in wirtschaftlicher Hinsicht ist es nicht als eine Einseitigkeit
gegenüber einer andern Einseitigkeit — dem Mercantilsystem —, sondern als
Ideologie gegenüber einem Inbegriff praktischer Grundsätze zu betrachten. Adam
Smith hat daher auch nicht, wie vielfach angenommen wird, zwischen einem
System, welches den Handel, und einem solchen, welches den Ackerbau ein¬
seitig betonte, zu vermitteln gehabt, sondern hat ganz einfach das Mercantil¬
system in seiner Weise umgestaltet indem er den Schutzzoll mit einiger Mi߬
gunst behandelte, übrigens aber seine scharfe Zcrgliederungstraft nach allen
Richtungen geltend machte.

Das Jndustriesystem. wie man bisweilen den Gedankenkreis Adam Smiths
nennt, ist eigentlich nur eine Theorie derjenigen natürlichen Factoren, deren
künstliche Kräftigung von Colbert und den seinem Vorbild folgenden Staaten
mit so gutem Erfolg geübt worden ist. Adam Smith hat die Kunst der poli¬
tischen Maßregeln bekanntlich nicht sonderlich geliebt. Er gefiel sich in der
Vorstellung des Walteniassens der natürlichen Gestaltungskräfte und erwartete
Von den Eingriffen des Staats wenig Gutes. In diesem Punkte huldigte er
Rousseaus bekanntlich sehr einseitiger Naturliebe. Hieraus ist es denn auch zu
erklären, daß der Kern des Mercantilsystems. nämlich eine positive Handels¬
politik, die nicht in dem Grundsatz der Enthaltung von unnützen Eingriffen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/419>, abgerufen am 22.07.2024.