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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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führen, Europci würde wieder bei dem verduner Vertrage angelangt sein. Ein
Kampf zwischen Frankreich und Deutschland auf Tod und Leben wäre unver¬
meidlich, wenn nicht beide sich verständigten; also muß Oestreich sich mit Frank¬
reich verständigen, so fern es jemals hofft, ein solches Deutschland unter seiner
erneuten Führung herzustellen. "Sich durch Erwägungen, welche nicht zur
Sache gehören, abhalten zu lassen, wäre gänzlich unstaatsmännisch." Indessen
ist dem Verfasser eine derartige Einigung Oestreichs mit Frankreich aus Grund
eines großdeutscben Programms doch nicht recht wahrscheinlich, weshalb er
wieder aus die Triasidee zurückkommt, die den gegenwärtigen Verhältnissen
Deutschlands wie Europas am meisten entspricht. Frankreich ist dieser Lösung
der deutschen Frage principiell günstig; Oestreich würde in einer triadischen
Gliederung Deutschlands "seinen Widerstreit mit Preußen lösen (!) ohne seine
eigene Integrität zu gefährden, ohne das Nationalitätsprincip anzuerkennen,
und ohne des deutschen Rückhaltes verlustig zu gehen, dessen es für seine süd¬
östliche Mission nicht entbehren kann." Was Preußen betrifft, so räth der Ver¬
fasser Oestreich, seinen ganzen Einfluß daran zu setzen, Preußen dafür zu ge¬
winnen. Was nach Herrn Fröbels Meinung geschehen soll, wenn Preußen,
wie doch nicht ganz unwahrscheinlich ist, sich für die Triasidee nicht gewinnen
läßt, haben wir nicht ersehen. Das Entscheidende ist immer, daß Frankreich
die Triasidee begünstigt, woraus für Oestreich folgt, daß es sich vor allem mit
Frankreich in ein gutes Einvernehmen zu setzen hat. Die französisch-östreichische
Alliance ist der Mittelpunkt des neuen Europa. Mit Frankreich verbündet,
d. h. doch wohl, da Frankreich der prädestinirte Hegemon Europas ist, unter
Frankreichs Patronat, hat Oestreich weder die venetianische, noch die orientalische
Frage zu fürchten; mit Frankreich verbündet ist es zugleich des englischen Bünd¬
nisses sicher, ja es scheint Oestreich eigentlich dazu berufen, die Vermittlerrolle
zwischen Frankreich und England zu übernehmen. Dies sind im Allgemeinen
die Ansichten des Herrn Verfassers über die Weltlage.

Was nun den Anschluß an Frankreich betrifft (denn der Verfasser giebt
sich durchaus nicht die Mühe, etwa zu beweisen, daß Oestreich als gleichmächtig
in den Bund treten sollte), so erlauben wir uns zunächst an den Lärm zu er¬
innern, welchen die großdeutsche Presse über Preußens Vaterlandsverrarth erhob, den
es im Abschluß des Handelsvertrages geübt haben sollte. Es ist die alte Ge¬
schichte, die stets neu bleibt: jede Annäherung Preußens an Frankreich ist ein
Abfall von Deutschland; mit Oestreich ist es ganz etwas anderes; wenn Oestreich
sich beeilt, die Thatsache, daß Frankreich das Centrum Europas ist, anzuerkennen,
so handelt es echt staatsmännisch und weise, denn was könnte es helfen, einer
unvermeidlichen Prädestination die Anerkennung zu versagen? Natürlich prä-
dcstinirt muß die Thatsache sein, weil sich sonst gar nicht die Untersuchung um¬
gehen ließe, ob dann die Anerkennung des französischen Uebergewichts schlechter-


führen, Europci würde wieder bei dem verduner Vertrage angelangt sein. Ein
Kampf zwischen Frankreich und Deutschland auf Tod und Leben wäre unver¬
meidlich, wenn nicht beide sich verständigten; also muß Oestreich sich mit Frank¬
reich verständigen, so fern es jemals hofft, ein solches Deutschland unter seiner
erneuten Führung herzustellen. „Sich durch Erwägungen, welche nicht zur
Sache gehören, abhalten zu lassen, wäre gänzlich unstaatsmännisch." Indessen
ist dem Verfasser eine derartige Einigung Oestreichs mit Frankreich aus Grund
eines großdeutscben Programms doch nicht recht wahrscheinlich, weshalb er
wieder aus die Triasidee zurückkommt, die den gegenwärtigen Verhältnissen
Deutschlands wie Europas am meisten entspricht. Frankreich ist dieser Lösung
der deutschen Frage principiell günstig; Oestreich würde in einer triadischen
Gliederung Deutschlands „seinen Widerstreit mit Preußen lösen (!) ohne seine
eigene Integrität zu gefährden, ohne das Nationalitätsprincip anzuerkennen,
und ohne des deutschen Rückhaltes verlustig zu gehen, dessen es für seine süd¬
östliche Mission nicht entbehren kann." Was Preußen betrifft, so räth der Ver¬
fasser Oestreich, seinen ganzen Einfluß daran zu setzen, Preußen dafür zu ge¬
winnen. Was nach Herrn Fröbels Meinung geschehen soll, wenn Preußen,
wie doch nicht ganz unwahrscheinlich ist, sich für die Triasidee nicht gewinnen
läßt, haben wir nicht ersehen. Das Entscheidende ist immer, daß Frankreich
die Triasidee begünstigt, woraus für Oestreich folgt, daß es sich vor allem mit
Frankreich in ein gutes Einvernehmen zu setzen hat. Die französisch-östreichische
Alliance ist der Mittelpunkt des neuen Europa. Mit Frankreich verbündet,
d. h. doch wohl, da Frankreich der prädestinirte Hegemon Europas ist, unter
Frankreichs Patronat, hat Oestreich weder die venetianische, noch die orientalische
Frage zu fürchten; mit Frankreich verbündet ist es zugleich des englischen Bünd¬
nisses sicher, ja es scheint Oestreich eigentlich dazu berufen, die Vermittlerrolle
zwischen Frankreich und England zu übernehmen. Dies sind im Allgemeinen
die Ansichten des Herrn Verfassers über die Weltlage.

Was nun den Anschluß an Frankreich betrifft (denn der Verfasser giebt
sich durchaus nicht die Mühe, etwa zu beweisen, daß Oestreich als gleichmächtig
in den Bund treten sollte), so erlauben wir uns zunächst an den Lärm zu er¬
innern, welchen die großdeutsche Presse über Preußens Vaterlandsverrarth erhob, den
es im Abschluß des Handelsvertrages geübt haben sollte. Es ist die alte Ge¬
schichte, die stets neu bleibt: jede Annäherung Preußens an Frankreich ist ein
Abfall von Deutschland; mit Oestreich ist es ganz etwas anderes; wenn Oestreich
sich beeilt, die Thatsache, daß Frankreich das Centrum Europas ist, anzuerkennen,
so handelt es echt staatsmännisch und weise, denn was könnte es helfen, einer
unvermeidlichen Prädestination die Anerkennung zu versagen? Natürlich prä-
dcstinirt muß die Thatsache sein, weil sich sonst gar nicht die Untersuchung um¬
gehen ließe, ob dann die Anerkennung des französischen Uebergewichts schlechter-


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[0298] führen, Europci würde wieder bei dem verduner Vertrage angelangt sein. Ein Kampf zwischen Frankreich und Deutschland auf Tod und Leben wäre unver¬ meidlich, wenn nicht beide sich verständigten; also muß Oestreich sich mit Frank¬ reich verständigen, so fern es jemals hofft, ein solches Deutschland unter seiner erneuten Führung herzustellen. „Sich durch Erwägungen, welche nicht zur Sache gehören, abhalten zu lassen, wäre gänzlich unstaatsmännisch." Indessen ist dem Verfasser eine derartige Einigung Oestreichs mit Frankreich aus Grund eines großdeutscben Programms doch nicht recht wahrscheinlich, weshalb er wieder aus die Triasidee zurückkommt, die den gegenwärtigen Verhältnissen Deutschlands wie Europas am meisten entspricht. Frankreich ist dieser Lösung der deutschen Frage principiell günstig; Oestreich würde in einer triadischen Gliederung Deutschlands „seinen Widerstreit mit Preußen lösen (!) ohne seine eigene Integrität zu gefährden, ohne das Nationalitätsprincip anzuerkennen, und ohne des deutschen Rückhaltes verlustig zu gehen, dessen es für seine süd¬ östliche Mission nicht entbehren kann." Was Preußen betrifft, so räth der Ver¬ fasser Oestreich, seinen ganzen Einfluß daran zu setzen, Preußen dafür zu ge¬ winnen. Was nach Herrn Fröbels Meinung geschehen soll, wenn Preußen, wie doch nicht ganz unwahrscheinlich ist, sich für die Triasidee nicht gewinnen läßt, haben wir nicht ersehen. Das Entscheidende ist immer, daß Frankreich die Triasidee begünstigt, woraus für Oestreich folgt, daß es sich vor allem mit Frankreich in ein gutes Einvernehmen zu setzen hat. Die französisch-östreichische Alliance ist der Mittelpunkt des neuen Europa. Mit Frankreich verbündet, d. h. doch wohl, da Frankreich der prädestinirte Hegemon Europas ist, unter Frankreichs Patronat, hat Oestreich weder die venetianische, noch die orientalische Frage zu fürchten; mit Frankreich verbündet ist es zugleich des englischen Bünd¬ nisses sicher, ja es scheint Oestreich eigentlich dazu berufen, die Vermittlerrolle zwischen Frankreich und England zu übernehmen. Dies sind im Allgemeinen die Ansichten des Herrn Verfassers über die Weltlage. Was nun den Anschluß an Frankreich betrifft (denn der Verfasser giebt sich durchaus nicht die Mühe, etwa zu beweisen, daß Oestreich als gleichmächtig in den Bund treten sollte), so erlauben wir uns zunächst an den Lärm zu er¬ innern, welchen die großdeutsche Presse über Preußens Vaterlandsverrarth erhob, den es im Abschluß des Handelsvertrages geübt haben sollte. Es ist die alte Ge¬ schichte, die stets neu bleibt: jede Annäherung Preußens an Frankreich ist ein Abfall von Deutschland; mit Oestreich ist es ganz etwas anderes; wenn Oestreich sich beeilt, die Thatsache, daß Frankreich das Centrum Europas ist, anzuerkennen, so handelt es echt staatsmännisch und weise, denn was könnte es helfen, einer unvermeidlichen Prädestination die Anerkennung zu versagen? Natürlich prä- dcstinirt muß die Thatsache sein, weil sich sonst gar nicht die Untersuchung um¬ gehen ließe, ob dann die Anerkennung des französischen Uebergewichts schlechter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/298>, abgerufen am 25.08.2024.