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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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heiligen. konnte sich vielleicht selbst nicht ganz seinem unheilvollen Einflüsse
entziehen. Seine besten Gedanken blieben in seinem Geiste verschlossen und
wenn er einige auszuführen unternahm, so waren es nur Bruchstücke, deren
unvollkommener Erfolg zu beweisen schien, daß er sich auf falschem Wege be¬
finde. Gewiß täuschte er sich oft, oft auch hörte er zu sehr auf Männer,
welche aus verschiedenen Gründen keine Veränderungen im Staate wünschten;
sein Hauptirrthum aber war. daß er sich in den Kampf mit einem unerbittlichen
Verhängnisse einließ, das wohl die Gewalt der Verhältnisse von seinem Wege
ablenken konnte, an dem aber die Anstrengungen eines Einzelnen -- zumal
wie er war -- scheitern mußten.

Das erdrückende Uebergewicht, welches der Kaiser der Franzosen auf die
Politik Sachsens ausübte, war durch die Verhältnisse und durch den Charakter
des Königs selbst in seinem Entstehen und Wachsen wunderbar gefördert wor¬
den. Obgleich in den Stolz der souveränes hineingeboren, war dieser Fürst
doch nie im Stande gewesen, sich über den Standpunkt eines Patrimonialhcrrn
hinaus zu dem Gefühl des Oberhauptes einer Nation und zu dem Stolze des
Machtgefühls zu erheben. Vor dem dreißigjährigen Kriege und während dieses
Kampfes bezog sich in Deutschland alles aus das gemeinsame Vaterland und
die großen Nationalinteressen. Dies galt sowohl von denen, welche zu dem
Oberhaupt des Reichs hielten und die Sache der Einheit verfochten, wie von
denen, welche, indem sie eine kühne und bereits von der Zeit geheiligte Usur¬
pation vertheidigten, die letzten Bande zu zerreißen versuchten, die das Vor¬
handensein einer obersten Gewalt in Deutschland sichtbar machten. Die Em
Pörung selbst hatte wie die Bürgerkriege in Frankreich und England ein Gepräge-
nationaler Große, welches verschwand, als das Ziel erreicht war. Seit die
durch den westphälischen Frieden sanctionirte Usurpation aufgehört hatte ein
Gegenstand des Kampfes zu sein, verschwand der gemeinsame Mittelpunkt fast
überall; die verschiedenen Staaten sammelten sich mehr und mehr in sich selbst
und der Blick des Einzelnen, der nichts wahrhaft Großes und Nationales
außerhalb des eigenen Gebietes sah, verengte sich beträchtlich. Die Wirkung
dieser Veränderung, die im Allgemeinen in der Nation den Gedankenaufschwung
hemmte und der geistigen Entwickelung ihren unabhängigen Charakter raubte,
"'achte sich vornehmlich in der Politik bemerklich. Die Selbstsucht, welche den
Grundzug des Charakters der meisten deutschen Cabincte bildete, ließ keine auf
das Allgemeine gerichtete Anschauung zu und hielt sich gegen das Reich durch
die Beobachtung einiger gleichgiltiger Formen quitt, wobei sie aber eifersüchtig
Sorge trug, dem Ueberrest der kaiserlichen Vorrechte keinen weiteren Spielraum
Zu gönnen. Die verschiedenen Gebiete waren vereinigt nicht mehr Deutschland,
und einzelstehend waren sie nichts, und ihre doppelte Nichtigkeit machte sie der
Tyrannei des Auslandes zur leichten Beute.


heiligen. konnte sich vielleicht selbst nicht ganz seinem unheilvollen Einflüsse
entziehen. Seine besten Gedanken blieben in seinem Geiste verschlossen und
wenn er einige auszuführen unternahm, so waren es nur Bruchstücke, deren
unvollkommener Erfolg zu beweisen schien, daß er sich auf falschem Wege be¬
finde. Gewiß täuschte er sich oft, oft auch hörte er zu sehr auf Männer,
welche aus verschiedenen Gründen keine Veränderungen im Staate wünschten;
sein Hauptirrthum aber war. daß er sich in den Kampf mit einem unerbittlichen
Verhängnisse einließ, das wohl die Gewalt der Verhältnisse von seinem Wege
ablenken konnte, an dem aber die Anstrengungen eines Einzelnen — zumal
wie er war — scheitern mußten.

Das erdrückende Uebergewicht, welches der Kaiser der Franzosen auf die
Politik Sachsens ausübte, war durch die Verhältnisse und durch den Charakter
des Königs selbst in seinem Entstehen und Wachsen wunderbar gefördert wor¬
den. Obgleich in den Stolz der souveränes hineingeboren, war dieser Fürst
doch nie im Stande gewesen, sich über den Standpunkt eines Patrimonialhcrrn
hinaus zu dem Gefühl des Oberhauptes einer Nation und zu dem Stolze des
Machtgefühls zu erheben. Vor dem dreißigjährigen Kriege und während dieses
Kampfes bezog sich in Deutschland alles aus das gemeinsame Vaterland und
die großen Nationalinteressen. Dies galt sowohl von denen, welche zu dem
Oberhaupt des Reichs hielten und die Sache der Einheit verfochten, wie von
denen, welche, indem sie eine kühne und bereits von der Zeit geheiligte Usur¬
pation vertheidigten, die letzten Bande zu zerreißen versuchten, die das Vor¬
handensein einer obersten Gewalt in Deutschland sichtbar machten. Die Em
Pörung selbst hatte wie die Bürgerkriege in Frankreich und England ein Gepräge-
nationaler Große, welches verschwand, als das Ziel erreicht war. Seit die
durch den westphälischen Frieden sanctionirte Usurpation aufgehört hatte ein
Gegenstand des Kampfes zu sein, verschwand der gemeinsame Mittelpunkt fast
überall; die verschiedenen Staaten sammelten sich mehr und mehr in sich selbst
und der Blick des Einzelnen, der nichts wahrhaft Großes und Nationales
außerhalb des eigenen Gebietes sah, verengte sich beträchtlich. Die Wirkung
dieser Veränderung, die im Allgemeinen in der Nation den Gedankenaufschwung
hemmte und der geistigen Entwickelung ihren unabhängigen Charakter raubte,
»'achte sich vornehmlich in der Politik bemerklich. Die Selbstsucht, welche den
Grundzug des Charakters der meisten deutschen Cabincte bildete, ließ keine auf
das Allgemeine gerichtete Anschauung zu und hielt sich gegen das Reich durch
die Beobachtung einiger gleichgiltiger Formen quitt, wobei sie aber eifersüchtig
Sorge trug, dem Ueberrest der kaiserlichen Vorrechte keinen weiteren Spielraum
Zu gönnen. Die verschiedenen Gebiete waren vereinigt nicht mehr Deutschland,
und einzelstehend waren sie nichts, und ihre doppelte Nichtigkeit machte sie der
Tyrannei des Auslandes zur leichten Beute.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/249>, abgerufen am 03.07.2024.