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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Fast jedes der dicht bei einander liegenden Dörfer ist mit einem Kranze
von Laubholz umgeben, und nur der Rauch, der über die Kronen der Bäume
emporsteigt, läßt sie aus der Ferne als menschliche Ansiedelungen erkennen.
Besonders häufig hat man Eichen, Ulmen und Birken gepflanzt. Der eigent¬
lich charakteristische Baum der Gegend ist aber die Weide, die auf allen Nie¬
derungen vorkommt und alle Wiesen einfaßt. Daneben fällt bei einer Musterung
der Zäune und Hecken die große Vorliebe auf, welche der Wende dem früher
heilig gehaltenen Hollunder noch jetzt bewahrt. Selten liegt ein Dorf auf einer
Anhöhe, fast immer in einem Kessel oder am Fuß eines Hügels und an einem
Back oder einer wasserreichen Quelle. Die Anlage derselben ist, wo sie nicht
durch Brand zerstört und dann umgestaltet worden sind, kreis- oder hufeisen¬
förmig, wodurch sie sich wesentlich von den Dörfern germanischen Ursprungs
unterscheiden, welche Gassen bilden. Rings um einen freien Platz herum stehen
die Häuser und zwar kehren alle diesem Platze die Giebelseite zu, die als Ehren¬
seite mit den grellsten Farbe" bemalt, häufig auch mit dem Namen des Er¬
bauers und seiner Ehefrau, einem Liedervers oder einem frommen Spruch ge¬
schmückt ist. Die Dächer sind meist mit Stroh gedeckt, die Einfahrt befindet
sich an der Vorderseite. Alte Häuser gleichen in den meisten Stücken dem von
uns vor Kurzem geschilderten sächsischen Hause: der Rauch findet keinen Schorn¬
stein zum Abzug, der Bauer lebt mit seinen Pferden und Rindern unter einem
Dache, das Vieh kehrt die Köpfe der Tenne zu, im Hintergrund der letzteren
und der Einfahrt gerade gegenüber befindet sich der Heerd. Die Wohnstube,
wie dort Dorf genannt, hat dieselben Schrankbetten wie die des holsteinischen
Sachsen. Zwischen den Häusern eines Wendendorfs liegen die mit Bäumen
bepflanzten Hofplätze, an die sich gewöhnlich ein kleiner Obstgarten "Klanzei"
genannt anschließt, und dahinter beginnt der "Wischhof", ein Grasgarten, der
im Frühjahr zum Bleichen der im Winter fertig gewordenen Leinwand be¬
nutzt wird.

Die Bewohner dieser Dörfer sind ein sehr kräftiger, breitschulteriger, derber
Menschenschlag, der vortreffliche Soldaten liefert und sich durch die genannten
Eigenschaften auffallend von seinen Nachbarn in der Altmark und auf der
lüneburger Haide unterscheidet, wie bisweilen vorgekommene Zusammenstöße
mit denselben hinreichend gezeigt haben. Die Züge sind bei den Männer" grob
und breit, die Stirnen niedrig, der Bartwuchs schwach. Die Frauen zeich¬
nen sich durch schlanken und üppigen ^>uchs und noch häusiger durch blendend
weißen Teint aus, den sie sorgfältig vor der Sonne hüten. Bei beiden Ge¬
schlechtern sind blonde Haare und blaue oder hellgraue Augen die Regel, Brün-
nctre Ausnahme, Schwarze sehr selten.

Die Stoffe zur Alltagskleidung werden durch die Hausindustrie des Länd¬
chens beschafft. Beliebt ist die sogenannte "Beierwcmd". ein Gewebe aus


Fast jedes der dicht bei einander liegenden Dörfer ist mit einem Kranze
von Laubholz umgeben, und nur der Rauch, der über die Kronen der Bäume
emporsteigt, läßt sie aus der Ferne als menschliche Ansiedelungen erkennen.
Besonders häufig hat man Eichen, Ulmen und Birken gepflanzt. Der eigent¬
lich charakteristische Baum der Gegend ist aber die Weide, die auf allen Nie¬
derungen vorkommt und alle Wiesen einfaßt. Daneben fällt bei einer Musterung
der Zäune und Hecken die große Vorliebe auf, welche der Wende dem früher
heilig gehaltenen Hollunder noch jetzt bewahrt. Selten liegt ein Dorf auf einer
Anhöhe, fast immer in einem Kessel oder am Fuß eines Hügels und an einem
Back oder einer wasserreichen Quelle. Die Anlage derselben ist, wo sie nicht
durch Brand zerstört und dann umgestaltet worden sind, kreis- oder hufeisen¬
förmig, wodurch sie sich wesentlich von den Dörfern germanischen Ursprungs
unterscheiden, welche Gassen bilden. Rings um einen freien Platz herum stehen
die Häuser und zwar kehren alle diesem Platze die Giebelseite zu, die als Ehren¬
seite mit den grellsten Farbe» bemalt, häufig auch mit dem Namen des Er¬
bauers und seiner Ehefrau, einem Liedervers oder einem frommen Spruch ge¬
schmückt ist. Die Dächer sind meist mit Stroh gedeckt, die Einfahrt befindet
sich an der Vorderseite. Alte Häuser gleichen in den meisten Stücken dem von
uns vor Kurzem geschilderten sächsischen Hause: der Rauch findet keinen Schorn¬
stein zum Abzug, der Bauer lebt mit seinen Pferden und Rindern unter einem
Dache, das Vieh kehrt die Köpfe der Tenne zu, im Hintergrund der letzteren
und der Einfahrt gerade gegenüber befindet sich der Heerd. Die Wohnstube,
wie dort Dorf genannt, hat dieselben Schrankbetten wie die des holsteinischen
Sachsen. Zwischen den Häusern eines Wendendorfs liegen die mit Bäumen
bepflanzten Hofplätze, an die sich gewöhnlich ein kleiner Obstgarten „Klanzei"
genannt anschließt, und dahinter beginnt der „Wischhof", ein Grasgarten, der
im Frühjahr zum Bleichen der im Winter fertig gewordenen Leinwand be¬
nutzt wird.

Die Bewohner dieser Dörfer sind ein sehr kräftiger, breitschulteriger, derber
Menschenschlag, der vortreffliche Soldaten liefert und sich durch die genannten
Eigenschaften auffallend von seinen Nachbarn in der Altmark und auf der
lüneburger Haide unterscheidet, wie bisweilen vorgekommene Zusammenstöße
mit denselben hinreichend gezeigt haben. Die Züge sind bei den Männer» grob
und breit, die Stirnen niedrig, der Bartwuchs schwach. Die Frauen zeich¬
nen sich durch schlanken und üppigen ^>uchs und noch häusiger durch blendend
weißen Teint aus, den sie sorgfältig vor der Sonne hüten. Bei beiden Ge¬
schlechtern sind blonde Haare und blaue oder hellgraue Augen die Regel, Brün-
nctre Ausnahme, Schwarze sehr selten.

Die Stoffe zur Alltagskleidung werden durch die Hausindustrie des Länd¬
chens beschafft. Beliebt ist die sogenannte „Beierwcmd". ein Gewebe aus


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[0206] Fast jedes der dicht bei einander liegenden Dörfer ist mit einem Kranze von Laubholz umgeben, und nur der Rauch, der über die Kronen der Bäume emporsteigt, läßt sie aus der Ferne als menschliche Ansiedelungen erkennen. Besonders häufig hat man Eichen, Ulmen und Birken gepflanzt. Der eigent¬ lich charakteristische Baum der Gegend ist aber die Weide, die auf allen Nie¬ derungen vorkommt und alle Wiesen einfaßt. Daneben fällt bei einer Musterung der Zäune und Hecken die große Vorliebe auf, welche der Wende dem früher heilig gehaltenen Hollunder noch jetzt bewahrt. Selten liegt ein Dorf auf einer Anhöhe, fast immer in einem Kessel oder am Fuß eines Hügels und an einem Back oder einer wasserreichen Quelle. Die Anlage derselben ist, wo sie nicht durch Brand zerstört und dann umgestaltet worden sind, kreis- oder hufeisen¬ förmig, wodurch sie sich wesentlich von den Dörfern germanischen Ursprungs unterscheiden, welche Gassen bilden. Rings um einen freien Platz herum stehen die Häuser und zwar kehren alle diesem Platze die Giebelseite zu, die als Ehren¬ seite mit den grellsten Farbe» bemalt, häufig auch mit dem Namen des Er¬ bauers und seiner Ehefrau, einem Liedervers oder einem frommen Spruch ge¬ schmückt ist. Die Dächer sind meist mit Stroh gedeckt, die Einfahrt befindet sich an der Vorderseite. Alte Häuser gleichen in den meisten Stücken dem von uns vor Kurzem geschilderten sächsischen Hause: der Rauch findet keinen Schorn¬ stein zum Abzug, der Bauer lebt mit seinen Pferden und Rindern unter einem Dache, das Vieh kehrt die Köpfe der Tenne zu, im Hintergrund der letzteren und der Einfahrt gerade gegenüber befindet sich der Heerd. Die Wohnstube, wie dort Dorf genannt, hat dieselben Schrankbetten wie die des holsteinischen Sachsen. Zwischen den Häusern eines Wendendorfs liegen die mit Bäumen bepflanzten Hofplätze, an die sich gewöhnlich ein kleiner Obstgarten „Klanzei" genannt anschließt, und dahinter beginnt der „Wischhof", ein Grasgarten, der im Frühjahr zum Bleichen der im Winter fertig gewordenen Leinwand be¬ nutzt wird. Die Bewohner dieser Dörfer sind ein sehr kräftiger, breitschulteriger, derber Menschenschlag, der vortreffliche Soldaten liefert und sich durch die genannten Eigenschaften auffallend von seinen Nachbarn in der Altmark und auf der lüneburger Haide unterscheidet, wie bisweilen vorgekommene Zusammenstöße mit denselben hinreichend gezeigt haben. Die Züge sind bei den Männer» grob und breit, die Stirnen niedrig, der Bartwuchs schwach. Die Frauen zeich¬ nen sich durch schlanken und üppigen ^>uchs und noch häusiger durch blendend weißen Teint aus, den sie sorgfältig vor der Sonne hüten. Bei beiden Ge¬ schlechtern sind blonde Haare und blaue oder hellgraue Augen die Regel, Brün- nctre Ausnahme, Schwarze sehr selten. Die Stoffe zur Alltagskleidung werden durch die Hausindustrie des Länd¬ chens beschafft. Beliebt ist die sogenannte „Beierwcmd". ein Gewebe aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/206>, abgerufen am 01.07.2024.