Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in der kirchlichen Verfassung das Judcnchristcnthum sein Princip der Autorität
und Tradition durch.

Wir sahen, wie die paulinischen Dogmen als dem Zug der Zeit entspre¬
chend in der Kirche schnell Eingang fanden. Ader es war eigentlich nur daS
äußere Schema seiner Lehre, welches aufgenommen wurde. Seine Theorien
vom stellvertretenden Opfertod und von der Person Christi fanden keinen Wider¬
spruch und wurden weiter gebildet, wie insbesondere die letztere Lehre im Jo¬
hannesevangelium, das dem Gegensatz der Juden- und Heidenchristen schon weit
entrückt ist, ihren letzten vollendetsten Ausdruck erhielt. Ader die subjective Seite
des paulinischen Systems, der Kern seiner Heilslehre, insbesondere die innere
Bedeutung des Glaubens gegenüber den Werten blieb der Kirche fremd. Diese
nahm wohl die dogmatischen Formen auf, aber nicht den Geist, von dein sie
bei Paulus beseelt waren, den Geist der religiösen Innerlichkeit und Freiheit.
Schon an den späteren zum Theil dem Paulus selbst zugeschriebenen Schriften
des neuen Testaments sehen wir, wie die Grundsätze des Apostels in dieser Be¬
ziehung gemildert und abgeschwächt wurden.

Gerade das Tiefste und Eigenthümlichste seiner religiösen Anschauung ist
nie in die Kirche übergegangen. Die Sündenvergebung wird doch wieder an
die Befolgung der göttlichen Gebote geknüpft. Der Glaube hat nicht mehr
die specifisch-paulinische Bedeutung als dre Quelle alles religiösen Thuns, son¬
dern er wird zu einem Fürwahrhatten außerordentlicher Thatsachen und Dog¬
men. Ein solcher Glaube mußte allerdings durch die Werke ergänzt werden,
beide treten jetzt äußerlich neben einander und "Glaube und Werke" wird
ebenso zur bezeichnenden Devise der Kirche wie "Paulus und Petrus". Da¬
mit dringt aber auch wieder die ganze Aeußerlichkeit und Werlgcrechtigkeit der
jüdischen Religiosität in das Christenthum ein. In diesem Sinne hat die katho¬
lische Kirche -- dieser Name kommt ebenfalls am Ende des zweiten Jahrhun¬
derts auf -- ihren judcnchristtichen Ursprung nie verläugnet. Der Paulinis-
mus war in der Kirche stets nur als Opposition, als Protestation, als trei¬
bendes Moment des Fortschritts eine Macht; herrschend ist er niemals gewesen.

In denselben neutestamentlichen und außerkanonischen Schriften, welche die¬
ser vermittelnden Tendenz angehörend aus die Vereinigung der Juden- und Heiden-
christen und ebenso auf die Gleichstellung des Glaubens und der Werte, des
Gesetzes und des Evangeliums dringen, ist nun noch besonders das große Ge¬
wicht bemerklich, das auf die Befestigung der kirchlichen Organisation gelegt
wird. Es lag dies zum Theil schon in der bisherigen Richtung, welche die
Kirche genommen hatte. Schon die allmälige Ausgleichung des petrinischcu und
Pauiinischen Christenthums mußte aus diesen Punkt hinführen. Aber ein ganz
besonderer Antrieb hiefür lag nun in den großen Kctzerparteicn, welche in der
ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts auftauchten.


in der kirchlichen Verfassung das Judcnchristcnthum sein Princip der Autorität
und Tradition durch.

Wir sahen, wie die paulinischen Dogmen als dem Zug der Zeit entspre¬
chend in der Kirche schnell Eingang fanden. Ader es war eigentlich nur daS
äußere Schema seiner Lehre, welches aufgenommen wurde. Seine Theorien
vom stellvertretenden Opfertod und von der Person Christi fanden keinen Wider¬
spruch und wurden weiter gebildet, wie insbesondere die letztere Lehre im Jo¬
hannesevangelium, das dem Gegensatz der Juden- und Heidenchristen schon weit
entrückt ist, ihren letzten vollendetsten Ausdruck erhielt. Ader die subjective Seite
des paulinischen Systems, der Kern seiner Heilslehre, insbesondere die innere
Bedeutung des Glaubens gegenüber den Werten blieb der Kirche fremd. Diese
nahm wohl die dogmatischen Formen auf, aber nicht den Geist, von dein sie
bei Paulus beseelt waren, den Geist der religiösen Innerlichkeit und Freiheit.
Schon an den späteren zum Theil dem Paulus selbst zugeschriebenen Schriften
des neuen Testaments sehen wir, wie die Grundsätze des Apostels in dieser Be¬
ziehung gemildert und abgeschwächt wurden.

Gerade das Tiefste und Eigenthümlichste seiner religiösen Anschauung ist
nie in die Kirche übergegangen. Die Sündenvergebung wird doch wieder an
die Befolgung der göttlichen Gebote geknüpft. Der Glaube hat nicht mehr
die specifisch-paulinische Bedeutung als dre Quelle alles religiösen Thuns, son¬
dern er wird zu einem Fürwahrhatten außerordentlicher Thatsachen und Dog¬
men. Ein solcher Glaube mußte allerdings durch die Werke ergänzt werden,
beide treten jetzt äußerlich neben einander und „Glaube und Werke" wird
ebenso zur bezeichnenden Devise der Kirche wie „Paulus und Petrus". Da¬
mit dringt aber auch wieder die ganze Aeußerlichkeit und Werlgcrechtigkeit der
jüdischen Religiosität in das Christenthum ein. In diesem Sinne hat die katho¬
lische Kirche — dieser Name kommt ebenfalls am Ende des zweiten Jahrhun¬
derts auf — ihren judcnchristtichen Ursprung nie verläugnet. Der Paulinis-
mus war in der Kirche stets nur als Opposition, als Protestation, als trei¬
bendes Moment des Fortschritts eine Macht; herrschend ist er niemals gewesen.

In denselben neutestamentlichen und außerkanonischen Schriften, welche die¬
ser vermittelnden Tendenz angehörend aus die Vereinigung der Juden- und Heiden-
christen und ebenso auf die Gleichstellung des Glaubens und der Werte, des
Gesetzes und des Evangeliums dringen, ist nun noch besonders das große Ge¬
wicht bemerklich, das auf die Befestigung der kirchlichen Organisation gelegt
wird. Es lag dies zum Theil schon in der bisherigen Richtung, welche die
Kirche genommen hatte. Schon die allmälige Ausgleichung des petrinischcu und
Pauiinischen Christenthums mußte aus diesen Punkt hinführen. Aber ein ganz
besonderer Antrieb hiefür lag nun in den großen Kctzerparteicn, welche in der
ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts auftauchten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189729"/>
          <p xml:id="ID_361" prev="#ID_360"> in der kirchlichen Verfassung das Judcnchristcnthum sein Princip der Autorität<lb/>
und Tradition durch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_362"> Wir sahen, wie die paulinischen Dogmen als dem Zug der Zeit entspre¬<lb/>
chend in der Kirche schnell Eingang fanden. Ader es war eigentlich nur daS<lb/>
äußere Schema seiner Lehre, welches aufgenommen wurde. Seine Theorien<lb/>
vom stellvertretenden Opfertod und von der Person Christi fanden keinen Wider¬<lb/>
spruch und wurden weiter gebildet, wie insbesondere die letztere Lehre im Jo¬<lb/>
hannesevangelium, das dem Gegensatz der Juden- und Heidenchristen schon weit<lb/>
entrückt ist, ihren letzten vollendetsten Ausdruck erhielt. Ader die subjective Seite<lb/>
des paulinischen Systems, der Kern seiner Heilslehre, insbesondere die innere<lb/>
Bedeutung des Glaubens gegenüber den Werten blieb der Kirche fremd. Diese<lb/>
nahm wohl die dogmatischen Formen auf, aber nicht den Geist, von dein sie<lb/>
bei Paulus beseelt waren, den Geist der religiösen Innerlichkeit und Freiheit.<lb/>
Schon an den späteren zum Theil dem Paulus selbst zugeschriebenen Schriften<lb/>
des neuen Testaments sehen wir, wie die Grundsätze des Apostels in dieser Be¬<lb/>
ziehung gemildert und abgeschwächt wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_363"> Gerade das Tiefste und Eigenthümlichste seiner religiösen Anschauung ist<lb/>
nie in die Kirche übergegangen. Die Sündenvergebung wird doch wieder an<lb/>
die Befolgung der göttlichen Gebote geknüpft. Der Glaube hat nicht mehr<lb/>
die specifisch-paulinische Bedeutung als dre Quelle alles religiösen Thuns, son¬<lb/>
dern er wird zu einem Fürwahrhatten außerordentlicher Thatsachen und Dog¬<lb/>
men. Ein solcher Glaube mußte allerdings durch die Werke ergänzt werden,<lb/>
beide treten jetzt äußerlich neben einander und &#x201E;Glaube und Werke" wird<lb/>
ebenso zur bezeichnenden Devise der Kirche wie &#x201E;Paulus und Petrus". Da¬<lb/>
mit dringt aber auch wieder die ganze Aeußerlichkeit und Werlgcrechtigkeit der<lb/>
jüdischen Religiosität in das Christenthum ein. In diesem Sinne hat die katho¬<lb/>
lische Kirche &#x2014; dieser Name kommt ebenfalls am Ende des zweiten Jahrhun¬<lb/>
derts auf &#x2014; ihren judcnchristtichen Ursprung nie verläugnet. Der Paulinis-<lb/>
mus war in der Kirche stets nur als Opposition, als Protestation, als trei¬<lb/>
bendes Moment des Fortschritts eine Macht; herrschend ist er niemals gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_364"> In denselben neutestamentlichen und außerkanonischen Schriften, welche die¬<lb/>
ser vermittelnden Tendenz angehörend aus die Vereinigung der Juden- und Heiden-<lb/>
christen und ebenso auf die Gleichstellung des Glaubens und der Werte, des<lb/>
Gesetzes und des Evangeliums dringen, ist nun noch besonders das große Ge¬<lb/>
wicht bemerklich, das auf die Befestigung der kirchlichen Organisation gelegt<lb/>
wird. Es lag dies zum Theil schon in der bisherigen Richtung, welche die<lb/>
Kirche genommen hatte. Schon die allmälige Ausgleichung des petrinischcu und<lb/>
Pauiinischen Christenthums mußte aus diesen Punkt hinführen. Aber ein ganz<lb/>
besonderer Antrieb hiefür lag nun in den großen Kctzerparteicn, welche in der<lb/>
ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts auftauchten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0105] in der kirchlichen Verfassung das Judcnchristcnthum sein Princip der Autorität und Tradition durch. Wir sahen, wie die paulinischen Dogmen als dem Zug der Zeit entspre¬ chend in der Kirche schnell Eingang fanden. Ader es war eigentlich nur daS äußere Schema seiner Lehre, welches aufgenommen wurde. Seine Theorien vom stellvertretenden Opfertod und von der Person Christi fanden keinen Wider¬ spruch und wurden weiter gebildet, wie insbesondere die letztere Lehre im Jo¬ hannesevangelium, das dem Gegensatz der Juden- und Heidenchristen schon weit entrückt ist, ihren letzten vollendetsten Ausdruck erhielt. Ader die subjective Seite des paulinischen Systems, der Kern seiner Heilslehre, insbesondere die innere Bedeutung des Glaubens gegenüber den Werten blieb der Kirche fremd. Diese nahm wohl die dogmatischen Formen auf, aber nicht den Geist, von dein sie bei Paulus beseelt waren, den Geist der religiösen Innerlichkeit und Freiheit. Schon an den späteren zum Theil dem Paulus selbst zugeschriebenen Schriften des neuen Testaments sehen wir, wie die Grundsätze des Apostels in dieser Be¬ ziehung gemildert und abgeschwächt wurden. Gerade das Tiefste und Eigenthümlichste seiner religiösen Anschauung ist nie in die Kirche übergegangen. Die Sündenvergebung wird doch wieder an die Befolgung der göttlichen Gebote geknüpft. Der Glaube hat nicht mehr die specifisch-paulinische Bedeutung als dre Quelle alles religiösen Thuns, son¬ dern er wird zu einem Fürwahrhatten außerordentlicher Thatsachen und Dog¬ men. Ein solcher Glaube mußte allerdings durch die Werke ergänzt werden, beide treten jetzt äußerlich neben einander und „Glaube und Werke" wird ebenso zur bezeichnenden Devise der Kirche wie „Paulus und Petrus". Da¬ mit dringt aber auch wieder die ganze Aeußerlichkeit und Werlgcrechtigkeit der jüdischen Religiosität in das Christenthum ein. In diesem Sinne hat die katho¬ lische Kirche — dieser Name kommt ebenfalls am Ende des zweiten Jahrhun¬ derts auf — ihren judcnchristtichen Ursprung nie verläugnet. Der Paulinis- mus war in der Kirche stets nur als Opposition, als Protestation, als trei¬ bendes Moment des Fortschritts eine Macht; herrschend ist er niemals gewesen. In denselben neutestamentlichen und außerkanonischen Schriften, welche die¬ ser vermittelnden Tendenz angehörend aus die Vereinigung der Juden- und Heiden- christen und ebenso auf die Gleichstellung des Glaubens und der Werte, des Gesetzes und des Evangeliums dringen, ist nun noch besonders das große Ge¬ wicht bemerklich, das auf die Befestigung der kirchlichen Organisation gelegt wird. Es lag dies zum Theil schon in der bisherigen Richtung, welche die Kirche genommen hatte. Schon die allmälige Ausgleichung des petrinischcu und Pauiinischen Christenthums mußte aus diesen Punkt hinführen. Aber ein ganz besonderer Antrieb hiefür lag nun in den großen Kctzerparteicn, welche in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts auftauchten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/105
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/105>, abgerufen am 01.10.2024.