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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Junkers die Sache zu unterdrücken wußten, beim Kurfürsten von Brandenburg,
wo aber die Sache wieder in die Hände von Tronkas Schwager kam und
ebensowenig Erfolg hatte. Empört darüber, kein Recht finden zu können, ver¬
kaufte nun K. seine Besitzungen und ließ dem Junker einen Absagebrief zugehen.
Mit gewordenen Leuten nahm er dessen Burg !und brannte sie nieder. Nur
durch einen Zufall entging ihm der Junker, auf dessen Gefangennehmung er
es eigentlich abgesehen hatte. Hierauf sengte und brennte er in Wittenberg,
wohin sich Tronka zunächst geflüchtet, Dresden, Leipzig und anderwärts, bis
Luther ihn in einem Briefe auf das Unrecht seiner Handlungsweise mit kräf¬
tigen Worten aufmerksam machte, worauf er seine Leute entließ und von
Lützen aus, wo er im dasigen Schlosse damals Residenz hielt, sich zu Luther
nach Wittenberg begab. Unter kurfürstlichem Geleit ging er nun nach Dresden.
Doch hielt man ihm nicht das Geleit, und schon sollte er hingerichtet werden,
als sein Landesherr, der Kurfürst von Brandenburg, seine Auslieferung ver¬
langte. Letzterer schaffte ihm nun volles Recht gegen den Junker. Nachdem
aber solches geschehen, wurde ihm aus kaiserliche Requisition der Proceß wegen
Landfriedensbruch gemacht und er zu Potsdam enthauptet."

Gehörig ausgerichtet? -- Alles in der Ordnung, nur die Kleinigkeit ist
versehen, daß der Verfasser seinen Mann Taubenstraße 66 im Keller vornheraus,
will sagen: aus dem Gebiete der Poesie gesucht und gefunden hat, statt, wie
sonst üblich bei Biographien, Krausenstraße 99, drei Treppen im Hofe, will
sagen: im Bereich der Prosa, der Geschichte, und daß er infolge dessen uns
eine wesentlich andere Persönlichkeit vorführt als die, deren Citirung ihm aus¬
gegeben war.

Um es kurz zu sagen, der Conversationslexikons-Kohlhaas*) ist nichts mehr
und nichts weniger als ein prosaischer Möglichkeit angepaßter Auszug aus
Kleists Novelle, und diese hat mit der Geschichte nur einige Grundzüge und,
die dresdner Episode ausgenommen, das Colorit gemein. Der historische Kohl¬
hase hieß weder Michael, noch war er ein Roßkamm, und noch viel weniger
war er 1ö21 geboren, da er sonst zwölf Jahre alt schon Frau und Kinder ge¬
habt und Fehdebriefe verschickt hätte. Er hat die Tronkaburg nicht niedergebrannt,
und zwar schon deshalb nicht, weil es eine solche Stätte der Ungerechtigkeit
so wenig gab, wie einen Junker Tronka. Er ist nicht in Dresden beim kurfürst¬
lichen Gericht gewesen, und zwar, wie man ohne Studium der Quellen hätte
wissen können, weil Dresden damals nicht kurfürstlich war. Er ist ferner nicht



") Nicht blos der des brockhausischen, sondern ganz ebenso auch der des piererschen und
des meyerschen Conversationslerikons -- in der That, eine eigenthümliche und sehr charakteri¬
stische Erscheinung auf dem Gebiete der für solche Unternehmungen thätigen Historiker.
D. Red.

Junkers die Sache zu unterdrücken wußten, beim Kurfürsten von Brandenburg,
wo aber die Sache wieder in die Hände von Tronkas Schwager kam und
ebensowenig Erfolg hatte. Empört darüber, kein Recht finden zu können, ver¬
kaufte nun K. seine Besitzungen und ließ dem Junker einen Absagebrief zugehen.
Mit gewordenen Leuten nahm er dessen Burg !und brannte sie nieder. Nur
durch einen Zufall entging ihm der Junker, auf dessen Gefangennehmung er
es eigentlich abgesehen hatte. Hierauf sengte und brennte er in Wittenberg,
wohin sich Tronka zunächst geflüchtet, Dresden, Leipzig und anderwärts, bis
Luther ihn in einem Briefe auf das Unrecht seiner Handlungsweise mit kräf¬
tigen Worten aufmerksam machte, worauf er seine Leute entließ und von
Lützen aus, wo er im dasigen Schlosse damals Residenz hielt, sich zu Luther
nach Wittenberg begab. Unter kurfürstlichem Geleit ging er nun nach Dresden.
Doch hielt man ihm nicht das Geleit, und schon sollte er hingerichtet werden,
als sein Landesherr, der Kurfürst von Brandenburg, seine Auslieferung ver¬
langte. Letzterer schaffte ihm nun volles Recht gegen den Junker. Nachdem
aber solches geschehen, wurde ihm aus kaiserliche Requisition der Proceß wegen
Landfriedensbruch gemacht und er zu Potsdam enthauptet."

Gehörig ausgerichtet? — Alles in der Ordnung, nur die Kleinigkeit ist
versehen, daß der Verfasser seinen Mann Taubenstraße 66 im Keller vornheraus,
will sagen: aus dem Gebiete der Poesie gesucht und gefunden hat, statt, wie
sonst üblich bei Biographien, Krausenstraße 99, drei Treppen im Hofe, will
sagen: im Bereich der Prosa, der Geschichte, und daß er infolge dessen uns
eine wesentlich andere Persönlichkeit vorführt als die, deren Citirung ihm aus¬
gegeben war.

Um es kurz zu sagen, der Conversationslexikons-Kohlhaas*) ist nichts mehr
und nichts weniger als ein prosaischer Möglichkeit angepaßter Auszug aus
Kleists Novelle, und diese hat mit der Geschichte nur einige Grundzüge und,
die dresdner Episode ausgenommen, das Colorit gemein. Der historische Kohl¬
hase hieß weder Michael, noch war er ein Roßkamm, und noch viel weniger
war er 1ö21 geboren, da er sonst zwölf Jahre alt schon Frau und Kinder ge¬
habt und Fehdebriefe verschickt hätte. Er hat die Tronkaburg nicht niedergebrannt,
und zwar schon deshalb nicht, weil es eine solche Stätte der Ungerechtigkeit
so wenig gab, wie einen Junker Tronka. Er ist nicht in Dresden beim kurfürst¬
lichen Gericht gewesen, und zwar, wie man ohne Studium der Quellen hätte
wissen können, weil Dresden damals nicht kurfürstlich war. Er ist ferner nicht



") Nicht blos der des brockhausischen, sondern ganz ebenso auch der des piererschen und
des meyerschen Conversationslerikons — in der That, eine eigenthümliche und sehr charakteri¬
stische Erscheinung auf dem Gebiete der für solche Unternehmungen thätigen Historiker.
D. Red.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/90>, abgerufen am 28.09.2024.