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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Ali die erbliche Negierung Aegyptens bewilligte. Indessen zeigte sich bald, dos;
auch diesmal noch die Freude der Diplomatie verfrüht war: die zähe Hartnäckig¬
keit der Pforte war stärker als Metternichs aufrichtige Wünsche. die Angelegen¬
heit rasch und in einer Weise abzuthun, die ihm gestattete, sich in dem
stolzen Bewußtsein des östreichischen Einflusses zu wiegen, so gering dieser Ein¬
fluß in der That auch war. Die Bedingungen, welche die Pforte stellte, waren
der Art, daß sie, was sie mit der einen Hand gegeben hatte, mit der ander"
Wieder nahm. Die Concession der Erblichkeit war dadurch so gut wie illusorisch
gemacht, daß der Sultan sich unter den Nachkommen Mchemets die Wahl vor¬
behielt; die Bedingung, den vierten Theil der Revenuen Aegyptens als Tribut
an den Oberlehnshcrrn zu zahlen, mußte voraussichtlich den ökonomischen Ruin
des Pascha herbeiführen. Erneute Weigerung des Pascha, verbunden mit den
üblichen Versicherungen demüthigster Unterwürfigkeit unter die Befehle seines
Lehnsherrn; von der andern Seite erneuter Druck der Verbündeten, wobei
wiederum Metternich, der in dieser ganzen Angelegenheit den Mangel an wirk¬
lichem Einfluß dadurch zu verdecken sucht, daß er da entschieden auftritt, wo
die Entscheidung gar nicht mehr zweifelhaft ist, die Leitung übernimmt! Ende
April oder Anfangs Mai wurden endlich die nothwendigen Modificationen des
Firmans von der Pforte bewilligt.

Wcibrend dieser letzten Zuckungen der ägyptischen Frage war die französische
Diplomatie trotz aller officiellen Zurückhaltung doch im Stillen bemüht gewesen,
ihre Rückkehr in den Verein der Großmächte durch einen möglichst bedeutungs¬
vollen europäischen Act zu bewerkstelligen. Darüber war man endlich nach mannig¬
fachem Hin- und Herverhandeln übereingekommen, daß, nachdem in einem Schlu߬
protokoll die Absicht des Vertrages vom 13. Juli für erfüllt und somit der Vertrag
selbst für erloschen erklärt worden wäre. Frankreich eingeladen werden solle, einem
gemeinschaftlichen die Verhältnisse des osmanischen Reiches neu ordnenden Acte seine
Theilnahme und Mitwirkung zu leihen. Natürlich wünschte Guizot dies Actenstück
möglichst bedeutungsvoll und inhaltreich zu sehen. In einem Schreiben an den
Gesandten in Wien, den Grafen von Sainte-Aulaire, hatte er seine Wünsche
vorläufig dahin ausgesprochen, daß folgende Punkte in das gemeinsame Acten¬
stück aufgenommen werden möchten: 1) die Sperrung der beiden Meerengen,
2) Anerkennung der Integrität des osmanischen Reichs. 3) Garantie für die.
christlichen Stämme Syriens, 4) gewisse Stipulationen zu Gunsten Jerusalems,
6) Stipulationen in Betreff der Freiheit und vielleicht der positiven Neutralität
der großen Handelsstraßen zwischen dem mittelländischen und rothen Meere und
dem mittelländischen Meere und dem persischen Golf. Diese Idee stieß aber bei
Palmerston, dem sie im Laufe der Unterhandlungen von Bourqucncy vorgelegt
wurde, auf entschiedenen Widerstand. Denn wenn Frankreich ein Interesse daran
hatte, seine Niederlage in der ägyptischen Frage durch einen von der französischen


Grenz boten III. 1864. 10

Ali die erbliche Negierung Aegyptens bewilligte. Indessen zeigte sich bald, dos;
auch diesmal noch die Freude der Diplomatie verfrüht war: die zähe Hartnäckig¬
keit der Pforte war stärker als Metternichs aufrichtige Wünsche. die Angelegen¬
heit rasch und in einer Weise abzuthun, die ihm gestattete, sich in dem
stolzen Bewußtsein des östreichischen Einflusses zu wiegen, so gering dieser Ein¬
fluß in der That auch war. Die Bedingungen, welche die Pforte stellte, waren
der Art, daß sie, was sie mit der einen Hand gegeben hatte, mit der ander»
Wieder nahm. Die Concession der Erblichkeit war dadurch so gut wie illusorisch
gemacht, daß der Sultan sich unter den Nachkommen Mchemets die Wahl vor¬
behielt; die Bedingung, den vierten Theil der Revenuen Aegyptens als Tribut
an den Oberlehnshcrrn zu zahlen, mußte voraussichtlich den ökonomischen Ruin
des Pascha herbeiführen. Erneute Weigerung des Pascha, verbunden mit den
üblichen Versicherungen demüthigster Unterwürfigkeit unter die Befehle seines
Lehnsherrn; von der andern Seite erneuter Druck der Verbündeten, wobei
wiederum Metternich, der in dieser ganzen Angelegenheit den Mangel an wirk¬
lichem Einfluß dadurch zu verdecken sucht, daß er da entschieden auftritt, wo
die Entscheidung gar nicht mehr zweifelhaft ist, die Leitung übernimmt! Ende
April oder Anfangs Mai wurden endlich die nothwendigen Modificationen des
Firmans von der Pforte bewilligt.

Wcibrend dieser letzten Zuckungen der ägyptischen Frage war die französische
Diplomatie trotz aller officiellen Zurückhaltung doch im Stillen bemüht gewesen,
ihre Rückkehr in den Verein der Großmächte durch einen möglichst bedeutungs¬
vollen europäischen Act zu bewerkstelligen. Darüber war man endlich nach mannig¬
fachem Hin- und Herverhandeln übereingekommen, daß, nachdem in einem Schlu߬
protokoll die Absicht des Vertrages vom 13. Juli für erfüllt und somit der Vertrag
selbst für erloschen erklärt worden wäre. Frankreich eingeladen werden solle, einem
gemeinschaftlichen die Verhältnisse des osmanischen Reiches neu ordnenden Acte seine
Theilnahme und Mitwirkung zu leihen. Natürlich wünschte Guizot dies Actenstück
möglichst bedeutungsvoll und inhaltreich zu sehen. In einem Schreiben an den
Gesandten in Wien, den Grafen von Sainte-Aulaire, hatte er seine Wünsche
vorläufig dahin ausgesprochen, daß folgende Punkte in das gemeinsame Acten¬
stück aufgenommen werden möchten: 1) die Sperrung der beiden Meerengen,
2) Anerkennung der Integrität des osmanischen Reichs. 3) Garantie für die.
christlichen Stämme Syriens, 4) gewisse Stipulationen zu Gunsten Jerusalems,
6) Stipulationen in Betreff der Freiheit und vielleicht der positiven Neutralität
der großen Handelsstraßen zwischen dem mittelländischen und rothen Meere und
dem mittelländischen Meere und dem persischen Golf. Diese Idee stieß aber bei
Palmerston, dem sie im Laufe der Unterhandlungen von Bourqucncy vorgelegt
wurde, auf entschiedenen Widerstand. Denn wenn Frankreich ein Interesse daran
hatte, seine Niederlage in der ägyptischen Frage durch einen von der französischen


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[0081] Ali die erbliche Negierung Aegyptens bewilligte. Indessen zeigte sich bald, dos; auch diesmal noch die Freude der Diplomatie verfrüht war: die zähe Hartnäckig¬ keit der Pforte war stärker als Metternichs aufrichtige Wünsche. die Angelegen¬ heit rasch und in einer Weise abzuthun, die ihm gestattete, sich in dem stolzen Bewußtsein des östreichischen Einflusses zu wiegen, so gering dieser Ein¬ fluß in der That auch war. Die Bedingungen, welche die Pforte stellte, waren der Art, daß sie, was sie mit der einen Hand gegeben hatte, mit der ander» Wieder nahm. Die Concession der Erblichkeit war dadurch so gut wie illusorisch gemacht, daß der Sultan sich unter den Nachkommen Mchemets die Wahl vor¬ behielt; die Bedingung, den vierten Theil der Revenuen Aegyptens als Tribut an den Oberlehnshcrrn zu zahlen, mußte voraussichtlich den ökonomischen Ruin des Pascha herbeiführen. Erneute Weigerung des Pascha, verbunden mit den üblichen Versicherungen demüthigster Unterwürfigkeit unter die Befehle seines Lehnsherrn; von der andern Seite erneuter Druck der Verbündeten, wobei wiederum Metternich, der in dieser ganzen Angelegenheit den Mangel an wirk¬ lichem Einfluß dadurch zu verdecken sucht, daß er da entschieden auftritt, wo die Entscheidung gar nicht mehr zweifelhaft ist, die Leitung übernimmt! Ende April oder Anfangs Mai wurden endlich die nothwendigen Modificationen des Firmans von der Pforte bewilligt. Wcibrend dieser letzten Zuckungen der ägyptischen Frage war die französische Diplomatie trotz aller officiellen Zurückhaltung doch im Stillen bemüht gewesen, ihre Rückkehr in den Verein der Großmächte durch einen möglichst bedeutungs¬ vollen europäischen Act zu bewerkstelligen. Darüber war man endlich nach mannig¬ fachem Hin- und Herverhandeln übereingekommen, daß, nachdem in einem Schlu߬ protokoll die Absicht des Vertrages vom 13. Juli für erfüllt und somit der Vertrag selbst für erloschen erklärt worden wäre. Frankreich eingeladen werden solle, einem gemeinschaftlichen die Verhältnisse des osmanischen Reiches neu ordnenden Acte seine Theilnahme und Mitwirkung zu leihen. Natürlich wünschte Guizot dies Actenstück möglichst bedeutungsvoll und inhaltreich zu sehen. In einem Schreiben an den Gesandten in Wien, den Grafen von Sainte-Aulaire, hatte er seine Wünsche vorläufig dahin ausgesprochen, daß folgende Punkte in das gemeinsame Acten¬ stück aufgenommen werden möchten: 1) die Sperrung der beiden Meerengen, 2) Anerkennung der Integrität des osmanischen Reichs. 3) Garantie für die. christlichen Stämme Syriens, 4) gewisse Stipulationen zu Gunsten Jerusalems, 6) Stipulationen in Betreff der Freiheit und vielleicht der positiven Neutralität der großen Handelsstraßen zwischen dem mittelländischen und rothen Meere und dem mittelländischen Meere und dem persischen Golf. Diese Idee stieß aber bei Palmerston, dem sie im Laufe der Unterhandlungen von Bourqucncy vorgelegt wurde, auf entschiedenen Widerstand. Denn wenn Frankreich ein Interesse daran hatte, seine Niederlage in der ägyptischen Frage durch einen von der französischen Grenz boten III. 1864. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/81>, abgerufen am 20.10.2024.