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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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parallel Ordneten Sätzen und Wortreihen. Die Bestimmung des Bindeworts
war fast nur, diese Beiordnung in helleres Licht zu setzen. Jetzt galt es für
die größere Abstufung der lateinischen Conjunctionen entsprechende deutsche zu
finden. Es mußte den Bedeutungen der vorhandenen eine Färbung gegeben
werden, die ihnen ursprünglich fremd war. Es mußten Adverbien zu Hilfe ge¬
nommen werden, welche nur langsam und widerstrebend auf das Niveau von
Conjunctionen herabsanken. Es mußten Wiederholungen einzelner und mehre
Worte angewandt werden, um in viel unterbrochner Fügung Zusammengehöriges
zu verbinden. Durch derartige Bemühungen zuerst wurden der deutschen Rede
viele Eigenschaften errungen, welche wir heute als ihren unbestrittenen Besitz
von jeher zu betrachten gewohnt sind." Eine lange Geschichte hat die Ergeb¬
nisse dieser Arbeit nur erweitert und ausgebaut.

Im Jahre 800 wurde König Karl zum römischen Kaiser gekrönt. Er er¬
hielt dadurch keinen Zuwachs an reeller Macht, aber auf dem Titel lag ein
Zauber. Der Kcnsername wurde eine Idee, die Idee einer Gewalt, die zu neuen
Thaten zwang. Jugendmuth, Ehrgeiz, etwas Glaubenseifer hatten Karl zu
seinen Eroberungskriegen geführt. Jetzt war er alt, befriedigt, nur noch des
Friedens und der Sammlung bedürftig. Gute Gesetze waren der einzige Ruhm,
nach dem er fortan noch strebte. Sein Ideal war kein politisches mehr, nicht
der Staat Cäsars oder Justinians. Ein christliches Haupt und christliche Glie¬
der, die Zucht des göttlichen Gesetzes über den unbändigen Seelen, das war
fein Ziel. So berief er unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Italien, im No¬
vember 801, die ersten geistlichen Würdenträger des Reichs, um mit ihnen eine
noch tiefer greifende Umgestaltung des religiösen Lebens der Kleriker wie der
Laien zu berathen, als jene von 789 gewesen war. ES erging von hier eine
Ermahnung an das Volk, die nichts Geringeres verlangte, als daß jedermann
sich in den Stand zu setzen habe, die Formeln des Vaterunsers und des Glaubens in
lateinischer Sprache herzusagen, und von dieser Exhortation wurde in Freising eine
deutsche Uebersetzung veranstaltet. Ferner schloß sich an jene Novemberversamm¬
lung eine Untersuchung des Bildungszustandes der Geistlichen und des Volkes durch
das ganze.Reich, wobei man von dem letztern Kenntniß und Verständniß des
Gesetzes, unter dem sie lebten, verlangte. Dann folgte im März 802 eine
Reichsversammlung, auf welcher ein System der kirchlichen Gesetzgebung fest¬
gestellt und unier Andern beschlossen wurde, daß Aebte und Mönche ihre Klo-
sterregel im Gedächtniß haben und sie verstehen müßten, und auf diese Veran¬
lassung hin überschrieben neun Mönche Se. Gallens ein Exemplar der Regel
des heiligen Benedict mit einer deutschen Uebersetzung. Im November desselben
Jahres war wieder eine Reichsversammlung, auf welcher der Kaiser alle Ge¬
setze des Reichs verlesen und erklären, nöthige Zusätze beschließen und die vel>
besserten Rechte aufzeichnen ließ. Nicht unwahrscheinlich ist, daß entweder zum


parallel Ordneten Sätzen und Wortreihen. Die Bestimmung des Bindeworts
war fast nur, diese Beiordnung in helleres Licht zu setzen. Jetzt galt es für
die größere Abstufung der lateinischen Conjunctionen entsprechende deutsche zu
finden. Es mußte den Bedeutungen der vorhandenen eine Färbung gegeben
werden, die ihnen ursprünglich fremd war. Es mußten Adverbien zu Hilfe ge¬
nommen werden, welche nur langsam und widerstrebend auf das Niveau von
Conjunctionen herabsanken. Es mußten Wiederholungen einzelner und mehre
Worte angewandt werden, um in viel unterbrochner Fügung Zusammengehöriges
zu verbinden. Durch derartige Bemühungen zuerst wurden der deutschen Rede
viele Eigenschaften errungen, welche wir heute als ihren unbestrittenen Besitz
von jeher zu betrachten gewohnt sind." Eine lange Geschichte hat die Ergeb¬
nisse dieser Arbeit nur erweitert und ausgebaut.

Im Jahre 800 wurde König Karl zum römischen Kaiser gekrönt. Er er¬
hielt dadurch keinen Zuwachs an reeller Macht, aber auf dem Titel lag ein
Zauber. Der Kcnsername wurde eine Idee, die Idee einer Gewalt, die zu neuen
Thaten zwang. Jugendmuth, Ehrgeiz, etwas Glaubenseifer hatten Karl zu
seinen Eroberungskriegen geführt. Jetzt war er alt, befriedigt, nur noch des
Friedens und der Sammlung bedürftig. Gute Gesetze waren der einzige Ruhm,
nach dem er fortan noch strebte. Sein Ideal war kein politisches mehr, nicht
der Staat Cäsars oder Justinians. Ein christliches Haupt und christliche Glie¬
der, die Zucht des göttlichen Gesetzes über den unbändigen Seelen, das war
fein Ziel. So berief er unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Italien, im No¬
vember 801, die ersten geistlichen Würdenträger des Reichs, um mit ihnen eine
noch tiefer greifende Umgestaltung des religiösen Lebens der Kleriker wie der
Laien zu berathen, als jene von 789 gewesen war. ES erging von hier eine
Ermahnung an das Volk, die nichts Geringeres verlangte, als daß jedermann
sich in den Stand zu setzen habe, die Formeln des Vaterunsers und des Glaubens in
lateinischer Sprache herzusagen, und von dieser Exhortation wurde in Freising eine
deutsche Uebersetzung veranstaltet. Ferner schloß sich an jene Novemberversamm¬
lung eine Untersuchung des Bildungszustandes der Geistlichen und des Volkes durch
das ganze.Reich, wobei man von dem letztern Kenntniß und Verständniß des
Gesetzes, unter dem sie lebten, verlangte. Dann folgte im März 802 eine
Reichsversammlung, auf welcher ein System der kirchlichen Gesetzgebung fest¬
gestellt und unier Andern beschlossen wurde, daß Aebte und Mönche ihre Klo-
sterregel im Gedächtniß haben und sie verstehen müßten, und auf diese Veran¬
lassung hin überschrieben neun Mönche Se. Gallens ein Exemplar der Regel
des heiligen Benedict mit einer deutschen Uebersetzung. Im November desselben
Jahres war wieder eine Reichsversammlung, auf welcher der Kaiser alle Ge¬
setze des Reichs verlesen und erklären, nöthige Zusätze beschließen und die vel>
besserten Rechte aufzeichnen ließ. Nicht unwahrscheinlich ist, daß entweder zum


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[0522] parallel Ordneten Sätzen und Wortreihen. Die Bestimmung des Bindeworts war fast nur, diese Beiordnung in helleres Licht zu setzen. Jetzt galt es für die größere Abstufung der lateinischen Conjunctionen entsprechende deutsche zu finden. Es mußte den Bedeutungen der vorhandenen eine Färbung gegeben werden, die ihnen ursprünglich fremd war. Es mußten Adverbien zu Hilfe ge¬ nommen werden, welche nur langsam und widerstrebend auf das Niveau von Conjunctionen herabsanken. Es mußten Wiederholungen einzelner und mehre Worte angewandt werden, um in viel unterbrochner Fügung Zusammengehöriges zu verbinden. Durch derartige Bemühungen zuerst wurden der deutschen Rede viele Eigenschaften errungen, welche wir heute als ihren unbestrittenen Besitz von jeher zu betrachten gewohnt sind." Eine lange Geschichte hat die Ergeb¬ nisse dieser Arbeit nur erweitert und ausgebaut. Im Jahre 800 wurde König Karl zum römischen Kaiser gekrönt. Er er¬ hielt dadurch keinen Zuwachs an reeller Macht, aber auf dem Titel lag ein Zauber. Der Kcnsername wurde eine Idee, die Idee einer Gewalt, die zu neuen Thaten zwang. Jugendmuth, Ehrgeiz, etwas Glaubenseifer hatten Karl zu seinen Eroberungskriegen geführt. Jetzt war er alt, befriedigt, nur noch des Friedens und der Sammlung bedürftig. Gute Gesetze waren der einzige Ruhm, nach dem er fortan noch strebte. Sein Ideal war kein politisches mehr, nicht der Staat Cäsars oder Justinians. Ein christliches Haupt und christliche Glie¬ der, die Zucht des göttlichen Gesetzes über den unbändigen Seelen, das war fein Ziel. So berief er unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Italien, im No¬ vember 801, die ersten geistlichen Würdenträger des Reichs, um mit ihnen eine noch tiefer greifende Umgestaltung des religiösen Lebens der Kleriker wie der Laien zu berathen, als jene von 789 gewesen war. ES erging von hier eine Ermahnung an das Volk, die nichts Geringeres verlangte, als daß jedermann sich in den Stand zu setzen habe, die Formeln des Vaterunsers und des Glaubens in lateinischer Sprache herzusagen, und von dieser Exhortation wurde in Freising eine deutsche Uebersetzung veranstaltet. Ferner schloß sich an jene Novemberversamm¬ lung eine Untersuchung des Bildungszustandes der Geistlichen und des Volkes durch das ganze.Reich, wobei man von dem letztern Kenntniß und Verständniß des Gesetzes, unter dem sie lebten, verlangte. Dann folgte im März 802 eine Reichsversammlung, auf welcher ein System der kirchlichen Gesetzgebung fest¬ gestellt und unier Andern beschlossen wurde, daß Aebte und Mönche ihre Klo- sterregel im Gedächtniß haben und sie verstehen müßten, und auf diese Veran¬ lassung hin überschrieben neun Mönche Se. Gallens ein Exemplar der Regel des heiligen Benedict mit einer deutschen Uebersetzung. Im November desselben Jahres war wieder eine Reichsversammlung, auf welcher der Kaiser alle Ge¬ setze des Reichs verlesen und erklären, nöthige Zusätze beschließen und die vel> besserten Rechte aufzeichnen ließ. Nicht unwahrscheinlich ist, daß entweder zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/522>, abgerufen am 28.09.2024.