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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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ist nirgends die Rede, der Glaube, für den die Frommen als Märtyrer sterben,
ist im Grund ein äußerliches Verhalten, das aus dem Haß gegen das Heiden-
thum hervorgeht, alles, was zum neuen Reich befähigt, hängt nur am Juden-
thum. Es giebt keinen Sprechenderer Beweis für das judenchristliche Gepräge
der ersten Gemeinde als dieses nach den vier paulinischen Briefen älteste Buch
in unserem Kanon. Allerdings haben wir uns damit bereits um mehre Decen-
nien von dem Tode Jesu entfernt, die Verfolgungen, unter deren Eindruck es
geschrieben, mußten den Haß gegen die Heiden aufs äußerste schärfen und dazu
kommt, daß die Offenbarung bereits eine polemische Spitze gegen die Wirksam¬
keit des Apostels Paulus hat. Allein die ganze Weltanschauung, welche aus
diesem Gedichte spricht, war doch die Weltanschauung der ersten Gemeinde.
Wir haben zwar keine directen Urkunden, die höher hinauf reichen, aber es
fehlt nicht an zerstreuten Spuren und Zeugnissen, die über den Charakter des
ältesten Christenthums keinen Zweifel lassen.

Merkwürdigerweise stellt uns die erste geschichtlich sichere Spur, aufweiche
wir nach dem Tode Jesu stoßen, ein Vorspiel jenes Kampfes vor Augen, der
später durch den Apostel Paulus weltgeschichtliche Dimensionen annahm. Gleich
in der jerusalemischen Gemeinde scheint sich eine freier denkende Minorität be¬
merklich gemacht zu haben, welche aus Hellenisten bestand, d. h. aus griechisch
geborenen Juden, welche mit den messiasgläubigen Juden zum Christenthum
übergetreten waren. Diese konnten dem Jüdischen, das für sie im Grund nur
ein Umweg gewesen war, unmöglich dieselbe Bedeutung zuerkennen, wie die
nationalen Juden. Allein eben damit setzten sie sich in einen Gegensatz zu den
Aposteln und der Mehrheit der Urgemeinde, welche ohne Zweifel durch jenes
kühnere Vorgehen der Hellenisten compromittirt zu werden fürchteten. Der
Gegenfaß führte zum Bruche, zur Scheidung der Hebräer und der Hellenisten,
zum vollständigen Sieg der ersteren in der Hauptgemeinde. Dies ist es, was
aus der Geschichte des Stephanus, deren Spitzen freilich später umgebogen
wurden, mit Sicherheit hervorgeht. Die Anklage gegen Stephanus war be¬
kanntlich dieselbe, die gegen Jesus selbst erhoben worden war: er verkündigte
den Sturz des Tempelcultus, an dessen Stelle eine geistigere Gottesverehrung
treten sollte, und es war dies ebensowenig eine falsche Anklage, wie bei Jesus;
erst das dominirende Judenchristenthum hat ein falsches Zeugniß daraus gemacht.
Stephanus starb als Märtyrer, und es ward eine Verfolgung über die Gemeinde
verhängt, aber allem Anschein nach nur über die hellenistische Partei derselben.
Denn die Apostel selbst blieben während der Verfolgung unangefochten in der
Stadt und mit ihnen ohne Zweifel ihr judaistischer Anhang. Die Hellenisten
zerstreuten sich nun über Judäa und Samaria, kamen als Flüchtlinge in die
Seestädte, dann nach Cypern und Antiochia, und thaten den weiteren Schritt,
daß sie hier auch den Heiden das Evangelium predigten, ein Anfang, aus dem


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ist nirgends die Rede, der Glaube, für den die Frommen als Märtyrer sterben,
ist im Grund ein äußerliches Verhalten, das aus dem Haß gegen das Heiden-
thum hervorgeht, alles, was zum neuen Reich befähigt, hängt nur am Juden-
thum. Es giebt keinen Sprechenderer Beweis für das judenchristliche Gepräge
der ersten Gemeinde als dieses nach den vier paulinischen Briefen älteste Buch
in unserem Kanon. Allerdings haben wir uns damit bereits um mehre Decen-
nien von dem Tode Jesu entfernt, die Verfolgungen, unter deren Eindruck es
geschrieben, mußten den Haß gegen die Heiden aufs äußerste schärfen und dazu
kommt, daß die Offenbarung bereits eine polemische Spitze gegen die Wirksam¬
keit des Apostels Paulus hat. Allein die ganze Weltanschauung, welche aus
diesem Gedichte spricht, war doch die Weltanschauung der ersten Gemeinde.
Wir haben zwar keine directen Urkunden, die höher hinauf reichen, aber es
fehlt nicht an zerstreuten Spuren und Zeugnissen, die über den Charakter des
ältesten Christenthums keinen Zweifel lassen.

Merkwürdigerweise stellt uns die erste geschichtlich sichere Spur, aufweiche
wir nach dem Tode Jesu stoßen, ein Vorspiel jenes Kampfes vor Augen, der
später durch den Apostel Paulus weltgeschichtliche Dimensionen annahm. Gleich
in der jerusalemischen Gemeinde scheint sich eine freier denkende Minorität be¬
merklich gemacht zu haben, welche aus Hellenisten bestand, d. h. aus griechisch
geborenen Juden, welche mit den messiasgläubigen Juden zum Christenthum
übergetreten waren. Diese konnten dem Jüdischen, das für sie im Grund nur
ein Umweg gewesen war, unmöglich dieselbe Bedeutung zuerkennen, wie die
nationalen Juden. Allein eben damit setzten sie sich in einen Gegensatz zu den
Aposteln und der Mehrheit der Urgemeinde, welche ohne Zweifel durch jenes
kühnere Vorgehen der Hellenisten compromittirt zu werden fürchteten. Der
Gegenfaß führte zum Bruche, zur Scheidung der Hebräer und der Hellenisten,
zum vollständigen Sieg der ersteren in der Hauptgemeinde. Dies ist es, was
aus der Geschichte des Stephanus, deren Spitzen freilich später umgebogen
wurden, mit Sicherheit hervorgeht. Die Anklage gegen Stephanus war be¬
kanntlich dieselbe, die gegen Jesus selbst erhoben worden war: er verkündigte
den Sturz des Tempelcultus, an dessen Stelle eine geistigere Gottesverehrung
treten sollte, und es war dies ebensowenig eine falsche Anklage, wie bei Jesus;
erst das dominirende Judenchristenthum hat ein falsches Zeugniß daraus gemacht.
Stephanus starb als Märtyrer, und es ward eine Verfolgung über die Gemeinde
verhängt, aber allem Anschein nach nur über die hellenistische Partei derselben.
Denn die Apostel selbst blieben während der Verfolgung unangefochten in der
Stadt und mit ihnen ohne Zweifel ihr judaistischer Anhang. Die Hellenisten
zerstreuten sich nun über Judäa und Samaria, kamen als Flüchtlinge in die
Seestädte, dann nach Cypern und Antiochia, und thaten den weiteren Schritt,
daß sie hier auch den Heiden das Evangelium predigten, ein Anfang, aus dem


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[0515] ist nirgends die Rede, der Glaube, für den die Frommen als Märtyrer sterben, ist im Grund ein äußerliches Verhalten, das aus dem Haß gegen das Heiden- thum hervorgeht, alles, was zum neuen Reich befähigt, hängt nur am Juden- thum. Es giebt keinen Sprechenderer Beweis für das judenchristliche Gepräge der ersten Gemeinde als dieses nach den vier paulinischen Briefen älteste Buch in unserem Kanon. Allerdings haben wir uns damit bereits um mehre Decen- nien von dem Tode Jesu entfernt, die Verfolgungen, unter deren Eindruck es geschrieben, mußten den Haß gegen die Heiden aufs äußerste schärfen und dazu kommt, daß die Offenbarung bereits eine polemische Spitze gegen die Wirksam¬ keit des Apostels Paulus hat. Allein die ganze Weltanschauung, welche aus diesem Gedichte spricht, war doch die Weltanschauung der ersten Gemeinde. Wir haben zwar keine directen Urkunden, die höher hinauf reichen, aber es fehlt nicht an zerstreuten Spuren und Zeugnissen, die über den Charakter des ältesten Christenthums keinen Zweifel lassen. Merkwürdigerweise stellt uns die erste geschichtlich sichere Spur, aufweiche wir nach dem Tode Jesu stoßen, ein Vorspiel jenes Kampfes vor Augen, der später durch den Apostel Paulus weltgeschichtliche Dimensionen annahm. Gleich in der jerusalemischen Gemeinde scheint sich eine freier denkende Minorität be¬ merklich gemacht zu haben, welche aus Hellenisten bestand, d. h. aus griechisch geborenen Juden, welche mit den messiasgläubigen Juden zum Christenthum übergetreten waren. Diese konnten dem Jüdischen, das für sie im Grund nur ein Umweg gewesen war, unmöglich dieselbe Bedeutung zuerkennen, wie die nationalen Juden. Allein eben damit setzten sie sich in einen Gegensatz zu den Aposteln und der Mehrheit der Urgemeinde, welche ohne Zweifel durch jenes kühnere Vorgehen der Hellenisten compromittirt zu werden fürchteten. Der Gegenfaß führte zum Bruche, zur Scheidung der Hebräer und der Hellenisten, zum vollständigen Sieg der ersteren in der Hauptgemeinde. Dies ist es, was aus der Geschichte des Stephanus, deren Spitzen freilich später umgebogen wurden, mit Sicherheit hervorgeht. Die Anklage gegen Stephanus war be¬ kanntlich dieselbe, die gegen Jesus selbst erhoben worden war: er verkündigte den Sturz des Tempelcultus, an dessen Stelle eine geistigere Gottesverehrung treten sollte, und es war dies ebensowenig eine falsche Anklage, wie bei Jesus; erst das dominirende Judenchristenthum hat ein falsches Zeugniß daraus gemacht. Stephanus starb als Märtyrer, und es ward eine Verfolgung über die Gemeinde verhängt, aber allem Anschein nach nur über die hellenistische Partei derselben. Denn die Apostel selbst blieben während der Verfolgung unangefochten in der Stadt und mit ihnen ohne Zweifel ihr judaistischer Anhang. Die Hellenisten zerstreuten sich nun über Judäa und Samaria, kamen als Flüchtlinge in die Seestädte, dann nach Cypern und Antiochia, und thaten den weiteren Schritt, daß sie hier auch den Heiden das Evangelium predigten, ein Anfang, aus dem . 64"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/515>, abgerufen am 28.09.2024.