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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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bisherigen byzantinischen Weise wahrnehmen. Die Zierlichkeit der Nase und
des Mundes im Antlitz der großen Madonna, das elliptische Auge, die Dünn¬
heit der Extremitäten; alles dies schließt für unsere ästhetische Forderung noch
die positive Schönheit aus. Die relative Vortrefflichkeit. die Weichheit und
Geschmeidigkeit im Vergleich zu den früheren Bildern ist allenthalben fühlbar
als Trägerin eines feineren und tieferen Inhalts und jener zarten Melancholie,
die uns aus den Bildern der neuen Epoche so ergreifend anspricht. Wir wür¬
digen das große Verdienst des Coloristen; in seiner Technik die Anfänge ver¬
ständiger Untermalung und Lasur, die sich zu dem Zwecke vereinigen, die Wärme
und Plastik der Natur anzustreben: Elemente einer wahrhaft neuen Kunst. Ader
der eigentliche Ruhm der Werke ihres Urhebers liegt nicht in dem Werthe ihrer
Specimina, sondern in dem, was dank seinem großartigen Wollen in der
Folge allein möglich wurde. Auch nicht im göttergclicbten Italien und nicht
einmal in dieser großen Zeit ist ein Meister vom Himmel gefallen. Giovanni
Cimabue war umgeben von Kunstproducten, welche deutlich den Ausgangspunkt
seines Stiles zeigen, und er selbst hat sich, streng genommen, über das Kön¬
nen seiner Zeit nur in mäßigem Grade erhoben. Das Unsterbliche ist die fort¬
zeugende Tendenz seines Schaffens. Ihr Zauber, ihre Macht ist hier, wie überall
bei einer neu anhebenden Kunstepoche, in einer gewissen freiwilligen Beschrän¬
kung zu suchen. Diese Kunst unterbrach die vegetirende Production der Zeit
und was echt und tüchtig an ihr war. hat sie dadurch geadelt, daß sie die rohe
Ausartung der Formen durch Milde bändigte und so vermittelst der Rückkehr
zur Einfalt des Ausdrucks erst die Großartigkeit wieder möglich machte, die in
der Kunstthätigkeit seiner Tage durch maskenhaftes Cchematisiren und durch
Tausendkünstelei erstickt war. Unter seiner Hand erwärmten sich zuerst die aus¬
gelebten Typen, die leeren Hüllen füllten sich mit individuellerem Leben, die
Härte und Barbarei der conventionellen Manier schmcidigte milde Empfindung
und Farbenpoesie.

Das war das Geheimniß des imposanten und zugleich anmuthigen Ein¬
drucks, der ganz Florenz beim Anblick seiner Gottesmutter in der Nuccellai-
Kapelle mit Staunen und Frohlocken erfüllte. In der That: auf diesem Altar
zu Sta. Maria Novelle, gründet sich der Herrschcrthron der florentinischen Schule.
Er verdient die hohen Namen der Zukunft: Michelangelo, Rafael, Leonardo
als prophetische Inschrift zu tragen.




bisherigen byzantinischen Weise wahrnehmen. Die Zierlichkeit der Nase und
des Mundes im Antlitz der großen Madonna, das elliptische Auge, die Dünn¬
heit der Extremitäten; alles dies schließt für unsere ästhetische Forderung noch
die positive Schönheit aus. Die relative Vortrefflichkeit. die Weichheit und
Geschmeidigkeit im Vergleich zu den früheren Bildern ist allenthalben fühlbar
als Trägerin eines feineren und tieferen Inhalts und jener zarten Melancholie,
die uns aus den Bildern der neuen Epoche so ergreifend anspricht. Wir wür¬
digen das große Verdienst des Coloristen; in seiner Technik die Anfänge ver¬
ständiger Untermalung und Lasur, die sich zu dem Zwecke vereinigen, die Wärme
und Plastik der Natur anzustreben: Elemente einer wahrhaft neuen Kunst. Ader
der eigentliche Ruhm der Werke ihres Urhebers liegt nicht in dem Werthe ihrer
Specimina, sondern in dem, was dank seinem großartigen Wollen in der
Folge allein möglich wurde. Auch nicht im göttergclicbten Italien und nicht
einmal in dieser großen Zeit ist ein Meister vom Himmel gefallen. Giovanni
Cimabue war umgeben von Kunstproducten, welche deutlich den Ausgangspunkt
seines Stiles zeigen, und er selbst hat sich, streng genommen, über das Kön¬
nen seiner Zeit nur in mäßigem Grade erhoben. Das Unsterbliche ist die fort¬
zeugende Tendenz seines Schaffens. Ihr Zauber, ihre Macht ist hier, wie überall
bei einer neu anhebenden Kunstepoche, in einer gewissen freiwilligen Beschrän¬
kung zu suchen. Diese Kunst unterbrach die vegetirende Production der Zeit
und was echt und tüchtig an ihr war. hat sie dadurch geadelt, daß sie die rohe
Ausartung der Formen durch Milde bändigte und so vermittelst der Rückkehr
zur Einfalt des Ausdrucks erst die Großartigkeit wieder möglich machte, die in
der Kunstthätigkeit seiner Tage durch maskenhaftes Cchematisiren und durch
Tausendkünstelei erstickt war. Unter seiner Hand erwärmten sich zuerst die aus¬
gelebten Typen, die leeren Hüllen füllten sich mit individuellerem Leben, die
Härte und Barbarei der conventionellen Manier schmcidigte milde Empfindung
und Farbenpoesie.

Das war das Geheimniß des imposanten und zugleich anmuthigen Ein¬
drucks, der ganz Florenz beim Anblick seiner Gottesmutter in der Nuccellai-
Kapelle mit Staunen und Frohlocken erfüllte. In der That: auf diesem Altar
zu Sta. Maria Novelle, gründet sich der Herrschcrthron der florentinischen Schule.
Er verdient die hohen Namen der Zukunft: Michelangelo, Rafael, Leonardo
als prophetische Inschrift zu tragen.




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[0503] bisherigen byzantinischen Weise wahrnehmen. Die Zierlichkeit der Nase und des Mundes im Antlitz der großen Madonna, das elliptische Auge, die Dünn¬ heit der Extremitäten; alles dies schließt für unsere ästhetische Forderung noch die positive Schönheit aus. Die relative Vortrefflichkeit. die Weichheit und Geschmeidigkeit im Vergleich zu den früheren Bildern ist allenthalben fühlbar als Trägerin eines feineren und tieferen Inhalts und jener zarten Melancholie, die uns aus den Bildern der neuen Epoche so ergreifend anspricht. Wir wür¬ digen das große Verdienst des Coloristen; in seiner Technik die Anfänge ver¬ ständiger Untermalung und Lasur, die sich zu dem Zwecke vereinigen, die Wärme und Plastik der Natur anzustreben: Elemente einer wahrhaft neuen Kunst. Ader der eigentliche Ruhm der Werke ihres Urhebers liegt nicht in dem Werthe ihrer Specimina, sondern in dem, was dank seinem großartigen Wollen in der Folge allein möglich wurde. Auch nicht im göttergclicbten Italien und nicht einmal in dieser großen Zeit ist ein Meister vom Himmel gefallen. Giovanni Cimabue war umgeben von Kunstproducten, welche deutlich den Ausgangspunkt seines Stiles zeigen, und er selbst hat sich, streng genommen, über das Kön¬ nen seiner Zeit nur in mäßigem Grade erhoben. Das Unsterbliche ist die fort¬ zeugende Tendenz seines Schaffens. Ihr Zauber, ihre Macht ist hier, wie überall bei einer neu anhebenden Kunstepoche, in einer gewissen freiwilligen Beschrän¬ kung zu suchen. Diese Kunst unterbrach die vegetirende Production der Zeit und was echt und tüchtig an ihr war. hat sie dadurch geadelt, daß sie die rohe Ausartung der Formen durch Milde bändigte und so vermittelst der Rückkehr zur Einfalt des Ausdrucks erst die Großartigkeit wieder möglich machte, die in der Kunstthätigkeit seiner Tage durch maskenhaftes Cchematisiren und durch Tausendkünstelei erstickt war. Unter seiner Hand erwärmten sich zuerst die aus¬ gelebten Typen, die leeren Hüllen füllten sich mit individuellerem Leben, die Härte und Barbarei der conventionellen Manier schmcidigte milde Empfindung und Farbenpoesie. Das war das Geheimniß des imposanten und zugleich anmuthigen Ein¬ drucks, der ganz Florenz beim Anblick seiner Gottesmutter in der Nuccellai- Kapelle mit Staunen und Frohlocken erfüllte. In der That: auf diesem Altar zu Sta. Maria Novelle, gründet sich der Herrschcrthron der florentinischen Schule. Er verdient die hohen Namen der Zukunft: Michelangelo, Rafael, Leonardo als prophetische Inschrift zu tragen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/503>, abgerufen am 28.09.2024.