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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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nöthiger ist es, die Darstellungen in der Nachbarschaft der Scala Santa und
der Kapelle der heiligen Jungfrau aus ihren urkundlichen Ursprung aus sehr
mittelmäßig begabten Händen des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts
zu beschränken, da Unkenntniß und Unkritik sie lange Zeit mit der Kunst eines
Cimabue und Giotto theils in directe Verbindung, theils wenigstens in Ver¬
gleich gesetzt hat. Im Sacro Speco findet sich aber außerdem eine Einzelnheit,
die für den Historiker mehr als den Werth eines Curiosums besitzt, so wenig
sie auch den Künstler als solchen anziehen mag. Es ist dies ein Porträt des
heiligen Franciskus. Die jugendliche Möncbsgestalt mit der Aufschrift seines
Namens stellt nämlich merkwürdigerweise den Heiligen ohne die Stigmata dar,
ein Umstand, der die Entstehung des Bildes aller Wahrscheinlichkeit nach vor
die Zeit der Canonisation Verweise. Geschichtlichen Anhalt gewährt hierbei die
Thatsache, daß Franz im Jahre 1216 das Sacro Speco wirklich besucht hat.
Dies fällt in die Periode, wo dort gemalt wurde, und es kann bei der Ver¬
ehrung, welche diesem außerordentlichen Manne schon damals zu Theil wurde,
nicht auffallen, wenn einer der damals beschäftigten Künstler es unternahm,
diesem Gaste gleich im Frischer ein Denkmal zu setzen. So weit die theilweise
Restauration der Wand das ursprüngliche Gemälde erkennen läßt, zeigt es ein
zwar durch Enthaltung abgemagertes, aber keineswegs unliebenswiudiges, regelmä¬
ßig gebautes Antlitz mit offenen Brauen, großen Augen und gerader Nase.
Längs der Stirn und der Schläfe nacb den äußerst kleinen Ohren läuft die
Tonsur; ein loser Bart, der auch die Oberlippe flaumig bedeckt, schließt das
Gesicht ab; eine hohe spitzige Kapuze zu Häupten, Mönchskutte und Bettler-
strick hüllen die Gestalt. Das Bild unterscheidet sich wesentlich von allen spä¬
tern Porträts des Heiligen, die sämmtlich darauf auszugehen scheinen, in seiner
Darstellung mehr den Typus der Abstinenz als eine Wiedergabe seiner wirkli¬
chen Formen zu geben. Dies gilt auch, und zwar in nicht geringem Grade,
Von den Auffassungen seiner Persönlichkeit, die Assisi bewahrt.

Wir sind an der Schwelle des Zeitalters angelangt, welches nach den in
Werth wie in Fülle ungleich auf- und abwogenden frühchristlichen Kunstleistungen
Italiens nunmehr ein stätigcs Emporsteigen zeigt. Die bisher gleichsam noch
gattungsmäßige Kunst beginnt mit dem nämlichen Zeitpunkte individueller zu
werden. Einzelne Namen bleiben haften und erregen das Interesse der Zeit¬
genossen. Während man zuvor sich wenig um die Urheber des Schmuckes von
Kirchen und Denkmälern kümmerte, wird ihre Pflege und der Besitz ihrer Ar¬
beiten schon Gegenstand der Eifersucht. Diesem Mi' exeollsiies italienischen Zuge,
so sehr er einerseits die Schuld daran trägt, daß die italienischen Historiker
uns die Geschichte der heimischen Kunst nach kleinlichen, oft genug nur localen,
Gesichtspunkten erzählen, sind wir andrerseits doch auch zu Danke verpflichtet.
Denn die Rivalität der einzelnen Städte hat in dieser Beziehung gar Manches


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nöthiger ist es, die Darstellungen in der Nachbarschaft der Scala Santa und
der Kapelle der heiligen Jungfrau aus ihren urkundlichen Ursprung aus sehr
mittelmäßig begabten Händen des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts
zu beschränken, da Unkenntniß und Unkritik sie lange Zeit mit der Kunst eines
Cimabue und Giotto theils in directe Verbindung, theils wenigstens in Ver¬
gleich gesetzt hat. Im Sacro Speco findet sich aber außerdem eine Einzelnheit,
die für den Historiker mehr als den Werth eines Curiosums besitzt, so wenig
sie auch den Künstler als solchen anziehen mag. Es ist dies ein Porträt des
heiligen Franciskus. Die jugendliche Möncbsgestalt mit der Aufschrift seines
Namens stellt nämlich merkwürdigerweise den Heiligen ohne die Stigmata dar,
ein Umstand, der die Entstehung des Bildes aller Wahrscheinlichkeit nach vor
die Zeit der Canonisation Verweise. Geschichtlichen Anhalt gewährt hierbei die
Thatsache, daß Franz im Jahre 1216 das Sacro Speco wirklich besucht hat.
Dies fällt in die Periode, wo dort gemalt wurde, und es kann bei der Ver¬
ehrung, welche diesem außerordentlichen Manne schon damals zu Theil wurde,
nicht auffallen, wenn einer der damals beschäftigten Künstler es unternahm,
diesem Gaste gleich im Frischer ein Denkmal zu setzen. So weit die theilweise
Restauration der Wand das ursprüngliche Gemälde erkennen läßt, zeigt es ein
zwar durch Enthaltung abgemagertes, aber keineswegs unliebenswiudiges, regelmä¬
ßig gebautes Antlitz mit offenen Brauen, großen Augen und gerader Nase.
Längs der Stirn und der Schläfe nacb den äußerst kleinen Ohren läuft die
Tonsur; ein loser Bart, der auch die Oberlippe flaumig bedeckt, schließt das
Gesicht ab; eine hohe spitzige Kapuze zu Häupten, Mönchskutte und Bettler-
strick hüllen die Gestalt. Das Bild unterscheidet sich wesentlich von allen spä¬
tern Porträts des Heiligen, die sämmtlich darauf auszugehen scheinen, in seiner
Darstellung mehr den Typus der Abstinenz als eine Wiedergabe seiner wirkli¬
chen Formen zu geben. Dies gilt auch, und zwar in nicht geringem Grade,
Von den Auffassungen seiner Persönlichkeit, die Assisi bewahrt.

Wir sind an der Schwelle des Zeitalters angelangt, welches nach den in
Werth wie in Fülle ungleich auf- und abwogenden frühchristlichen Kunstleistungen
Italiens nunmehr ein stätigcs Emporsteigen zeigt. Die bisher gleichsam noch
gattungsmäßige Kunst beginnt mit dem nämlichen Zeitpunkte individueller zu
werden. Einzelne Namen bleiben haften und erregen das Interesse der Zeit¬
genossen. Während man zuvor sich wenig um die Urheber des Schmuckes von
Kirchen und Denkmälern kümmerte, wird ihre Pflege und der Besitz ihrer Ar¬
beiten schon Gegenstand der Eifersucht. Diesem Mi' exeollsiies italienischen Zuge,
so sehr er einerseits die Schuld daran trägt, daß die italienischen Historiker
uns die Geschichte der heimischen Kunst nach kleinlichen, oft genug nur localen,
Gesichtspunkten erzählen, sind wir andrerseits doch auch zu Danke verpflichtet.
Denn die Rivalität der einzelnen Städte hat in dieser Beziehung gar Manches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/499>, abgerufen am 28.09.2024.