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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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führen, daß der große Zeichner von Illustrationen darum noch nicht Anspruch
auf den Titel des großen Malers hat.

Die gewöhnliche Alltagswirklichkeit modernen französischen Lebens in den
verschiedenen Ständen hat eine Anzahl von bedeutenden Talenten inspirirt, oder
richtiger, diese nehmen ihre Stoffe aus diesem Kreise, der für jedes Verständ¬
niß der zugänglichste ist, auch weil sie sich bewußt sind, den gleichgiltigsten
durch Originalität der Auffassung und malerische Kunst Interesse und neuen
Neiz verleihen zu können. Touimouche versteht vortrefflich, die Eleganz der
pariser Dame comme it kaut zu malen, darin noch übertroffen von Stevens,
der in der Feinheit des Farbensinns und den Künsten einer raffinirten Technik
in seinen kleinen Bildern zu den Ersten der Lebenden zählt. Biard fährt uner-
müdet fort, die komischen Seiten und Scenen der bürgerlichen Gesellschaft mit
heiterm, satirischen Humor zu schildern. De Jonghe malt die liebenswürdig¬
sten Bildchen aus der eleganten Kinderstube, und weiß der schönen pariser
Welt häusliche Freuden und ein Familien- und Mutterglück anzudichten, von
dem sie in Wirklichkeit gewiß wenig genug genießt. Anker, Dargelas, Merle
haben einfachere, natürlichere Alltagszustände, Lust und Schmerz der Mütter
und Kinder des Volks mit tiefem-Gemüth und schöner Wirkung geschildert.
Die vielgeübte Malerei des modernen Lorettenlebens braucht kaum erwähnt zu
werden. Die wirklichen künstlerischen Bearbeiter seines wesentlichen Inhalts
streifen ihm lieber die Crinoline ab und malen es, wie wir gesehn haben, un¬
ter mythologischen, classischem Namen.

Unter allen Malern des Volks steht für mich unbedingt obenan Adolf
Breton. Den Inhalt ganzer Galerien voll tönender Namen gäbe ich für die
beiden herrlichen Werke von ihm im Luxembourg, "die Segnung der reifen Ge"
treidefelder" (Artois), -- Salon von 1857 -- und die "Aehrenleserinnen" (1862).
Und die beiden, die im vorletzten Salon erschienen: "Einweihung der Kirche
in Oignies" und die "Mähderin" stehn wohl auf der gleichen Höhe. Die gro߬
artige Schlichtheit, die Anmuth und Kraft, die gesunde Lieblichkeit, die natür¬
liche, durch kein Pathos, kein Jdealisirenwollen verleitete Hoheit, die Tiefe und
innige Wärme der Empfindung darin ist nicht zu schildern und seine Art zu
malen ist nur wie der nothwendige Ausdruck desselben Künstlergeistes, welcher
die wirkliche Welt so in dieser eigensten Schöne anzuschauen und aufzufassen
wußte.

In die gegenwärtige kaiserliche Epoche fällt ein bisher hier noch unberühr¬
tes, für alle Kunstanschauung und Kunstübung entscheidend wichtiges und be¬
stimmendes Ereigniß: die Entwicklung der Photographie. Nur durch sie erklärt
sich die leidenschaftliche Energie vollständig, mit welcher während dieser Zeit
der äußerste Realismus in der Kunst mit seinem Bekenntniß und seinen Thaten
hervorgetreten ist, wenn das auch nicht außer Zusammenhang steht mit den


Grenjbotcn III. 1864. 60

führen, daß der große Zeichner von Illustrationen darum noch nicht Anspruch
auf den Titel des großen Malers hat.

Die gewöhnliche Alltagswirklichkeit modernen französischen Lebens in den
verschiedenen Ständen hat eine Anzahl von bedeutenden Talenten inspirirt, oder
richtiger, diese nehmen ihre Stoffe aus diesem Kreise, der für jedes Verständ¬
niß der zugänglichste ist, auch weil sie sich bewußt sind, den gleichgiltigsten
durch Originalität der Auffassung und malerische Kunst Interesse und neuen
Neiz verleihen zu können. Touimouche versteht vortrefflich, die Eleganz der
pariser Dame comme it kaut zu malen, darin noch übertroffen von Stevens,
der in der Feinheit des Farbensinns und den Künsten einer raffinirten Technik
in seinen kleinen Bildern zu den Ersten der Lebenden zählt. Biard fährt uner-
müdet fort, die komischen Seiten und Scenen der bürgerlichen Gesellschaft mit
heiterm, satirischen Humor zu schildern. De Jonghe malt die liebenswürdig¬
sten Bildchen aus der eleganten Kinderstube, und weiß der schönen pariser
Welt häusliche Freuden und ein Familien- und Mutterglück anzudichten, von
dem sie in Wirklichkeit gewiß wenig genug genießt. Anker, Dargelas, Merle
haben einfachere, natürlichere Alltagszustände, Lust und Schmerz der Mütter
und Kinder des Volks mit tiefem-Gemüth und schöner Wirkung geschildert.
Die vielgeübte Malerei des modernen Lorettenlebens braucht kaum erwähnt zu
werden. Die wirklichen künstlerischen Bearbeiter seines wesentlichen Inhalts
streifen ihm lieber die Crinoline ab und malen es, wie wir gesehn haben, un¬
ter mythologischen, classischem Namen.

Unter allen Malern des Volks steht für mich unbedingt obenan Adolf
Breton. Den Inhalt ganzer Galerien voll tönender Namen gäbe ich für die
beiden herrlichen Werke von ihm im Luxembourg, „die Segnung der reifen Ge»
treidefelder" (Artois), — Salon von 1857 — und die „Aehrenleserinnen" (1862).
Und die beiden, die im vorletzten Salon erschienen: „Einweihung der Kirche
in Oignies" und die „Mähderin" stehn wohl auf der gleichen Höhe. Die gro߬
artige Schlichtheit, die Anmuth und Kraft, die gesunde Lieblichkeit, die natür¬
liche, durch kein Pathos, kein Jdealisirenwollen verleitete Hoheit, die Tiefe und
innige Wärme der Empfindung darin ist nicht zu schildern und seine Art zu
malen ist nur wie der nothwendige Ausdruck desselben Künstlergeistes, welcher
die wirkliche Welt so in dieser eigensten Schöne anzuschauen und aufzufassen
wußte.

In die gegenwärtige kaiserliche Epoche fällt ein bisher hier noch unberühr¬
tes, für alle Kunstanschauung und Kunstübung entscheidend wichtiges und be¬
stimmendes Ereigniß: die Entwicklung der Photographie. Nur durch sie erklärt
sich die leidenschaftliche Energie vollständig, mit welcher während dieser Zeit
der äußerste Realismus in der Kunst mit seinem Bekenntniß und seinen Thaten
hervorgetreten ist, wenn das auch nicht außer Zusammenhang steht mit den


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[0481] führen, daß der große Zeichner von Illustrationen darum noch nicht Anspruch auf den Titel des großen Malers hat. Die gewöhnliche Alltagswirklichkeit modernen französischen Lebens in den verschiedenen Ständen hat eine Anzahl von bedeutenden Talenten inspirirt, oder richtiger, diese nehmen ihre Stoffe aus diesem Kreise, der für jedes Verständ¬ niß der zugänglichste ist, auch weil sie sich bewußt sind, den gleichgiltigsten durch Originalität der Auffassung und malerische Kunst Interesse und neuen Neiz verleihen zu können. Touimouche versteht vortrefflich, die Eleganz der pariser Dame comme it kaut zu malen, darin noch übertroffen von Stevens, der in der Feinheit des Farbensinns und den Künsten einer raffinirten Technik in seinen kleinen Bildern zu den Ersten der Lebenden zählt. Biard fährt uner- müdet fort, die komischen Seiten und Scenen der bürgerlichen Gesellschaft mit heiterm, satirischen Humor zu schildern. De Jonghe malt die liebenswürdig¬ sten Bildchen aus der eleganten Kinderstube, und weiß der schönen pariser Welt häusliche Freuden und ein Familien- und Mutterglück anzudichten, von dem sie in Wirklichkeit gewiß wenig genug genießt. Anker, Dargelas, Merle haben einfachere, natürlichere Alltagszustände, Lust und Schmerz der Mütter und Kinder des Volks mit tiefem-Gemüth und schöner Wirkung geschildert. Die vielgeübte Malerei des modernen Lorettenlebens braucht kaum erwähnt zu werden. Die wirklichen künstlerischen Bearbeiter seines wesentlichen Inhalts streifen ihm lieber die Crinoline ab und malen es, wie wir gesehn haben, un¬ ter mythologischen, classischem Namen. Unter allen Malern des Volks steht für mich unbedingt obenan Adolf Breton. Den Inhalt ganzer Galerien voll tönender Namen gäbe ich für die beiden herrlichen Werke von ihm im Luxembourg, „die Segnung der reifen Ge» treidefelder" (Artois), — Salon von 1857 — und die „Aehrenleserinnen" (1862). Und die beiden, die im vorletzten Salon erschienen: „Einweihung der Kirche in Oignies" und die „Mähderin" stehn wohl auf der gleichen Höhe. Die gro߬ artige Schlichtheit, die Anmuth und Kraft, die gesunde Lieblichkeit, die natür¬ liche, durch kein Pathos, kein Jdealisirenwollen verleitete Hoheit, die Tiefe und innige Wärme der Empfindung darin ist nicht zu schildern und seine Art zu malen ist nur wie der nothwendige Ausdruck desselben Künstlergeistes, welcher die wirkliche Welt so in dieser eigensten Schöne anzuschauen und aufzufassen wußte. In die gegenwärtige kaiserliche Epoche fällt ein bisher hier noch unberühr¬ tes, für alle Kunstanschauung und Kunstübung entscheidend wichtiges und be¬ stimmendes Ereigniß: die Entwicklung der Photographie. Nur durch sie erklärt sich die leidenschaftliche Energie vollständig, mit welcher während dieser Zeit der äußerste Realismus in der Kunst mit seinem Bekenntniß und seinen Thaten hervorgetreten ist, wenn das auch nicht außer Zusammenhang steht mit den Grenjbotcn III. 1864. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/481>, abgerufen am 28.09.2024.