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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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kleinen Formats ist ein so außerordentlicher Schilderer der Menschen und Sitten
jeder Zeit, der er seine Themata entnimmt, und ein so bewundernswerther
Zeichner und Colorist, daß sich ihm nach beiden Seiten hin kaum einer
der Gefeierten gleichstellen läßt, die seit zwei Jahrhunderten große Tafeln
mit den Werken ihres Pinsels bedeckt haben. Seine Einzelgestalten und kleinen
Gruppen, diese Maler, Leser, Raucher Schachspieler. Kegler, Duellanten,
Bravos, Wachtposten, sind in jeder Faser ihres Wesens die Menschen
jenes siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, in deren Tracht er sie klei¬
det, in deren aufs treuste nachgebildete locale Umgebung er sie hinein¬
versetzt. Und welche Präcision der Zeichnung, welche Energie und Tiefe der
Farbe, welche breite meisterlich mächtige und dabei so geistreiche Behandlung
derselben in diesen Bildern von den winzigsten Dimensionen! Doch, was er
auch bereite während zweier Jahrzehnte geleistet hatte, er überbot es neuerdings
durch die beiden erstaunlichen malerischen Schöpfungen! ..Napoleon der Dritte
bei Solferino" und "die Barrikade". Aus der Geschichte der Vergangenheit und
Gegenwart ist nichts Erschütternderes, gewaltiger Ergreifendes gemalt, als diese
Scene des Bürgerkriegs, diese zerstörte Barritade mit >en umherliegenden Lei¬
chen ihrer Verthetdiger im unheimlichen Morgengrauen, das zwischen den ho¬
hen Häusern der engen Gasse hercindämmert. Und nie ist von Künstlerauge
und Künstlerhand die Wirklichkeit reiner und vollkommener wiedergespiegelt wor¬
den, als in jenem erstgenannten eigenthümlichsten aller Schlachtbilder mit seinen
zollhohen Figürchen. das den Kampf mit der treusten und schärfsten Photogra¬
phie siegreich aufnimmt und doch mit allem Reiz der freiesten originellsten
Geistesschöpfung begabt erscheint. Wie jeder, der hier auf einen selbstgebahnten
Wege erfolgreich vordringt, hat auch Meissonnier ein Heer von Nachahmern ge¬
funden. Das Format und mehr oder weniger das "Räuspern und Spucken"
haben sie ihm glücklich abgesehen. Seinem "Geist" kommt zuweilen Fischel
Ziemlich nahe -- wenigstens nahe dem schmalen aber unübersteiglichen Ab¬
grund, der die Andern für immer von dem Standpunkt des Meisters trennt.
Von ihnen seien hier Chapel, Plassan. Ruypernez, Brilloin, Zamacois ge¬
nannt.

In der zweite" Gcnremalergruppe bilden die Maler des Orients eine be-,
sonders bedeutende Abtheilung. Horace Vernet, Decamps. Delacroix haben
diese reiche malerische Welt der französischen Kunst zuerst eröffnet. Die Er¬
oberung und der Besitz Algiers hat bequem eine fortdauernde Berührung mit
ihr und eingehendes Studium ermöglicht. So haben orientalische, marokka¬
nische und algierische, wie ägyptische und syrische Landschaft, Menschen und
Sitten eine große Zahl begabter Beobachter und Darsteller gefunden: Marilhat,
Bida, Geröme, Magy. Pasini. Hauguet. Betty und alle fast überragend in ih¬
rer originellen Naturpoesie Fromentin (geb. 1820), dessen Feder dieselbe für un-


kleinen Formats ist ein so außerordentlicher Schilderer der Menschen und Sitten
jeder Zeit, der er seine Themata entnimmt, und ein so bewundernswerther
Zeichner und Colorist, daß sich ihm nach beiden Seiten hin kaum einer
der Gefeierten gleichstellen läßt, die seit zwei Jahrhunderten große Tafeln
mit den Werken ihres Pinsels bedeckt haben. Seine Einzelgestalten und kleinen
Gruppen, diese Maler, Leser, Raucher Schachspieler. Kegler, Duellanten,
Bravos, Wachtposten, sind in jeder Faser ihres Wesens die Menschen
jenes siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, in deren Tracht er sie klei¬
det, in deren aufs treuste nachgebildete locale Umgebung er sie hinein¬
versetzt. Und welche Präcision der Zeichnung, welche Energie und Tiefe der
Farbe, welche breite meisterlich mächtige und dabei so geistreiche Behandlung
derselben in diesen Bildern von den winzigsten Dimensionen! Doch, was er
auch bereite während zweier Jahrzehnte geleistet hatte, er überbot es neuerdings
durch die beiden erstaunlichen malerischen Schöpfungen! ..Napoleon der Dritte
bei Solferino" und „die Barrikade". Aus der Geschichte der Vergangenheit und
Gegenwart ist nichts Erschütternderes, gewaltiger Ergreifendes gemalt, als diese
Scene des Bürgerkriegs, diese zerstörte Barritade mit >en umherliegenden Lei¬
chen ihrer Verthetdiger im unheimlichen Morgengrauen, das zwischen den ho¬
hen Häusern der engen Gasse hercindämmert. Und nie ist von Künstlerauge
und Künstlerhand die Wirklichkeit reiner und vollkommener wiedergespiegelt wor¬
den, als in jenem erstgenannten eigenthümlichsten aller Schlachtbilder mit seinen
zollhohen Figürchen. das den Kampf mit der treusten und schärfsten Photogra¬
phie siegreich aufnimmt und doch mit allem Reiz der freiesten originellsten
Geistesschöpfung begabt erscheint. Wie jeder, der hier auf einen selbstgebahnten
Wege erfolgreich vordringt, hat auch Meissonnier ein Heer von Nachahmern ge¬
funden. Das Format und mehr oder weniger das „Räuspern und Spucken"
haben sie ihm glücklich abgesehen. Seinem „Geist" kommt zuweilen Fischel
Ziemlich nahe — wenigstens nahe dem schmalen aber unübersteiglichen Ab¬
grund, der die Andern für immer von dem Standpunkt des Meisters trennt.
Von ihnen seien hier Chapel, Plassan. Ruypernez, Brilloin, Zamacois ge¬
nannt.

In der zweite» Gcnremalergruppe bilden die Maler des Orients eine be-,
sonders bedeutende Abtheilung. Horace Vernet, Decamps. Delacroix haben
diese reiche malerische Welt der französischen Kunst zuerst eröffnet. Die Er¬
oberung und der Besitz Algiers hat bequem eine fortdauernde Berührung mit
ihr und eingehendes Studium ermöglicht. So haben orientalische, marokka¬
nische und algierische, wie ägyptische und syrische Landschaft, Menschen und
Sitten eine große Zahl begabter Beobachter und Darsteller gefunden: Marilhat,
Bida, Geröme, Magy. Pasini. Hauguet. Betty und alle fast überragend in ih¬
rer originellen Naturpoesie Fromentin (geb. 1820), dessen Feder dieselbe für un-


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[0479] kleinen Formats ist ein so außerordentlicher Schilderer der Menschen und Sitten jeder Zeit, der er seine Themata entnimmt, und ein so bewundernswerther Zeichner und Colorist, daß sich ihm nach beiden Seiten hin kaum einer der Gefeierten gleichstellen läßt, die seit zwei Jahrhunderten große Tafeln mit den Werken ihres Pinsels bedeckt haben. Seine Einzelgestalten und kleinen Gruppen, diese Maler, Leser, Raucher Schachspieler. Kegler, Duellanten, Bravos, Wachtposten, sind in jeder Faser ihres Wesens die Menschen jenes siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, in deren Tracht er sie klei¬ det, in deren aufs treuste nachgebildete locale Umgebung er sie hinein¬ versetzt. Und welche Präcision der Zeichnung, welche Energie und Tiefe der Farbe, welche breite meisterlich mächtige und dabei so geistreiche Behandlung derselben in diesen Bildern von den winzigsten Dimensionen! Doch, was er auch bereite während zweier Jahrzehnte geleistet hatte, er überbot es neuerdings durch die beiden erstaunlichen malerischen Schöpfungen! ..Napoleon der Dritte bei Solferino" und „die Barrikade". Aus der Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart ist nichts Erschütternderes, gewaltiger Ergreifendes gemalt, als diese Scene des Bürgerkriegs, diese zerstörte Barritade mit >en umherliegenden Lei¬ chen ihrer Verthetdiger im unheimlichen Morgengrauen, das zwischen den ho¬ hen Häusern der engen Gasse hercindämmert. Und nie ist von Künstlerauge und Künstlerhand die Wirklichkeit reiner und vollkommener wiedergespiegelt wor¬ den, als in jenem erstgenannten eigenthümlichsten aller Schlachtbilder mit seinen zollhohen Figürchen. das den Kampf mit der treusten und schärfsten Photogra¬ phie siegreich aufnimmt und doch mit allem Reiz der freiesten originellsten Geistesschöpfung begabt erscheint. Wie jeder, der hier auf einen selbstgebahnten Wege erfolgreich vordringt, hat auch Meissonnier ein Heer von Nachahmern ge¬ funden. Das Format und mehr oder weniger das „Räuspern und Spucken" haben sie ihm glücklich abgesehen. Seinem „Geist" kommt zuweilen Fischel Ziemlich nahe — wenigstens nahe dem schmalen aber unübersteiglichen Ab¬ grund, der die Andern für immer von dem Standpunkt des Meisters trennt. Von ihnen seien hier Chapel, Plassan. Ruypernez, Brilloin, Zamacois ge¬ nannt. In der zweite» Gcnremalergruppe bilden die Maler des Orients eine be-, sonders bedeutende Abtheilung. Horace Vernet, Decamps. Delacroix haben diese reiche malerische Welt der französischen Kunst zuerst eröffnet. Die Er¬ oberung und der Besitz Algiers hat bequem eine fortdauernde Berührung mit ihr und eingehendes Studium ermöglicht. So haben orientalische, marokka¬ nische und algierische, wie ägyptische und syrische Landschaft, Menschen und Sitten eine große Zahl begabter Beobachter und Darsteller gefunden: Marilhat, Bida, Geröme, Magy. Pasini. Hauguet. Betty und alle fast überragend in ih¬ rer originellen Naturpoesie Fromentin (geb. 1820), dessen Feder dieselbe für un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/479>, abgerufen am 28.09.2024.